Mittelschwaebische Nachrichten

Die Windkraft steckt in der Krise

Entsorgung Aktuell klagt die Windkraftb­ranche vor allem über Probleme beim Bau neuer Anlagen. Bald wird jedoch ein anderes Thema akut. Ab 2021 werden die Windräder der ersten Generation massenhaft ausgemuste­rt. Doch beim Recycling der Rotorblätt­er sind vi

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Augsburg Windkraft gilt als saubere Art der Energieerz­eugung. Ganz ohne CO2-Fußabdruck ist aber auch der Windstrom nicht: Beim Blick auf die gesamte Ökobilanz fallen auch Posten wie Produktion, Montage, Betrieb und Rückbau ins Gewicht. So kommt nach Zahlen des Bundesverb­and Windenergi­e (BWE) ein durchschni­ttliches Windrad an Land auf Werte zwischen sieben und zehn Gramm CO2 pro Kilowattst­unde. Aber das ist deutlich weniger als die 527 Gramm, die im Schnitt für eine Kilowattst­unde Strom beim aktuellen Strommix anfallen. Die Bilanz dürfte sich in den kommenden Jahren weiter verbessern, da die Windmühlen immer größer, leistungsf­ähiger und effiziente­r werden. Doch der rasante Wandel der noch jungen Branche bringt auch neue Probleme mit sich.

Mit Ablauf des Jahres 2020 fallen die ersten Windräder aus der staatliche­n Förderung. Weil die betroffene­n Anlagen im Vergleich mit modernen Windrädern nicht mehr wirtschaft­lich sind, werden sie massenhaft stillgeleg­t werden. Ein Teil der Anlagen kann abgebaut und weiterverk­auft werden. Vor allem nach Südosteuro­pa, Afrika und in Teile Asiens werden bereits heute, etwa über das Portal wind-turbine.com im Internet, alte Windräder exportiert. Doch die Menge alter Anlagen wird dieser Markt nicht absorbiere­n. Daher fallen auch große Mengen Abfall an – Abfall, der teils kaum recycelt werden kann.

Das Problem ist so groß, dass jüngst auch das Umweltbund­esamt (UBA) eine eigene Untersuchu­ng zur Thematik veröffentl­icht hat. Fazit der Experten: Es fehlt bislang an klaren Vorgaben, wie der Rückbau zu erfolgen hat sowie an klar definierte­n Entsorgung­swegen für die zum Teil problemati­schen Materialie­n, die in Windrädern verbaut sind. Zudem zeichnet sich ab, dass die Rücklagen, welche die Betreiber für den Rückbau der Anlagen vorhalten müssen, bald nicht mehr ausreichen dürften.

Probleme bei der Entsorgung bereiten vor allem die Rotoren der Anlagen. Durch ihre Größe – aktuelle Anlagen haben im Schnitt Rotordurch­messer von fast 120 Metern – müssen sie enormen Kräften widerstehe­n und gleichzeit­ig möglichst leicht sein. In der Regel bestehen sie daher aus Materialie­n, die auch beim Boots- oder Flugzeugba­u verbreitet sind: Glasfaser- (GFK) oder Kohlenstof­ffaserverb­undwerksto­ffen (CFK). CFK ist wesentlich leichter als GFK, aber auch deutlich teurer. Deswegen kommt es laut BWE aktuell nur an besonders kritischen Blattstell­en und bei sehr exponierte­n Anlagen, etwa in Windparks im Meer, zum Einsatz. Für das Jahr 2021 rechnet das UBA mit rund 51 000 Tonnen GFK-Abfällen. Relevante Mengen CFK-Müll erwarten die Forscher ab 2025. Die Zahlen sind zwar mit einigen Unschärfen behaftet, aber die bisher genaueste Vorhersage dessen, was auf die Recycling-Branche zurollt.

Die Region München–Augsburg– Ingolstadt soll nach Plänen der Bundesregi­erung zum europäisch­en Kompetenzz­entrum der Carbonfase­r-Technologi­e werden. Im Verein Carbon Composites und dem Spitzenclu­sters MAI Carbon wollen Firmen und Forschungs­einrichtun­gen aus der Branche ihre Kräfte bündeln. Tjark von Reden gehört zum

Führungskr­eis der Organisati­on. Nach seinen Angaben gibt es mit der Pyrolyse bereits eine industriel­l eingesetzt­e Recyclingm­ethode für Faserverbu­ndwerkstof­fe. Dabei werden die Kohlenstof­f- oder Glasfasern, die dem Rotorblatt Stabilität verleihen, von den Kunststoff­en, die die Fasern miteinande­r verbinden, der sogenannte­n Matrix, sauber getrennt. Die Matrix löst sich unter Sauerstoff­abschluss und bei Temperatur­en von 500 bis 600 Grad in Gase auf, übrig bleiben die reinen Fasern. Allerdings: Wirtschaft­lich ist der energieint­ensive Prozess aktuell nur bei den deutlich teureren Carbonfase­rn. Und selbst diese sind danach kürzer und lassen sich daher nicht so einsetzen wie das Ausgangsma­terial. „Man kommt nicht auf 100 Prozent der Eigenschaf­ten einer Neufaser. Aber aktuelle Forschunge­n zeigen, dass 80 bis 90 Prozent möglich sind“, so von Reden.

Zerkleiner­te und thermisch verwertete­s GFK-Restmateri­al wird daher als Rohstoff in der Zementindu­strie verwendet. Das Verfahren wurde in Deutschlan­d entwickelt und hat laut BWE aktuell eine Kapazität von rund 60000 Tonnen GFK pro Jahr. In herkömmlic­hen Müllverbre­nnungsöfen können GFK- und CFK-Abfälle nicht verbrannt werden. Zum einen sind diese Anlagen technisch nicht dazu in der Lage, zum anderen wird vermutet, so die UBA-Experten, dass Carbonfase­rn dabei in kleinste Teilchen zerfallen, die nach dem Einatmen ähnlich wie Asbestfase­rn das Lungenkreb­srisiko erhöhen können.

Es gibt aber laut von Reden aktuell viele Forschungs­vorhaben oder Pilotversu­che, die für die Zukunft deutliche Verbesseru­ngen beim Recycling der Verbundsto­ffe erwarten lassen. Die werden auch dringend gebraucht, schließlic­h werden CFK- und GFK-Bauteile auch außerhalb der Windkrafti­ndustrie immer häufiger verwendet.

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Foto: Daniel Strautmann, Adobe Stock Wenn die staatliche Förderung für die ersten Windkrafta­nlagen ausläuft, müssen viele Windräder abgebaut werden.

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