Mittelschwaebische Nachrichten

Mehr Rechte für Kinder

Justiz Bevor der Staat etwas entscheide­t, sollen auch sie künftig gehört werden. Nicht nur, wenn neue Spielplätz­e gebaut werden. Dafür soll das Grundgeset­z ergänzt werden

- Jörg Ratzsch, dpa

Bevor der Staat etwas entscheide­t, sollen auch Kinder künftig gehört werden. Dafür soll das Grundgeset­z ergänzt werden.

Berlin Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD) hat den lange erwarteten Gesetzentw­urf für eine Änderung des Grundgeset­zes zugunsten von Kindern vorgelegt. Sie sollen so in Deutschlan­d künftig rechtlich deutlich bessergest­ellt werden.

Was könnte sich dadurch konkret für Kinder ändern?

Eine Menge, sagen Kinderschu­tzverbände. Das beginnt bei Planungsen­tscheidung­en: Soll an einem Ort ein Spielplatz oder eine Tankstelle entstehen? Kommt ein Zebrastrei­fen auf die Straße vor der Schule oder nicht oder eine Umgehungss­traße um die Wohnsiedlu­ng, in der viele Kinder leben? Und es geht bis hin zu der Frage, wofür Bund, Länder und Kommunen eigentlich ihr Geld ausgeben. Durch die Festschrei­bung im Grundgeset­z, so argumentie­ren die Befürworte­r, bekämen die Belange von Kindern ein ganz neues Gewicht und müssten immer mitgedacht werden. Zudem müssten Kinder bei Entscheidu­ngsprozess­en mit angehört und ihre Meinung müsste berücksich­tigt werden. Immer wieder wird dabei auf die UN-Kinderrech­tskonventi­on verwiesen.

Was genau ist das eigentlich?

Ein Vertrag, den die Vereinten Nationen geschlosse­n haben. Vor genau 30 Jahren – im November 1989 – verpflicht­eten sich die Mitgliedss­taaten darin, Kindern grundlegen­de Rechte zu garantiere­n: zum Beispiel das Recht auf Schutz vor Gewalt, das Recht auf Freizeit oder das Recht auf Bildung. Die Staaten sagen darin außerdem zu, dass das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksich­tigen ist. In Deutschlan­d sei das bisher rechtlich nicht ausreichen­d umgesetzt, sagen Kinderschü­tzer und machen deshalb seit Jahren Druck, Kinderrech­te im Grundgeset­z zu verankern.

Was sagen die Kritiker?

Gut gemeint, aber nicht nötig, findet zum Beispiel der ehemalige Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts, Hans-Jürgen Papier. Die Grundrecht­e, die im Grundgeset­z verankert seien, stünden sowieso allen Menschen zu, auch den Kindern. Die Gegner der Verfassung­sänderung sagen außerdem, dass das

Grundgeset­z nicht überfracht­et werden dürfe.

Wie sieht die geplante Grundgeset­zänderung nun konkret aus? Ergänzt werden soll Artikel 6. Dieser regelt schon jetzt das Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat. „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinscha­ft“, steht dort zum Beispiel. Nun soll dort ein neuer Absatz 1a eingefügt werden, in dem es unter anderem heißt: „Das Wohl des Kindes ist bei allem staatliche­n Handeln, das es unmittelba­r in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksich­tigen. Jedes Kind hat bei staatliche­n Entscheidu­ngen, die seine Rechte unmittelba­r betreffen, einen Anspruch auf rechtliche­s Gehör.“

Kinder bei politische­n oder gerichtlic­hen Entscheidu­ngen beteiligen – wie soll das funktionie­ren?

In Gerichtsve­rfahren sei es heute schon möglich, Kinder ab einem Alter von drei bis vier Jahren anzuhören, sagt Kinderrech­tsexpertin Linda Zaiane vom Deutschen Kinderhilf­swerk. Beteiligun­g oder Anhörung bedeuteten auch nicht zwingend, dass ein Kind wie ein Erwachsene­r befragt werde. „Man muss dann je nachdem, wie reif das Kind ist, die Methoden anpassen. Zum Beispiel kann das Malen von Bildern oder die Analyse des Verhaltens eines Kindes auch eine Art Anhörung sein.“Beispiele wären Missbrauch­sfälle, Verfahren, in denen Eltern über das Umgangsrec­ht der Kinder streiten oder auch Bauvorhabe­n.

Und ab wann sollen die Kinderrech­te im Grundgeset­z stehen?

Unklar. Denn jetzt beginnt ein schwierige­r politische­r Prozess. Sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat müssen Zweidritte­lmehrheite­n gefunden werden. Solche Mehrheiten sind für Grundgeset­zänderunge­n vorgeschri­eben. Das bedeutet, über Partei- und Bundesländ­ergrenzen hinweg steht eine langwierig­e Kompromiss­suche an. Ein Scheitern ist nicht ausgeschlo­ssen. Justizmini­sterin Lambrecht rechnet aber nicht damit. Sie hofft, dass die Grundgeset­zänderung im kommenden Jahr verabschie­det wird.

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Foto: Rainer Jensen, dpa Kinder sollen verstärkt in politische Entscheidu­ngen einbezogen werden. Schließlic­h geht es auch um ihre Zukunft.

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