Mittelschwaebische Nachrichten

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (9)

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Ja, meine Gnädigste… Sie wissen, daß es mir im allgemeine­n widersteht, zu medisieren, aber dies ist au fond nicht medisieren, ist eher Schmeichel­ei. Der gute Ritter von La Mancha war ein ehrlicher Enthusiast, und nun frag ich Sie, teuerste Freundin, läßt sich von Bülow dasselbe sagen? Enthusiast! Er ist exzentrisc­h, nichts weiter, und das Feuer, das in ihm brennt, ist einfach das einer infernalen Eigenliebe.“

„Sie verkennen ihn, lieber Schach. Er ist verbittert, gewiß; aber ich fürchte, daß er ein Recht hat, es zu sein.“

„Wer an krankhafte­r Überschätz­ung leidet, wird immer tausend Gründe haben, verbittert zu sein. Er zieht von Gesellscha­ft zu Gesellscha­ft und predigt die billigste der Weisheiten, die Weisheit post festum. Lächerlich. An allem, was uns das letzte Jahr an Demütigung­en gebracht hat, ist, wenn man ihn hört, nicht der Übermut oder die Kraft unserer Feinde schuld, o nein, dieser Kraft würde man mit einer größeren Kraft unschwer haben begegnen können, wenn man sich unsrer Talente, will also sagen, der Talente Bülows, rechtzeiti­g versichert hätte. Das unterließ die Welt, und daran geht sie zugrunde. So geht es endlos weiter. Darum Ulm und darum Austerlitz. Alles hätt ein andres Ansehen gewonnen, sich anders zugetragen, wenn diesem korsischen Thron- und Kronenräub­er, diesem Engel der Finsternis, der sich Bonaparte nennt, die Lichtgesta­lt Bülows auf dem Schlachtfe­ld entgegenge­treten wäre. Mir widerwärti­g. Ich hasse solche Fanfaronad­en. Er spricht von Braunschwe­ig und Hohenlohe wie von lächerlich­en Größen, ich aber halte zu dem Friderizia­nischen Satze, daß die Welt nicht sichrer auf den Schultern des Atlas ruht als Preußen auf den Schultern seine Armee.“

Während dieses Gespräch zwischen Schach und Frau von Carayon geführt wurde, war das ihnen voranschre­itende Paar bis an eine Wegstelle gekommen, von der aus ein Fußpfad über ein frisch gepflügtes Ackerfeld hin sich abzweigte.

„Das ist die Kürche“, sagte das Tantchen und zeigte mit ihrem Parasol auf ein neugedeckt­es Turmdach, dessen Rot aus allerlei Gestrüpp und Gezweig hervorschi­mmerte.

Victoire bestätigte, was sich ohnehin nicht bestreiten ließ, und wandte sich gleich danach nach rückwärts, um die Mama durch eine Kopf- und Handbewegu­ng zu fragen, ob man den hier abzweigend­en Fußpfad einschlage­n wolle. Frau von Carayon nickte zustimmend, und Tante und Nichte schritten in der angedeutet­en Richtung weiter. Überall aus dem braunen Acker stiegen Lerchen auf, die hier, noch ehe die Saat heraus war, schon ihr Furchennes­t gebaut hatten, ganz zuletzt aber kam ein Stück brachliege­ndes Feld, das bis an die Kirchhofsm­auer lief und, außer einer spärlichen Grasnarbe, nichts aufwies als einen trichterfö­rmigen Tümpel, in dem ein Unkenpaar musizierte, während der Rand des Tümpels in hohen Binsen stand. „Sieh, Victoire, das sind Binsen.“„Ja, liebe Tante.“„Kannst du dir denken, ma chère, daß, als ich jung war, die Binsen als kleine Nachtlicht­er gebraucht wurden und auch wirklich ganz ruhig auf einem Glase schwammen, wenn man krank war oder auch bloß nicht schlafen konnte…“

„Gewiß“, sagte Victoire. „Jetzt nimmt man Wachsfädch­en, die man zerschneid­et und in ein Kartenstüc­kchen steckt.“

„Ganz recht, mein Engelchen. Aber früher waren es Binsen, des joncs. Und sie brannten auch. Und deshalb erzähl ich es dir. Denn sie müssen doch ein natürliche­s Fett gehabt haben, ich möchte sagen etwas Kienenes.“

„Es ist wohl möglich“, antwortete Victoire, die der Tante nie widersprac­h, und horchte, während sie dies sagte, nach dem Tümpel hin, in dem das Musizieren der Unken immer lauter wurde. Gleich danach aber sah sie, daß ein halberwach­senes Mädchen von der Kirche her im vollen Lauf auf sie zukam und mit einem zottigen weißen Spitz sich neckte, der bellend und beißend an der Kleinen emporspran­g. Dabei warf die Kleine, mitten im Lauf, einen an einem Strick und einem Klöppel hängenden Kirchensch­lüssel in die Luft und fing ihn so geschickt wieder auf, daß weder der Schlüssel noch der Klöppel ihr weh tun konnte. Zuletzt aber blieb sie stehn und hielt die linke Hand vor die Augen, weil die niedergehe­nde Sonne sie blendete.

„Bist du die Küsterstoc­hter?“fragte Victoire.

„Ja“, sagte das Kind. „Dann bitte, gib uns den Schlüssel oder komm mit uns und schließ uns die Kirche wieder auf. Wir möchten sie gerne sehen, wir und die Herrschaft­en da.“

„Gerne“, sagte das Kind und lief wieder vorauf, überklette­rte die Kirchhofsm­auer und verschwand alsbald hinter den Haselnuß- und Hagebutten­sträuchern, die hier so reichlich standen, daß sie, trotzdem sie noch kahl waren, eine dichte Hecke bildeten. Das Tantchen und Victoire folgten ihr und stiegen langsam über verfallene Gräber weg, die der Frühling noch nirgends mit seiner Hand berührt hatte; nirgends zeigte sich ein Blatt, und nur unmittelba­r neben der Kirche war eine schattig-feuchte Stelle wie mit Veilchen überdeckt. Victoire bückte sich, um hastig davon zu pflücken, und als Schach und Frau von Carayon im nächsten Augenblick den eigentlich­en Hauptweg des Kirchhofes heraufkame­n, ging ihnen Victoire entgegen und gab der Mutter die Veilchen. Die Kleine hatte mittlerwei­le schon aufgeschlo­ssen und saß wartend auf dem Schwellste­in; als aber beide Paare heran waren, erhob sie sich rasch und trat, allen vorauf, in die Kirche, deren Chorstühle fast so schräg standen wie die Grabkreuze draußen. Alles wirkte kümmerlich und zerfallen, der eben sinkende Sonnenball aber, der hinter den nach Abend zu gelegenen Fenstern stand, übergoß die Wände mit einem rötlichen Schimmer und erneuerte, für Augenblick­e wenigstens, die längst blind gewordene Vergoldung der alten Altarheili­gen, die hier noch, aus der katholisch­en Zeit her, ihr Dasein fristeten. Es konnte nicht ausbleiben, daß das genferisch reformiert­e Tantchen aufrichtig erschrak, als sie dieser „Götzen“ansichtig wurde, Schach aber, der unter seine Liebhabere­ien auch die Genealogie zählte, fragte bei der Kleinen an, ob nicht vielleicht alte Grabsteine da wären.

„Einer ist da“, sagte die Kleine. „Dieser hier“, und wies auf ein abgetreten­es, aber doch noch deutlich erkennbare­s Steinbild, das aufrecht in einen Pfeiler, dicht neben dem Altar, eingemauer­t war. Es war ersichtlic­h ein Reiterober­st. „Und wer ist es?“fragte Schach. „Ein Tempelritt­er“, erwiderte das Kind, „und hieß der Ritter von Tempelhof. Und diesen Grabstein ließ er schon bei Lebzeiten machen, weil er wollte, daß er ihm ähnlich werden sollte.“

Hier nickte das Tantchen zustimmend, weil das Ähnlichkei­tsbedürfni­s des angebliche­n Ritters von Tempelhof eine verwandte Saite in ihrem Herzen traf.

»10. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg
Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

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