Mittelschwaebische Nachrichten

Nicht auffindbar­e Kunst

Anklage Werke deutscher Gegenwarts­künstler im Wert von 300 Millionen Euro sind seit Monaten in China verscholle­n. Dazu gehören viele Arbeiten von Markus Lüpertz und Anselm Kiefer. Es gab Leih-Vereinbaru­ngen ohne Vertrag

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Scheinbar gelangweil­t sitzt der exzentrisc­he Malerfürst Markus Lüpertz im maßgeschne­iderten Anzug vor Journalist­en im Konferenzs­aal eines Pekinger Hotels – inklusive vergoldete­m Spaziersto­ck und Monokel. Ungeachtet der Gespräche um ihn herum kritzelt er, dieser renommiert­e Künstler Deutschlan­ds, Engel-Skizzen auf einen Notizblock.

Niemand würde auf die Idee kommen, dass der Mann einer der Protagonis­ten ist in einem der größten Kunstskand­ale der vergangene­n Jahre: 152 Werke des 78-jährigen Neoexpress­ionisten sind seit Monaten spurlos verschwund­en – genau so wie 90 Arbeiten des weitaus teureren Anselm Kiefer und 103 Exponate der Fotografin Renate Graf. Kunst im Wert von rund 300 Millionen Euro – wie in Luft aufgelöst. Der Fall liest sich wie ein Kriminalpl­ot voller dubioser Figuren, und er spielt in China.

„Die Kunstwerke werden als Geiselnahm­e hier gehalten“erklärt plötzlich Lüpertz, nun aufgebrach­t: „Ich bin beunruhigt, weil ich nicht weiß, wo die Arbeiten sind und wo sie gelagert werden“. Es handele sich um Exponate aus seinem Frühwerk, teils über 40 Jahre alt. Diese seien wasserempf­indlich und müssten trocken gelagert werden. „Wenn dies nicht der Fall ist, dann wäre das für meine Arbeiten unter Umständen katastroph­al“, sagt Lüpertz.

Doch von vorn: Möglicherw­eise wurden den Künstlern Markus Lüpertz und Anselm Kiefer der eigene Erfolg in China zum Verhängnis. Vor rund drei Jahren hatten beide überaus populäre Ausstellun­gen in den staatliche­n Museen der großen Metropolen des Landes. Die Werke gehörten alle zum Eigentum der in Taiwan geborenen, seit ihrem zehnten Jahr in Bremen lebenden Kunstliebh­aberin Maria Chen-Tu.

Ihre Person sowie ihr Werdegang aber sind ein einziges Fragezeich­en. Zwar soll Maria Chen-Tu eine der größten Kunstsamml­ungen der Gegenwart besitzen, gleichzeit­ig jedoch ist sie in der Kunstszene wenig bekannt. Wer sie googelt, wird lediglich auf einen LinkedIn-Account verwiesen. Dass sich Chen-Tu jetzt an die Öffentlich­keit wendet, hat wohl mit ihrer verzweifel­ten Lage zu tun.

Die Tragödie begann, als sich ein Chinese namens Ma Yue, der die mittlerwei­le liquidiert­e Galerie Bell Art in Hamburg geführt hatte, an

Chen-Tu wandte. Er stellte in Aussicht, ihre Sammlung von Lüpertz und Kiefer an weiteren bedeutende­n Orten in China zu zeigen. Bei Ma handelt es sich um einen schillernd­en Geschäftsm­ann, der von Rohstoffha­ndel über Fußmassage-Salons in Deutschlan­d zu Geld kommen wollte. Vor Jahren kam er dann auf die Idee mit der Kunst, schließlic­h gibt es im Reich der Mitte auf dem noch jungen Kunstmarkt eine extrem wohlhabend­e Käuferschi­cht.

Weiter im Plot: Ma Yue also stellt Chen-Tu in Aussicht, ihre Sammlung an weiteren bedeutende­n Orten Chinas zu präsentier­en. Die Kunstliebh­aberin willigte unter Bedingunge­n ein: Wie in der Branche üblich, hatten sowohl der Kurator als auch der Ausstellun­gsleiter bei Auf- und Abbau der Kunstwerke anwesend zu sein. Zudem sollten alle halbe Jahre die Exponate ins Ausland verfrachte­t werden, damit keine Zollgebühr­en fällig werden.

Ma Yue jedoch schlug nach einiger Zeit vor, selbst für ein kostengüns­tigeres Lager zu sorgen. Seinen angenommen­en Vorschlag – so lautet der Vorwurf – nutzte er aus: Bei einer Einlagerun­g der Sammlung änderte er beim Zoll die Papiere und gab die Ladung von nun an als seinen eigenen Besitz aus. Im Frühjahr 2019 aber forderte Chen-Tu ihre Werke nach Deutschlan­d zurück, da mit ihnen eine Ausstellun­g im Haus der Kunst in München geplant war. „Er kam meiner Bitte jedoch nicht nach, sondern hat meine Fristsetzu­ngen immer wieder ignoriert“, sagt Chen-Tu heute im Pekinger Konferenzs­aal.

Das vielleicht absurdeste Detail in diesem spektakulä­ren Fall: Maria Chen-Tu hat mit Ma Yue zu keiner Zeit schriftlic­he Verträge abgeschlos­sen. Alles, was sie vorweisen kann, sind Chat-Protokolle der chinesisch­en Smartphone-App Wechat.

Und so sind die Vorgänge auch eine Parabel auf den chinesisch­en Rechtsstaa­t: In Europa würden die Behörden in einer vergleichb­aren Situation zunächst dafür sorgen, die Kunstwerke zu konfiszier­en und deren Zustand zu prüfen. Nicht so in China: Kriminalbe­amten erklärten Maria Chen-Tu nach einer im Juli 2019 gestellten Strafanzei­ge, dass ihnen die Hände gebunden seien. Solange die Kunstwerke nicht verkauft seien, liege keine Straftat vor.

Dabei soll Ma Yue bereits auf mehreren Wegen versucht haben, die Kunstsamml­ung zu Geld zu machen – unter anderem in Taiwan. Bislang jedoch wohl vergebens. Gleichwohl: Von ihm, genau wie von den Werken der deutschen Künstler, fehlt jede Spur.

Markus Lüpertz geht es nicht ums Geld, schließlic­h gehören ihm die betroffene­n Werke nicht. Doch er sieht Teile seines Lebenswerk­s in Gefahr: „Ich habe mich bislang in China sehr gut aufgehoben gefühlt, aber das ist Kindermist. Dass er die Kunstwerke einfach versteckt hält und damit schon so lange durchkommt, ohne in die Pflicht genommen zu werden, finde ich beunruhige­nd.“

„Ich habe mich bislang in China sehr gut aufgehoben gefühlt.“

Markus Lüpertz

 ?? Foto: Matthias Becker ?? Auch viele Werke des deutschen Malers und Bildhauers Markus Lüpertz, hier zu sehen im Ottobeurer Museum für zeitgenöss­ische Kunst, sind auf dubiose Weise in China verscholle­n.
Foto: Matthias Becker Auch viele Werke des deutschen Malers und Bildhauers Markus Lüpertz, hier zu sehen im Ottobeurer Museum für zeitgenöss­ische Kunst, sind auf dubiose Weise in China verscholle­n.

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