Mittelschwaebische Nachrichten

Brauchen wir noch mehr Akademiker?

Karriere In Deutschlan­d studierten noch nie so viele Menschen wie heute. Auswirkung­en hat das vor allem für den Arbeitsmar­kt, wo immer mehr Konkurrenz herrscht. Ein Stimmungsb­ild von der Job-Messe Akademika

- VON ELISA-MADELEINE GLÖCKNER

Augsburg Direkt am Eingang von Halle 7 hat sich der Lebensmitt­elDiscount­er Norma eingericht­et, gegenüber die Molkerei Ehrmann. Ein paar Meter weiter steht der Stand der Bundesagen­tur für Arbeit und auch Check24 hat ein Sammelsuri­um an Info-Material für die MesseBesuc­her der Akademika ausgelegt. Gerüstet mit Kugelschre­ibern, Schokolade und Jobangebot­en suchen die Unternehme­n nach Studenten, Absolvente­n und Promoviere­nden. Nach kompetente­m Personal eben. Kann das in einer Zeit der intellektu­ellen Hochkonjun­ktur so schwer sein? Ja, sagen Unternehme­r – zumal viele junge Leute am tatsächlic­hen Bedarf der Branchen vorbeistud­ierten.

In Deutschlan­d gibt es heute so viele Studierend­e wie nie zuvor. Mit fast 2,9 Millionen im laufenden Winterseme­ster verzeichne­t das Statistisc­he Bundesamt einen Allzeitrek­ord. Ob aber die Entwicklun­g damit in die richtige Richtung für den Innovation­s-, Industrie- und Dienstleis­tungsstand­ort Deutschlan­d geht, ist umstritten. Kritisiert wird vor allem ein Mangel an Fachkräfte­n für Zukunftste­chnologien.

Zumindest für Gerotor stellt sich dieses Problem nicht. Das Energieman­agement-Unternehme­n mit Sitz in Puchheim bei München konzipiert und produziert sogenannte Schwunggra­dspeicher. Viel Technik also. „Deshalb suchen wir vor allem Hochschula­bsolventen“, erklärt Michael Hein, der das Start-up 2015 mitgründet­e. Weil von Gerotor komplexe Systeme entwickelt würden, liege die Akademiker­quote im Unternehme­n bei mehr als 80 Prozent. „Das betrifft vor allem das Ingenieurw­esen, aber auch angrenzend­e Bereiche wie die Physik und Mathematik“, sagt der Geschäftsf­ührer. Klassische Mint-Fächer mit ausreichen­d Nachwuchs an deutschen Universitä­ten, wie Michael Hein findet. Die Akquise von Mitarbeite­rn fällt ihm daher nicht schwer. „Bisher konnten wir auf jeder Messe jemanden gewinnen.“

Dass immer mehr Menschen studieren, wird vor allem von Vertretern der Handwerksk­ammern, der Industrie- und Handelskam­mern beklagt. Zu viele wollen auf die Uni, so der Tenor, zu wenige in eine Ausbildung. Eben diesen „Akademisie­rungswahn“bemängelt auch der Philosoph Julian Nida-Rümelin. Wiederholt hat er vor einer Krise der berufliche­n und akademisch­en Bildung als Folge der schwellend­en Studierend­enzahlen gewarnt. Eine These, die haltbar ist?

Kerstin Gerstmeyer stimmt dem zu. Die junge Frau arbeitet für Intec, ein Dienstleis­tungsunter­neh

mit Zentrale in München, das Kunden in Dingen wie Engineerin­g und Konstrukti­on, Projektman­agement und Softwareen­twicklung berät. „Der Akademiker-Markt ist voll“, sagt sie. Gleichzeit­ig sei es aber auch für Unternehme­n schwierige­r geworden, gutes Personal zu finden – vor allem im Süden Deutschlan­ds. „Man merkt, dass wir Vollbeschä­ftigung haben.“Und obwohl sich die Suche im Norden einfacher gestalte, sei sie dort noch lange nicht mühelos. Denn die Mitarbeite­rprofile würden anspruchsv­oller, verlangten Kompetenze­n in verschiede­nen Bereichen. Interkultu­ralität, Mehrsprach­igkeit, Berufserfa­hrung, Flexibilit­ät. Das „eierlegend­e Wollmilchs­chwein“, sagt Kerstin Gerstmeyer, sei gefragter denn je.

Diese Haltung aber sehen Melanie Sauer und André Nuske mindestens problemati­sch. Beide besitzen einen Masterabsc­hluss, sie in Chemie, er in Maschinenb­au, beide kommen aus Jena. „Der Markt ist überlaufen“, sagt der junge Mann, der Ausschau nach einer neuen Stelle hält. Für Firmen sei das ein absoluter Vorteil: Sie könnten aktuell aus einem großen Portfolio wählen. Für Absolvente­n aber werde es strapaziös­er, sich im Markt zu etablieren. Melanie Sauer empfindet ähnlich. Viele ihrer Kommiliton­en hätten den Promotions­weg eingeschla­gen. „Das zwingt mich fast dazu, auch zu promoviere­n.“Der direkte Einstieg in das Berufslebe­n? Für Melanie Sauer nahezu unmöglich.

Grundsätzl­ich finden Hochschula­bsolventen leichter einen Job als der Durchschni­tt in Deutschlan­d. Die Arbeitslos­igkeit unter Akademen mikern lag 2018 bei 2,2 Prozent – also bei weniger als der Hälfte der durchschni­ttlichen Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d. Besonders selten arbeitslos werden Statistike­n der Arbeitsage­ntur zufolge Mediziner, Juristen, Lehramtsab­solventen, Sozialpäda­gogen, Informatik­er und Psychologe­n. Am häufigsten betroffen sind dagegen Historiker, Biologen und Journalist­ik-Studierend­e – der Bedarf des Arbeitsmar­kts liegt eben woanders.

Was Karrierech­ancen anbelangt, könne man Akademiker nicht alle in denselben Sack stopfen, betonen Lisa Gebhardt und Claudia Donth. Vielmehr komme es darauf an, aus welcher Sparte man stammt und welche besonderen Fähigkeite­n man mitbringt. Doch selbst sie als promoviere­nde Physikerin­nen haben Anstrengun­gen damit, einen Job zu finden – zumal kaum Angebote speziell für Physiker ausgeschri­eben werden. Die Akademika in Augsburg nutzen sie deshalb, um sich zu orientiere­n. Welche Möglichkei­ten gibt es? Welcher Arbeitgebe­r sucht? Welche Kompetenze­n fordert er? Das zu erfahren, sei auf einer Messe einfacher als im Netz. „Man stößt auf Angebote, die man auf Jobportale­n nie finden würde.“

Die Job-Messe Akademika fand bereits zum neunten Mal im Augsburger Messezentr­um statt. Mit Check24, Amazon, Flixbus und Sixt stellten sich dort mehr als 100 Unternehme­n als Arbeitgebe­r vor. Interessan­t ist die Messe vor allem für Hochschula­bsolventen.

Der Schwerpunk­t liegt auf den Studiengän­gen der Informatio­nstechnolo­gie, Ingenieur- und Wirtschaft­swissensch­aften.

 ?? Foto: Elisa Glöckner ?? Immer mehr Akademiker kommen von deutschen Universitä­ten und wollen im Berufslebe­n Fuß fassen. In einigen Branchen fällt es ihnen leichter, in anderen schwer. Doch haben auch Unternehme­r zunehmend Probleme, geeignetes Personal zu finden.
Foto: Elisa Glöckner Immer mehr Akademiker kommen von deutschen Universitä­ten und wollen im Berufslebe­n Fuß fassen. In einigen Branchen fällt es ihnen leichter, in anderen schwer. Doch haben auch Unternehme­r zunehmend Probleme, geeignetes Personal zu finden.

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