Mittelschwaebische Nachrichten
Die Windkraft steckt in der Krise
Entsorgung Aktuell klagt die Windkraftbranche vor allem über Probleme beim Bau neuer Anlagen. Bald wird jedoch ein anderes Thema akut. Ab 2021 werden die Windräder der ersten Generation massenhaft ausgemustert. Doch beim Recycling der Rotorblätter sind vi
Augsburg Windkraft gilt als saubere Art der Energieerzeugung. Ganz ohne CO2-Fußabdruck ist aber auch der Windstrom nicht: Beim Blick auf die gesamte Ökobilanz fallen auch Posten wie Produktion, Montage, Betrieb und Rückbau ins Gewicht. So kommt nach Zahlen des Bundesverband Windenergie (BWE) ein durchschnittliches Windrad an Land auf Werte zwischen sieben und zehn Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Aber das ist deutlich weniger als die 527 Gramm, die im Schnitt für eine Kilowattstunde Strom beim aktuellen Strommix anfallen. Die Bilanz dürfte sich in den kommenden Jahren weiter verbessern, da die Windmühlen immer größer, leistungsfähiger und effizienter werden. Doch der rasante Wandel der noch jungen Branche bringt auch neue Probleme mit sich.
Mit Ablauf des Jahres 2020 fallen die ersten Windräder aus der staatlichen Förderung. Weil die betroffenen Anlagen im Vergleich mit modernen Windrädern nicht mehr wirtschaftlich sind, werden sie massenhaft stillgelegt werden. Ein Teil der Anlagen kann abgebaut und weiterverkauft werden. Vor allem nach Südosteuropa, Afrika und in Teile Asiens werden bereits heute, etwa über das Portal wind-turbine.com im Internet, alte Windräder exportiert. Doch die Menge alter Anlagen wird dieser Markt nicht absorbieren. Daher fallen auch große Mengen Abfall an – Abfall, der teils kaum recycelt werden kann.
Das Problem ist so groß, dass jüngst auch das Umweltbundesamt (UBA) eine eigene Untersuchung zur Thematik veröffentlicht hat. Fazit der Experten: Es fehlt bislang an klaren Vorgaben, wie der Rückbau zu erfolgen hat sowie an klar definierten Entsorgungswegen für die zum Teil problematischen Materialien, die in Windrädern verbaut sind. Zudem zeichnet sich ab, dass die Rücklagen, welche die Betreiber für den Rückbau der Anlagen vorhalten müssen, bald nicht mehr ausreichen dürften.
Probleme bei der Entsorgung bereiten vor allem die Rotoren der Anlagen. Durch ihre Größe – aktuelle Anlagen haben im Schnitt Rotordurchmesser von fast 120 Metern – müssen sie enormen Kräften widerstehen und gleichzeitig möglichst leicht sein. In der Regel bestehen sie daher aus Materialien, die auch beim Boots- oder Flugzeugbau verbreitet sind: Glasfaser- (GFK) oder Kohlenstofffaserverbundwerkstoffen (CFK). CFK ist wesentlich leichter als GFK, aber auch deutlich teurer. Deswegen kommt es laut BWE aktuell nur an besonders kritischen Blattstellen und bei sehr exponierten Anlagen, etwa in Windparks im Meer, zum Einsatz. Für das Jahr 2021 rechnet das UBA mit rund 51 000 Tonnen GFK-Abfällen. Relevante Mengen CFK-Müll erwarten die Forscher ab 2025. Die Zahlen sind zwar mit einigen Unschärfen behaftet, aber die bisher genaueste Vorhersage dessen, was auf die Recycling-Branche zurollt.
Die Region München–Augsburg– Ingolstadt soll nach Plänen der Bundesregierung zum europäischen Kompetenzzentrum der Carbonfaser-Technologie werden. Im Verein Carbon Composites und dem Spitzenclusters MAI Carbon wollen Firmen und Forschungseinrichtungen aus der Branche ihre Kräfte bündeln. Tjark von Reden gehört zum
Führungskreis der Organisation. Nach seinen Angaben gibt es mit der Pyrolyse bereits eine industriell eingesetzte Recyclingmethode für Faserverbundwerkstoffe. Dabei werden die Kohlenstoff- oder Glasfasern, die dem Rotorblatt Stabilität verleihen, von den Kunststoffen, die die Fasern miteinander verbinden, der sogenannten Matrix, sauber getrennt. Die Matrix löst sich unter Sauerstoffabschluss und bei Temperaturen von 500 bis 600 Grad in Gase auf, übrig bleiben die reinen Fasern. Allerdings: Wirtschaftlich ist der energieintensive Prozess aktuell nur bei den deutlich teureren Carbonfasern. Und selbst diese sind danach kürzer und lassen sich daher nicht so einsetzen wie das Ausgangsmaterial. „Man kommt nicht auf 100 Prozent der Eigenschaften einer Neufaser. Aber aktuelle Forschungen zeigen, dass 80 bis 90 Prozent möglich sind“, so von Reden.
Zerkleinerte und thermisch verwertetes GFK-Restmaterial wird daher als Rohstoff in der Zementindustrie verwendet. Das Verfahren wurde in Deutschland entwickelt und hat laut BWE aktuell eine Kapazität von rund 60000 Tonnen GFK pro Jahr. In herkömmlichen Müllverbrennungsöfen können GFK- und CFK-Abfälle nicht verbrannt werden. Zum einen sind diese Anlagen technisch nicht dazu in der Lage, zum anderen wird vermutet, so die UBA-Experten, dass Carbonfasern dabei in kleinste Teilchen zerfallen, die nach dem Einatmen ähnlich wie Asbestfasern das Lungenkrebsrisiko erhöhen können.
Es gibt aber laut von Reden aktuell viele Forschungsvorhaben oder Pilotversuche, die für die Zukunft deutliche Verbesserungen beim Recycling der Verbundstoffe erwarten lassen. Die werden auch dringend gebraucht, schließlich werden CFK- und GFK-Bauteile auch außerhalb der Windkraftindustrie immer häufiger verwendet.