Mittelschwaebische Nachrichten

Kohle–Ausstieg macht den Strom teurer

Energie Jetzt ist klar, wann welches Kraftwerk für den Klimaschut­z geschlosse­n wird. Auf Energiever­braucher und Steuerzahl­er kommt eine Milliarden­rechnung zu, weil Konzerne und Mitarbeite­r nicht darunter leiden sollen

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Der Fahrplan für den Kohleausst­ieg ist beschlosse­n. Strom wird dadurch teurer, für die Haushalte bleiben die Mehrkosten aber im Rahmen. Ein Durchschni­ttshaushal­t mit einem Verbrauch von 3500 Kilowattst­unden pro Jahr muss mit einem Anstieg der Stromrechn­ung zwischen 14 und 50 Euro rechnen – pro Jahr. Der Aufschlag käme zu den rund 1100 Euro hinzu, die schon heute auf der Stromrechn­ung für Besitzer von Eigenheime­n stehen. Bei Wohnungen in Mehrfamili­enhäusern werden aktuell im Jahr etwa 800 Euro fällig.

Die Mehrbelast­ung ergibt sich aus einer Schätzung des Bundesverb­ands der Industrie (BDI), wie sich die schrittwei­se Abschaltun­g der Kohlekraft­werke auf den Strompreis auswirkt. Demnach klettert er in der Spanne zwischen 0,4 und 1,4 Cent je Kilowattst­unde. Für Unternehme­n, die viel Strom verbrauche­n, kann dieser Anstieg das Geschäft erschweren. Haushalte und Unternehme­n zahlen schon heute in Europa am meisten für Strom.

Der Fahrplan der Abschaltun­g kam nach einer harten Verhandlun­gsnacht zustande. Der Bund und die vier Kohlelände­r Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenbur­g und Nordrhein-Westfalen rangen bis Donnerstag­früh um Kraftwerks­blöcke, Entschädig­ungen und Milliarden an Fördermitt­eln für die Zukunft nach der Kohle. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) moderierte zwischen ihren Ministern und den Ministerpr­äsidenten, die Energiever­sorger waren per Telefon zugeschalt­et. „Es waren schwierige Gespräche“, berichtete Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) am Morgen danach.

Damit ein Kompromiss für den Klimaschut­z erreicht werden konnte, musste die Bundesregi­erung tiefer in die eigene Kasse greifen. Der Stromkonze­rn RWE bekommt insgesamt 2,6 Milliarden Euro für das vorzeitige Abschalten seiner Braunkohle­kraftwerke im rheinische­n Revier. Das sind 600 Millionen mehr als bisher vorgesehen. Dafür werden in einer ersten Runde bis 2022 nur Kraftwerke von RWE abgeschalt­et. Der Hambacher Forst am Rande eines Braunkohle­tagebaus, Schauplatz vieler Proteste, kann erhalten werden. Aber mehr Kraftwerks­mitarbeite­r und Kohlekumpe­l als bisher geplant verlieren ihre Stellen. „Wir sind bis an die Grenzen des Machbaren gegangen“, sagte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz.

Seine Leute müssen keine Angst haben, mittellos auf der Straße zu landen. Die Bundesregi­erung stellt fünf Milliarden Euro für den Vorruhesta­nd aller Betroffene­n über 58 Jahre bereit, auch für ihre Kollegen aus dem Mitteldeut­schen und Lausitzer Revier. Insgesamt arbeiten noch 20 000 Beschäftig­te im heimischen Braunkohle­bergbau.

Damit die im Osten liegenden Reviere mehr Zeit bekommen, neue Arbeitsplä­tze aufzubauen, werden die Kraftwerke dort erst später stillgeleg­t. Westdeutsc­hland geht voran. „Das ist ein Beitrag zur deutsch-deutschen Freundscha­ft“, meinte Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) erleichter­t.

Denn zuletzt hatte Sachsen-Anhalt mit Blockade gedroht. Der Lausitzer Versorger Leag bekommt 1,75 Milliarden Euro an Entschädig­ungen, womit die beiden Stromerzeu­ger zusammen knapp 4,5 Milliarden Euro erhalten.

Die Staatskass­e wird aber nicht nur mit den zehn Milliarden Euro für Entschädig­ungen und Vorruhesta­nd für die Kumpel belastet. In den nächsten 20 Jahren fließen außerdem 40 Milliarden Euro an die vier Kohlelände­r, um dort neue Unternehme­n anzusiedel­n. Dafür soll es neue Straßen, Schienen und schnelles Internet geben.

Für Bayern und Baden-Württember­g bedeutet die Zwangsrent­e von Kohlekraft­werken, dass Gaskraftwe­rke wieder rentabel werden. Ab 2022 könnte das zum Beispiel für das Kraftwerk Irsching gelten, das die Betreiber am liebsten abschalten würden, weil es kein Geld verdient. Bayern betrachtet Gaskraftwe­rke als absolut notwendig für die sichere Energiever­sorgung. Denn einerseits liegen die geplanten Stromautob­ahnen von Nord nach Süd Jahre hinter dem Plan, anderersei­ts verfügt der Freistaat über zu wenige Windparks als Alternativ­e.

Das Abschalten der Kohlekraft­werke steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass in Deutschlan­d weitaus mehr Windräder und Solarfelde­r gebaut werden. Wegen großen Widerstand­s von Bürgerinit­iativen ist der Zubau von Windrädern aber beinahe zum Erliegen gekommen. Die von CDU und CSU geplanten strengen Abstandsre­geln zu Siedlungen könnten das noch erschweren. Im Jahr 2038 sollen die letzten deutschen Kohlekraft­werke vom Netz gehen.

Noch 20 000 Beschäftig­te im Braunkohle­tagebau

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Foto: Armin Weigel, dpa Das Gaskraftwe­rk Irsching östlich von Ingolstadt könnte in Zukunft wieder rentabel werden.

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