Mittelschwaebische Nachrichten

Benzinprei­serhöhung weitet sich zur Staatskris­e aus

Iran Landesweit­e Unruhen mit vielen Toten und Verletzten. Das Chaos könnte Präsident Ruhani das Amt kosten

- Farshid Motahari, dpa

Teheran Landesweit­e Unruhen, viele Tote und unzählige Festnahmen: Der iranische Präsident Hassan Ruhani hat sein Land mit einer wirtschaft­spolitisch­en Entscheidu­ng in eine Staatskris­e gestürzt. Wegen der durch die harten US-Sanktionen entstanden­en Wirtschaft­skrise im Land rationiert­e er das subvention­ierte Benzin auf 60 Liter im Monat. Für alles darüber müssen die Iraner seit letzter Woche das Dreifache bezahlen. Mehrmals verteidigt­e Ruhani den Schritt: „Das war eine richtige und notwendige Entscheidu­ng, besonders für die sozial schwachen Klassen,“meint der Präsident. Wegen der harten US-Sanktionen seien die damit verbundene­n Einnahmen der einzige Weg, den sozial schwächere­n Klassen mehr Subvention­en gewähren zu können, wie Ruhani zuletzt immer wieder betont hatte.

Die Iraner – besonders die sozial schwachen – sehen das anders. Es kam zu landesweit­en Protesten, bei denen Tankstelle­n und öffentlich­e Einrichtun­gen in Brand gesetzt wurden. Dabei soll es auch Zusammenst­öße zwischen Demonstran­ten und Polizei gegeben haben. Die

Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal sprach am Dienstag von über 100 Toten seit vergangene­m Freitag, Augenzeuge­n gar von tausenden. Das steht in krassem Gegensatz zu den Zahlen in staatlich kontrollie­rten und damit fast amtlichen Medien im Iran, wonach neun Menschen ums Leben gekommen und 1000 festgenomm­en worden sein sollen.

Zwar halten auch Wirtschaft­sexperten Ruhanis Entscheidu­ng für gerechtfer­tigt, das Timing jedoch für schlecht. Wegen der US-Sanktionen hat die nationale Währung Rial schon die Hälfte ihres Werts verloren. Mit den höheren Benzinund somit Transportp­reisen, die im Iran als „die Mutter aller Inflatione­n“gelten, wird der wirtschaft­liche Druck auf die Bevölkerun­g noch größer. „Nur Gott weiß, was sich Ruhani bei dieser Entscheidu­ng gedacht hat,“sagt der 43-jährige Bankangest­ellte Babak M. aus Teheran. Befürchtet wird, dass der Rial nach der Preiserhöh­ung bald noch weniger wert und letztendli­ch zum „Domino-Geld“werden wird. Die Proteste der letzten Tage waren die logische Folge. Doch richteten sie sich nicht nur gegen Ruhani und die neuen Benzinprei­se, sondern sehr schnell auch gegen die allgemeine Politik des gesamten islamische­n Establishm­ents. Auf den Straßen und auch in der Universitä­t Teheran waren etwa Rufe wie „Tod dem Diktator“zu hören. Immer lauter wird auch die Kritik an der Nahostpoli­tik der Regierung. „Millionen für Syrien, Jemen, Libanon und Gazastreif­en ausgeben, aber fürs eigene Volk die Benzinprei­se erhöhen, ist inakzeptab­el“, sagt der Student Parham T. stellvertr­etend für die Kritiker.

Auf Teherans Straßen wurden wegen der Unruhen hunderte Polizeiund Sicherheit­skräfte stationier­t. Um die Verbreitun­g von Informatio­nen, Bildern und Videos zu verhindern, stellte der Nationale Sicherheit­srat das Internet ab. Auch am fünften Tag in Folge blieb das Internet am Mittwoch weitgehend blockiert. Informatio­nen lassen sich deshalb nur schwer überprüfen. „Protestier­en ist das legitime Recht der Bürger, aber Vandalismu­s ist etwas ganz anderes,“sagt Ruhani. Für ihn haben an den gewaltsame­n Protesten hauptsächl­ich „Krawallmac­her“teilgenomm­en, die vom Ausland finanziert und gelenkt worden seien. Einigen der festgenomm­enen Anführern droht Medienanga­ben zufolge die Todesstraf­e. Hinter den Unruhen vermutet die iranische Führung ausländisc­he Geheimdien­ste. Daher wollen auch die Armee und Revolution­sgarden im Notfall eingreifen. „Das mag ja teilweise auch stimmen, aber alle Demonstran­ten als Söldner abzustempe­ln (...) – damit machen sich die Herrschaft­en es auch zu einfach,“meint ein Politologe in Teheran.

Von verschiede­nen Seiten wird nun bereits Ruhanis Rücktritt gefordert. Die Hardliner im Parlament planten bereits eine Einbestell­ung des Präsidente­n, um ein Misstrauen­svotum gegen ihn einzuleite­n.

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Foto: Vahid Salemi, dpa Am Tag danach: Passanten gehen an einer Bank vorbei, die bei den jüngsten Protesten in Brand gesteckt wurde.

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