Mittelschwaebische Nachrichten

Die Ziegel-Dynastie aus Donauwörth

Unternehme­n aus der Region Die Ziegelei Stengel aus Donauwörth kann auf eine jahrhunder­tealte Familientr­adition verweisen. Behaupten konnte sich die Firma auch deshalb so lange, weil sie einem ganz alten Baustoff stets neue Seiten abgewonnen hat

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Donauwörth Backsteine sind mit das älteste von Menschenha­nd geschaffen­e Baumateria­l überhaupt. Im vorderen Orient haben Archäologe­n Ziegel entdeckt, die vor über 7000 Jahren aus Ton gebrannt wurden. Auch heute noch werden Gebäude mit solchen Steinen errichtet, die im eigentlich­en Sinne keine sind. Vielmehr handelt es sich um eine „Grobkerami­k“. Das erklärt Johannes Stengel. Der 29-Jährige kennt sich damit aus. Schließlic­h ist er Industriem­eister Keramik. Doch nicht nur das: Er führt mit seinem Vater Hans zwei Ziegelwerk­e – eines in Donauwörth und eines in Neuburg an der Donau. Die beiden Männer leiten damit ein Familienun­ternehmen, das eine lange Tradition hat. Eine sehr lange. Die Ziegler namens Stengel lassen sich nämlich bis ins Jahr 1590 zurückverf­olgen.

Damals war ein gewisser Leonhard Stengel für das Kloster Kaisheim tätig, wie schriftlic­h dokumentie­rt ist. Auch die nachfolgen­den Generation­en wählten diesen Beruf. Irgendwann verließen die Ahnen Kaisheim und ließen sich ein paar Kilometer weiter südlich im Weiler Schöttle nieder und 1839 einige hundert Meter weiter im Gehöft Walbach. Von 1783 an waren die Stengels als Ziegelmeis­ter bei der Stadt Donauwörth angestellt. Dann pachtete Sebastian Stengel den städtische­n Ziegelstad­el im heutigen Ortsteil Berg, bevor sein Sohn Johann Nepomuk 1804 das Anwesen kaufte. Ziegelei und Landwirtsc­haft florierten. 1928 begann ein neues Zeitalter. Wurden die Ziegel bis dahin von Hand „gestrichen“, so produziert­e die Firma fortan mit Maschinen – und konnte ihren Ausstoß von vormals gut einer Million Ziegel pro Jahr um 50 Prozent steigern. In dieser Zeit spezialisi­erte sich Stengel auch auf Mauerziege­l, stellte also keine Dachziegel mehr her.

1937 erfolgte der nächste Umzug, raus aus dem Ort auf eine Anhöhe. Dort steht die Fabrik noch heute – und produziert in einer ganz anderen Dimension. Rund 120000 Tonnen gebrannte Ziegel sind es im Werk Donauwörth. Hinzu kommen etwa 40 000 Tonnen im Werk Neuburg, das Stengel Mitte der 1970er Jahre übernahm. Die Zahl der Backsteine lässt sich nur ganz grob schätzen. Es mögen 60 bis 70 Millionen jährlich sein. Tausende von Gebäuden wurden im Laufe der Jahrhunder­te mit dem Baustoff aus dem Hause Stengel hochgezoge­n.

Der Rohstoff für die Ziegel findet sich in Donauwörth direkt an der Fabrik und wird aus einer Lehmgrube gefördert – so wie auch an den anderen genannten Standorten in den Jahrhunder­ten zuvor. Die liegen nämlich allesamt auf einer 30 bis 60 Meter dicken Tonschicht. Die entstand vor 60 bis 70 Millionen Jahren, als sich von Süden her ein Meer bis nach Nordschwab­en ausbreitet­e. Die Alpen gab es damals noch nicht. Aus den Sedimenten bilsich der Ton. Die Rohziegel werden bei 900 Grad in einem Ofen gebrannt. Über Jahrhunder­te waren es ausschließ­lich sogenannte Vollziegel, welche die Fabrikatio­nsstätten verließen. Dieser wird nach Auskunft von Hans Stengel heute nur noch in kleinerer Stückzahl hergestell­t und hauptsächl­ich für Renovierun­gsarbeiten verwendet.

Mit der Eröffnung der Ziegelei

1937 liefen erstmals Gitterzieg­el vom Band, also Backsteine mit Luftkammer­n. Diese ermögliche­n Stengel zufolge eine bessere Wärmedämmu­ng. In den 1990er Jahren eroberten die „Planziegel“den Markt. Auf diesen wird die äußere Seite geschliffe­n. So lassen sich die Backsteine mit einem nur millimeter­dicken Mörtelband

Zuvor war eine zentimeter­starke Schicht aus Mörtel nötig, um die Steine zusammenzu­halten.

Von der Jahrtausen­dwende an hätten sich die Ziegel zu einem Hochtechno­logieprodu­kt entwickelt, schildert Hans Stengel. Seitdem bestimmten die Schlagwort­e Nachhaltig­keit, Schallschu­tz und Statik die Arbeit der Ziegler: „Die Energieein­sparverord­nung hat uns getrieben, immer etwas Neues zu entwickeln.“Man sei bestrebt, einen möglichst optimalen Kompromiss aus Dämmung, Schallschu­tz und Statik zu finden. Hier übernahm Stengel eine Vorreiterr­olle.

2008 installier­te die Firma als erste weltweit eine Anlage, in der die Hohlräume in den Ziegeln mit Mineralwol­le gefüllt werden. „Wir hätten nicht gedacht, dass sich das durchsetzt. Jetzt kommen wir mit der Produktion kaum hinterher“, so der Geschäftsf­ührer. Sein Sohn erdete klärt die Vorteile dieser Konstrukti­on: „Sie hat eine doppelt so hohe Festigkeit und einen dreimal so hohen Schallschu­tz.“Das Sortiment der Ziegelfabr­ik umfasst inzwischen über 150 unterschie­dliche Backsteint­ypen. Sie unterschei­den sich in Größe und technische­n Eigenschaf­ten. Verwendet werden sie vor allem für den Wohnbau, speziell für mehrgescho­ssige Häuser.

Die Familie Stengel ist nicht nur über Jahrhunder­te ihrem Handwerk treu geblieben, sondern hat auch einen Strukturwa­ndel überstande­n. Einst gab es über das ganze Land verteilt viele kleine Ziegeleien. Nach und nach schrumpfte ihre Zahl immer weiter. Inzwischen existieren in ganz Schwaben noch acht Ziegelwerk­e. Stengel liefert seine Ware an Kunden in einem Umkreis von rund 150 Kilometern, aber auch bis nach Tschechien, Polen und Italien. Die Zahl der Beschäf„kleben“. tigten hat sich in den vergangene­n Jahren von knapp 50 auf rund 70 erhöht. Die neuen Stellen seien hauptsächl­ich in Verwaltung, Vertrieb und Qualitätss­icherung geschaffen worden, berichtet Hans Stengel. Die Produktion sei parallel dazu derart automatisi­ert worden, dass eigentlich drei Personen pro Schicht ausreichte­n.

Für die Zukunft sehen die Stengels ihren Traditions­betrieb gut aufgestell­t. Der Tonvorrat im Boden direkt am Werk in Donauwörth würde „für einige hundert Jahre reichen“, weiß Johannes Stengel. Der aktuell genehmigte Abbau sichere die Rohstoffve­rsorgung für 30 Jahre. 20 Prozent des Materials kommen aus einer Lehmgrube nahe Offingen (Landkreis Günzburg), die ebenfalls zum Ziegelwerk gehört.

Was die Ressourcen betrifft, wären also bereits die Voraussetz­ungen für die nächste Generation der Stengels geschaffen. Es wäre dann die 18. seit 1590. Zwar sei das Geschäft immer schnellleb­iger geworden, jedoch haben Hans und Johannes Stengel keinen Zweifel daran, dass der Baustoff Ziegel weiter gefragt sein wird: „Wenn er einmal gebrannt ist, verändert er sich nicht mehr.“Die Backsteine seien wartungsfr­ei und langlebig – Vorteile, die auch bereits die Babylonier, Ägypter und Römer schätzten.

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Fotos: Wolfgang Widemann, Archiv Ziegler Ziegler in der 16. und 17. Generation: Hans Stengel (rechts) und sein Sohn Johannes vor dem Werk bei Donauwörth. Die Produktion von Dachplatte­n hat die Firma bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eingestell­t.
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