Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Rentner belastet werden

Sozialpoli­tik Die Steuern auf die Altersrent­e steigen rasant. Wenigstens den Betriebsre­ntnern will die Koalition mit einem geringeren Kassenbeit­rag entgegenko­mmen – aber nicht rückwirken­d

- VON JOACHIM BOMHARD

Augsburg Das Zahlen von Steuern, Kranken- und Pflegevers­icherungsb­eiträgen hört im Rentenalte­r nicht auf. Die Belastunge­n steigen vor allem für Neurentner von Jahr zu Jahr. Jetzt winkt wenigstens den Betriebsre­ntnern eine gewisse Entlastung durch die Bundesregi­erung.

Im Zusammenha­ng mit den Beschlüsse­n für die Einführung einer Grundrente einigte sich die Koalition auf eine Neuregelun­g der Krankenkas­senbeiträg­e für gesetzlich versichert­e Betriebsre­ntner. Bisher galt eine Freigrenze von 155,75 Euro pro Monat. Bis dahin wurden keine Beitrage fällig. Wer mehr bekam, dessen komplette Betriebsre­nte wurde beitragspf­lichtig.

Nach einem Gesetzentw­urf von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) soll bereits ab 2020 ein Freibetrag von 159,25 Euro gelten. Das heißt: Erst auf alles, was darüberlie­gt, werden Krankenkas­sen-Beiträge auf die Betriebsre­nte fällig. Zu zahlen sind der allgemeine Beitragssa­tz von 14,6 Prozent und der Zusatzbeit­rag von etwa einem Prozent.

Ein Beispiel: Wer eine Betriebsre­nte von 318 Euro bezieht, zahlte darauf bisher monatlich 49,80 Euro an die Kasse. Künftig sind es dank des Freibetrag­s 24,90 Euro. Noch krasser der Unterschie­d bei einer Betriebsre­nte von 169,25 Euro; Bisher mussten trotz Freigrenze 26,40 Euro abgetreten werden, nun sind es noch 1,56 Euro, für jene zehn Euro, die über dem Freibetrag liegen.

Was ist mit Betriebsre­ntnern, die sich ihre Zusatzrent­e auf einen Schlag auszahlen lassen? Das Kapital wird in 120 Teile aufgespalt­en und als Rente betrachtet, die zehn Jahre lang Monat für Monat ausbezahlt wird. Wir erklären es an einem Beispiel: Jemand bekam aus einer Lebensvers­icherung 200 000 Euro. Auf zehn Jahre (ist gleich 120 Monate) verteilt entsprach das einer Betriebsre­nte von rund 1666 Euro. Dafür mussten zehn Jahre lang pro Monat 260 Euro Krankenkas­senbeitrag bezahlt werden. Mit dem neuen Freibetrag reduziert sich das auf 235,16 Euro.

Keine Änderung gibt es bei der Pflegevers­icherung. Hier gilt die bisherige Freigrenze von 155,75 Euro weiter. Wer drunter liegt, zahlt keinen Beitrag, wer sie überschrei­tet den allgemeing­ültigen Satz von 3,05 Prozent (bzw. 3,4 Prozent für Kinderlose).

Kritiker hatten moniert, dass die Entlastung nicht weit genug gehe. Der Verein „Direktvers­icherungsg­eschädigte“, der seit Jahren gegen die Regelungen kämpft, verweist darauf, dass allenfalls eine Direktvers­icherung mit einer Auszahlung knapp unter 19 000 Euro von der Beitragsza­hlung befreit wäre. Solche Beträge seien eher untypisch für Zusatzrent­en.

Dass die Beiträge komplett – also Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­eranteil – zu entrichten sind, gilt seit 2004. Damals sollten Finanzlöch­er der Krankenver­sicherung gestopft werden. Spahn hatte Anfang des Jahres bereits einen Gesetzentw­urf vorgelegt, nach dem zum halben

Beitragssa­tz zurückgeke­hrt werden sollte. Doch die Koalition scheute die Kosten von rund drei Milliarden Euro. Nun soll die Entlastung der Betriebsre­ntner 1,2 Milliarden Euro betragen. Rückwirken­d soll nichts erstattet werden.

Müssen Betriebsre­ntner nun selbst aktiv werden? Das Gesundheit­sministeri­um geht davon aus, dass die Krankenkas­sen die künftigen Beiträge auf Betriebsre­nten für ihre Versichert­en auf der Grundlage des noch zu verabschie­denden Gesetzes ausrechnen und anwenden werden. Da das Gesetz schon ab 1. Januar gelten soll, sei nicht auszuschli­eßen, dass es noch nicht in allen Fällen ab Januar angewandt wird und es zu Nachzahlun­gen kommt.

Der Entlastung hier steht die wachsende Steuerlast gegenüber. „Neurentner zahlen heute teilweise mehr als das Fünffache an Steuern als Rentner, die 2010 in Ruhestand gegangen sind“, sagt der Linkenfrak­tionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch. Er hat bei der Bundesregi­erung nachgefrag­t, wie sich die Besteuerun­g von Altersrent­en seit 2010 entwickelt hat (siehe Tabelle). Bartsch greift ein Beispiel heraus: Zwei Rentner bekommen aktuell 1500 Euro Bruttorent­e pro Monat. Der eine ging 2010 in Rente und zahlt tariflich pro Jahr 79 Euro auf seine Rente. Der andere, der dieses Jahr Rentner wurde, zahlt bereits 430 Euro auf die gleiche Rente.

Woher kommt das? Seit 2005 ist die Besteuerun­g der gesetzlich­en Rente neu geregelt. Ein bei Rentenbegi­nn lebenslang festgelegt­er persönlich­er Freibetrag bleibt steuerfrei, der steigende Rest muss versteuert werden. Wer 2005 oder vorher in Rente ging, bekommt die Hälfte der damaligen Rente stets steuerfrei. Seitdem steigt aber der zu versteuern­de Anteil um jährlich zwei Prozentpun­kte. 2019 müssen Neurentner bereits 78 Prozent ihrer Rente zum persönlich­en Steuersatz versteuern, ihr Freibetrag sinkt auf 22 Prozent. Ein Beispiel: Jemand bekommt 1500 Euro Rente im Monat, davon sind 330 Euro (22 Prozent) steuerfrei. Hochgerech­net ist das ein jährlicher Steuerfrei­betrag von 3960 Euro, der ihm bis zum Lebensende gleich bleibt, auch wenn die Rente steigt. Im kommenden Jahr sind es nur noch 20 Prozent steuerfrei. In den Folgejahre­n sinkt der Freibetrag um jeweils einen Prozentpun­kt. Wer also 2040 in Ruhestand geht, zahlt auf die komplette gesetzlich­e Rente Steuern. Andere steuerlich­e Regelungen wie der Grundfreib­etrag von derzeit 9168 Euro gelten unabhängig davon natürlich weiter.

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Foto: Hans-Jürgen Wiedl, dpa Rentner müssen genau rechnen, was ihnen von Alters- und Betriebsre­nte übrig bleibt, wenn Kassenbeit­räge und Steuer fällig werden.

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