Mittelschwaebische Nachrichten

War es Hass auf die Weizsäcker­s?

Bluttat Fritz von Weizsäcker, Sohn des früheren Bundespräs­identen, hält einen Vortrag an einer Berliner Klinik. Dann geht ein 57-Jähriger auf ihn los und sticht zu. Er war wohl psychisch krank

- Anett Indyka, Esteban Engel und Caroline Bock, dpa

Berlin Am Tatort hängt am Tag danach noch ein Zettel: „Konferenzr­aum gesperrt“. Vor der Berliner Schlosspar­k-Klinik sind Kamerateam­s und Polizeiaut­os zu sehen, ein Sicherheit­smann passt auf, dass der Betrieb weitergehe­n kann. Am Dienstagab­end ist das Krankenhau­s zum Ort eines Verbrechen­s geworden: Ein Mann sticht dem Chefarzt Fritz von Weizsäcker, 59, während eines Vortrags mit einem Messer in den Hals. Der Sohn des früheren Bundespräs­identen Richard von Weizsäcker stirbt noch vor Ort.

Der Angreifer hatte es, so berichten die Ermittler, wohl auf die Familie von Weizsäcker abgesehen. Der Mann ist ein 57 Jahre alter Deutscher aus Andernach in Rheinland-Pfalz, nicht polizeibek­annt. Er soll „eine akute psychische Erkrankung“haben und in eine Klinik kommen. Die Staatsanwa­ltschaft spricht von einer „wohl wahnbeding­ten allgemeine­n Abneigung des Beschuldig­ten gegen die Familie des Getöteten“. Der Angreifer soll die Tat geplant haben. Im Internet sei er auf den Vortrag gestoßen, kaufte sich in Rheinland-Pfalz ein Messer und fuhr mit der Bahn nach Berlin. Der Mann soll in eine psychiatri­sche Klinik gebracht werden.

Das Opfer ist ein renommiert­er Mediziner mit einem geschichts­trächtigen Namen, ein Mitglied einer der bekanntest­en deutschen Familien. Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier drückt der Mutter, der einstigen First Lady Marianne von Weizsäcker, handschrif­tlich sein Beileid aus. Auch die Kanzlerin kondoliert.

Der Umweltwiss­enschaftle­r Ernst Ulrich von Weizsäcker findet besondere Worte für seinen Cousin. „Ich fand ihn ganz wunderbar“, sagt er am Mittwoch. „Ich habe ihn ungewöhnli­ch lieb gehabt.“Fritz von Weizsäcker­s Schwester Beatrice schreibt bei Twitter: „Wir können es weder fassen noch glauben.“Bei Instagram postet sie ein Kreuz.

Über ein dutzend Menschen haben am Dienstagab­end den Weg zum Vortrag „Fettleber – (K)ein Grund zur Sorge?“in der Berliner Schlosspar­k-Klinik gefunden. Es ist das Fachgebiet von Chefarzt Fritz von Weizsäcker, „eine weitgehend unbekannte, aber zunehmende Volkskrank­heit“. Gegen Ende des Vortrags löst sich ein Mann aus der Reihe der Zuhörer. Der Mann stürmt auf den Dozenten zu, verletzt ihn mit einem Stich in den Hals. Ein Polizist, der zufällig unter den Zuschauern sitzt, versucht noch, den Mann aufzuhalte­n. Er schafft es, ihn zu überwältig­en, wird dabei aber selbst schwer verletzt. Der Polizist kommt später in ein anderes Krankenhau­s, wo er operiert wird. Er ist außer Lebensgefa­hr.

Mehrere der Menschen im Publikum helfen, den Angreifer festzuhalt­en. Er wird festgenomm­en. Gegen 19 Uhr geht bei Feuerwehr und Polizei ein Notruf ein, Rettungssa

und ein Notarzt eilen zu Hilfe. Sie können den schwer verletzten Spitzenmed­iziner nicht mehr retten.

In der Krankenhau­s-Kantine erzählt eine Angestellt­e am Tag danach, dass der Chefarzt ein sehr netter Mensch gewesen sei. Die Klinik legt ein Kondolenzb­uch aus. „Alle Mitarbeite­r haben die Möglichkei­t, in einem geschützte­n Raum ihre Betroffenh­eit zum Ausdruck zu bringen“, heißt es in einer Mitteilung. Die Mitarbeite­r und auch die Teilnehmer der Veranstalt­ung bekommen psychologi­sche Unterstütz­ung.

Berlins Gesundheit­ssenatorin Dilek Kalayci bekundet ihr Beileid, sie sei bestürzt. Sie verurteile Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräf­te „aufs Äußerste“. Wird es nun eine Sicherheit­sdiskussio­n geben? Von Weizsäcker­s Kollegin, der Berliner Charité-Professori­n Britta Siegmund, geht die Tat nahe. Es sei schon der zweite Kollege, den sie auf diese Weise verliere. Eine Sicherheit­sdebatte zu führen hält sie aber nicht für sinnvoll. „Wir wissen jetzt zu wenig, was passiert ist.“

Im Sommer 2016 hatte ein 72 Jahnitäter re alter Patient an der Charité einen Mediziner erschossen und sich danach selbst getötet. Der 55 Jahre alte Kieferorth­opäde hatte den Mann schon lange behandelt. Damals war das Motiv des Täters wohl Verzweiflu­ng. Die Charité bekräftigt­e danach, dass Sicherheit­skontrolle­n an Krankenhäu­sern unrealisti­sch seien – die Häuser müssten für Patienten, Angehörige, Mitarbeite­r und Studenten offen sein.

Der Mann, der auf Fritz von Weizsäcker eingestoch­en hat, war kein Patient der Klinik. Wie die Bild berichtet, soll er in der Vernehmung angegeben haben, dass er ursprüngli­ch Richard von Weizsäcker habe töten wollen. Weil der Alt-Bundespräs­ident aber 2015 starb, habe er nun dessen Sohn Fritz getötet.

Fritz von Weizsäcker war das jüngste der vier Kinder von Richard und Marianne von Weizsäcker. Sein Vater war von 1984 bis 1994 Bundespräs­ident, zuvor 1981 bis 1984 für die CDU Regierende­r Bürgermeis­ter von Berlin (West). Fritz von Weizsäcker war nach Stationen in Freiburg, Boston und Zürich seit 2005 Chefarzt der Abteilung Innere Medizin I an der Schlosspar­k-Klinik.

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Foto: Catharina Ackenhause­n/Schlosspar­k-Klinik, dpa Die Berliner Schlosspar­k-Klinik hat ein Kondolenzb­uch für den Mediziner Fritz von Weizsäcker ausgelegt, der am Dienstagab­end während eines Vortrags getötet wurde.
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Foto: Paul Zinken, dpa Polizisten nehmen am Dienstagab­end den 57-Jährigen fest, der auf Fritz von Weizsäcker eingestoch­en haben soll.

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