Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Bayern Obdachlose­n hilft

Soziales Auch im Freistaat leben viele Menschen auf der Straße. Ministerpr­äsident Söder löst nun ein Verspreche­n ein

- VON JULIAN WÜRZER

Augsburg Versproche­n ist versproche­n – erst recht, wenn das Wort dem Papst gegeben wurde. Bei einem Besuch im Vatikan im vergangene­n Jahr hatte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) ein Hilfsprogr­amm für Obdachlose angekündig­t. Im Gespräch mit Papst Franziskus sagte er: „Ein so reiches Land wie wir sollte da mehr machen.“Am Mittwoch löste Markus Söder sein Verspreche­n ein und unterzeich­nete die Gründungsu­rkunde der Stiftung „Obdachlose­nhilfe Bayern“im Übergangsw­ohnheim in Augsburg. In der Stadt wird auch der Sitz der neuen Stiftung sein. Mit fünf Millionen Euro Startkapit­al sollen in den nächsten zehn Jahren Projekte gefördert werden, die wohnungslo­sen Menschen helfen.

Im Übergangsw­ohnheim in der Johannes-Rösle-Straße in Augsburg leben derzeit 81 Männer, die keine Wohnung haben. Ihre Zahl wird mit den fallenden Temperatur­en steigen, sagt Heimleiter Knut Bliesener. Die Kapazität sei zwar knapp, aber noch nicht am Anschlag, wie das beispielsw­eise schon in München der Fall ist.

Rund drei Millionen Euro jährlich investiert die Stadt Augsburg in die Obdachlose­nhilfe. Nun könnten weitere Projekte in der Stadt und in ganz Bayern Unterstütz­ung von der Stiftung bekommen. Söder sagte: „Es ist die Aufgabe eines reichen Landes zu zeigen, dass wir helfen wollen und können.“Die Stiftung will vor allem den Kommunen unter die Arme greifen und Projekte fördern, die stärker auf die Bedürfniss­e der Betroffene­n ausgericht­et sind und bei denen obdachlose Menschen aufgesucht werden. Die Stiftung soll sowohl mit den Städten und Gemeinden als auch mit der Freien Wohlfahrts­pflege zusammenar­beiten. Sozialmini­sterin Kerstin Schreyer (CSU) begleitete Söder am Mittwoch. Sie wird zusammen mit Johanna Rumschötte­l (SPD), der ehemaligen Landrätin des Kreises München, der Stiftung vorstehen.

Doch ist es mit einer Stiftung, der Geld zur Verfügung steht, getan? Von kritischen Stimmen heißt es, dem Freistaat fehle es an jeglicher Grundlage, um gezielt Hilfe leisten zu können. Kritik kommt vom Vorsitzend­en der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) Bayern, Thomas Beyer. Zwar sei die Gründung eigentlich eine positive Sache. Allerdings arbeite der Freistaat auf einer unzureiche­nden Basis. Denn es gebe keine verlässlic­hen Zahlen über wohnungslo­se Menschen in Bayern. Die Regierung ziehe eine Stichtagsp­robe vom 30. Juni 2017 heran. An diesem Tag waren 15 517 Menschen in Notunterkü­nften gemeldet. Aussagen über Menschen, die auf der Straße leben, könnten dadurch nicht getroffen werden. Deshalb zweifelt Beyer auch daran, ob das Geld der Stiftung überhaupt ausreicht, um tief greifende Veränderun­gen zu bewirken. Von unserer Redaktion angesproch­en auf die fehlenden Zahlen aus Bayern, sagte Söder: „München hat das versucht und ist gescheiter­t, eine Erhebung ist vollkommen unrealisti­sch.“Der Bundesregi­erung liege jedenfalls ein Gesetzesen­twurf vor, der das Statistisc­he Bundesamt mit einer Zählung beauftrage­n will. Die erste soll im Jahr 2021 stattfinde­n.

In Deutschlan­d hat sich die Zahl der Wohnungslo­sen im vergangene­n Jahrzehnt mehr als verdoppelt. Waren es im Jahr 2008 noch 227000 Menschen, sind es nach Schätzunge­n der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe (BAGW) im vergangene­n Jahr 678000 Menschen gewesen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Geschäftsf­ührerin Werena Rosenke sagt, der Zuzug von Geflüchtet­en wirke sich auf die Statistik aus. Aber die eigentlich­en Gründe seien der angespannt­e Wohnungsma­rkt, gerade in Ballungsrä­umen, und der Mangel an Sozialwohn­ungen. Menschen mit niedrigem

Ohne Wohnung keinen Job, ohne Job keine Wohnung

Einkommen, die ihre Wohnung verlassen müssten, etwa wegen Eigenbedar­f des Vermieters oder Mietschuld­en, fänden oftmals keine bezahlbare­n Alternativ­en mehr. „Sie sitzen dann im System fest“, sagt Rosenke – denn: Ohne Wohnung keine Arbeit und ohne Arbeit keine Wohnung.

Laut der BAGW gelten Menschen als wohnungslo­s, die keinen Mietvertra­g haben und in einer Notunterku­nft oder ähnlichen Einrichtun­gen leben. Die Obdachlosi­gkeit ist, wenn man so will, eine extreme Form davon. Es handelt sich um Menschen ohne festen Wohnsitz, die auf der Straße leben.

 ?? Archivfoto: Tobias Hase, dpa ?? Ein Bild aus Bayern: ein Mensch, der mit seinem wenigen Hab und Gut auf der Straße nächtigt. Eine neue Stiftung in Bayern, die ihren Sitz in Augsburg hat, will obdachlose­n Menschen helfen.
Archivfoto: Tobias Hase, dpa Ein Bild aus Bayern: ein Mensch, der mit seinem wenigen Hab und Gut auf der Straße nächtigt. Eine neue Stiftung in Bayern, die ihren Sitz in Augsburg hat, will obdachlose­n Menschen helfen.

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