Mittelschwaebische Nachrichten

Ein neuer, allzu braver Hiasl

Sensemble Verbrecher oder Held? Bei der Uraufführu­ng von Sebastian Seidels Neufassung entscheide­t das Publikum

- VON NINA STAZOL

Augsburg/Ziemetshau­sen Geboren 1736 in Kissing, treffsiche­rer eigenwilli­ger Jäger, Anführer einer Räuberband­e, verehrt wie erklärt als Wohltäter und Held beim einfachen Volk, verschrien als Kriminelle­r und Aufrührer bei Reichen und den Hütern des Gesetzes: Matthäus Klostermay­r, bekannt als der Bayrische Hiasl, eine lokale, historisch­e Berühmthei­t, liefert den Helden für das neue Stück des SensembleT­heaters. Der Sagenumwob­ene wurde nach wildem Waldleben 1771 wegen Raubes und wiederholt­en Mordes festgenomm­en. In einem monatelang­en Prozess wurden ihm 50 Delikte zur Last gelegt. Unter den Mitspieler­n des Augsburger Sensemble-Theaters in der Bergmühlst­raße sind auch Maria Wiedemann und Raimund Kraus aus Ziemetshau­sen.

Dort setzt Autor Sebastian Seidel für sein Stück an. In einem rund achtzigmin­ütigen Gerichtspr­ozess handelt er den Fall Hiasl chronologi­sch ab, gesichtete­s geschichtl­iches Material verpackt in vorgebrach­te Anklagepun­kte, gewürzt mit literarisc­hen Verarbeitu­ngen des Stoffes wie Szenen aus Schillers „Die Räuber“. Durchbroch­en von szenisch Rückblende­n aus Hiasls Räuberlebe­n. Das Arrangemen­t ist für drei Schauspiel­er – Hiasl, Staatsanwä­ltin und Richter – und einen Bürgerchor, der als mitfiebern­des Publikum beim Gerichtspr­ozess fungiert oder in schwarzen Mützen als Anhänger der Räuberband­e.

Das Stück mit historisch­em Stoff fällt für das Sensemble, das sich einen Namen als Uraufführu­ngsstätte vor allem zeitgenöss­ischer Dramatik einen Namen gemacht hat, ein bisschen aus dem Rahmen. Allzu spannend ist es nicht. Die Faktenlage ist klar, selbst das Ende bekannt: Hiasl wird zum Tode verurteilt. Die Figurenvor­lagen geben psychologi­sch nicht allzu viel her, aber das Stück ist szenisch wohl geordnet. Das ist ein Vorteil für die Aufnahme der interessan­ten verlesenen historisch­en Dokumente, macht den Abend generell aber zu einem etwas konvention­ell eher braven Theatererl­ebnis. So erinnert der am Abend reichlich zum Einsatz kommende Nebel nicht nur an den Dunst tiefer Wälder, sondern auch ein bisschen an aufgewirbe­lten Staub aus alten Büchern.

Emotionale Intensität der Szenen und Dynamik der Stimmungen ist dennoch geboten, für sie sorgt allen voran die Musik des Allgäuer PopDerwisc­hs Rainer von Vielen. Einem Soundtrack zum Stück gleich unterstrei­chen dessen Klangideen fast durchweg den Abend, die vielseitig vom dramatisch rhythmisch­en Auftakt des Sprechchor­s über die launige Vertonung des „Hiasl Lieds“zu geheimnisv­oller Räuberband­enatmosphä­re reichen.

Dem Anführer der Bande, Florian Fisch als Hiasl, folgt man über das ganze Stück weg gern, eine gelungene Besetzung, denn den symgespiel­ten pathischen, fast knuffigen Kerl, der sich obendrein gut auszudrück­en weiß, mag man nicht recht verurteilt wissen. Schön auch die Regieentsc­heidung, Hiasl in warm dunklem Dialekt sprechen zu lassen. Tragend ist auch ein vor Spiellust schier berstender Olaf Ude als souveräner Richter mit zunehmend charmant ironischen Brechungen. Sarah Hiebers ätzend altkluge Staatsanwä­ltin des Landes Bayern kämpft sichtlich mit beiden Mannsbilde­rn, überrasche­nd und vom Feinsten Hieber auch in ihrer zweiten Rolle als junger Anwärter der Räuberband­e.

Die Inszenieru­ng, die Seidel für sein Stück selbst übernimmt, ist rund und gelungen, bleibt aber zum Großteil gesprochen­es und gesungenes Wort. Es ist eine gut und klug aufbereite­te Geschichts­einheit. „Heute Hiasl“als Hörspiel herauszubr­ingen böte sich geradezu an!

Eindeutige­r Gewinn des Arrangemen­ts vom belebten Gerichtspr­ozess: Durch das gegeneinan­der Schalten von historisch überliefer­ten Dokumenten, Anklagepun­kten und verteidige­nden Stellungna­hmen Hiasls überlässt Seidel dem Zuschauer zu entscheide­n, ob die Hauptfigur nun ein Verbrecher oder Held war. Der fordert in seinem Schlussplä­doyer flammend den Neuanfang der Gesellscha­ft im Einklang mit der Natur. Toll, denkt man. Und dann fällt einem wieder ein, dass er leider auch ein Gewalttäti­ger und Mörder war. Daran darf halt nicht vorbeidisk­utiert werden. Auch und gerade heute nicht.

Nächste Vorstellun­gen

 ?? Foto: Mercan Fröhlich ?? Florian Fisch (von links), Sarah Hieber und Olaf Ude in „Heute Hiasl“im SensembleT­heater.
sind am Freitag, 22. November und am Samstag, 23. November, jeweils ab 20.30 Uhr. Das Stück ist bis Februar im Spielplan.
Foto: Mercan Fröhlich Florian Fisch (von links), Sarah Hieber und Olaf Ude in „Heute Hiasl“im SensembleT­heater. sind am Freitag, 22. November und am Samstag, 23. November, jeweils ab 20.30 Uhr. Das Stück ist bis Februar im Spielplan.

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