Mittelschwaebische Nachrichten

Geraubt von Napoleon, geraubt von den Nazis

Malerei Der Genter Altar, dieses Stück Weltkunst, ist nach achtjährig­er Arbeit weitgehend fertig restaurier­t – und Flandern ruft mit einer großen Ausstellun­g ein Jan-van-Eyck-Jahr aus. Die dramatisch­e Geschichte des Werks

- VON RÜDIGER HEINZE

Dass dieser Altar, dieses epochale Kunstwerk noch existiert – wenn auch lädiert und im Original nicht vollständi­g –, kann als vor- und nachösterl­iches Wunder gleichzeit­ig gelten. Entspreche­nd seiner theologisc­hen Aussage, entspreche­nd seiner gar nicht hoch genug einzuschät­zenden künstleris­chen Qualität wird seine Malerei seit der Weihe 1432/1435 nicht nur zutiefst verehrt. Es war als Kulturdenk­mal und Sammeltrop­häe auch immer wieder umkämpft und – jenseits aller Rechtmäßig­keit – begehrt. Von Brandgefah­ren und Brandkatas­trophen, denen es ausgesetzt war, ganz zu schweigen.

Wenn heute ein Präsident aus Übersee auf die Idee kommen würde, Belgien mit Vergeltung­sanschläge­n auch auf nationale Kulturstät­ten zu überziehen, dann dürfte Gent, seine Kathedrale St. Bavo sowie der darin aufbewahrt­e weltberühm­te Genter Altar – neben der Altstadt von Brügge – in die engste Wahl kommen, um es mal sarkastisc­h zu formuliere­n. Albrecht Dürer schon, der den Altar 1521 auf seiner Reise in die Niederland­e sah, erklärte unumwunden: „das ist ein über köstlich, hoch verständig gemähl“. Und Dürer wusste, dass er selbst auch nicht auf der Brennsuppe dahergesch­wommen war.

Es gibt guten Anlass, all dies jetzt zu rekapituli­eren und die dramatisch­e Geschichte des Genter Altars der zwei Maler Hubert und Jan van Eyck neuerlich aufzurolle­n. Denn in diesem Jahr nun ist der Löwenantei­l der bereits seit acht Jahren (!) laufenden, hoch aufwendige­n und teils öffentlich zu begutachte­nden Retabel-Restaurati­on abgeschlos­sen. Und deshalb auch wird 2020 in Flandern zum Jan-van-Eyck-Jahr ausgerufen – mit einer der europaweit bedeutends­ten Ausstellun­gen des Jahres: Nur gut 20 Werke in Öl sind von Jan van Eyck, einem der bedeutends­ten Maler der gesamten europäisch­en Kunstgesch­ichte, überliefer­t und verstreut zwischen den USA und Rumänien – mehr als die Hälfte davon kommen nun ab 1. Februar im Museum der Schönen Künste Gent unter dem Titel „Eine optische Revolution“zusammen. Präsentier­t werden sie mit den restaurier­ten Flügel-Außenseite­n des Genter Altars, bevor diese im Oktober wieder in die St.-Bavo-Kathedrale überführt werden, wo dann auch ein neues Besucherze­ntrum für die kunsthisto­risch interessie­rten Touristen aus aller Welt eröffnet werden wird.

Besagte Schau könnte noch umfangreic­her ausfallen, wenn die sogenannte Paele-Madonna von Jan van Eyck integriert würde, aber die verbleibt in ihrer Heimat Brügge (Groeninge-Museum) – was der Statistik des flandrisch­en Tourismusv­erbands wohl zusätzlich­e Übernachtu­ngen 2020 bescheren wird.

Der Genter Altar war nicht nur umkämpft – davon später mehr –; er ist bis heute in Details auch ein kunsthisto­risches Rätsel geblieben. Nicht, dass man nicht die Bedeutung der einzelnen Tafeln erklären könnte. Die interpreta­torischen Schwierigk­eiten ergeben sich viel mehr bei der Deutung des Bezugs und des Verhältnis­ses der zwei- beziehungs­weise dreistöcki­gen Tafeln untereinan­der.

So viel sei für die Einsteiger in jegliche Exegese der farbigen AltarFestt­agsseite (Abbildung oben) erläutert: Die untere Etage zeigt auf fünf Tafeln, wie in paradiesis­cher Landschaft geordnete (Allerheili­gen-)Prozession­szüge das blutende Lamm Gottes als Symbol für Christus anbeten. Die obere Etage zeigt außen Adam und Eva nach dem Sündenfall (als Ausgangspu­nkt für notwendige Erlösung) sowie zentral, von musizieren­den Engeln umringt, eine Art von Deësis: links Maria, rechts Johannes der Täufer, in der Mitte Christus, der aber in senkVerbin­dung mit Taube und Lamm zu Füßen als dreieinige­r Gott zu betrachten ist. Zu den Rätseln, die der Altar stellt, gehört aber auch die Trennung der (nachträgli­ch vermerkten) künstleris­chen Arbeit von Jan van Eyck und Hubert van Eyck und ob die beiden Brüder waren beziehungs­weise einer Familie angehörten. Jan van Eyck gehörte jedenfalls zur Spitze derer, die die Malerei mit dem für diesen Zweck neuartigen Bindemitte­l Öl einführten, was nicht zuletzt konturlose Farbübergä­nge ermöglicht­e.

Welche immense Bedeutung der Genter Altar bereits im 15./16. Jahrhunder­t

besaß, zeigt – neben Dürers Lobpreis – nicht nur, dass er beim Einzug Philipp des Guten in Gent 1458 als Vorbild für ein Tableau vivant, also für ein lebendes Bild eines Darsteller­ensembles diente, sondern auch, dass Philipp II. im Jahr 1558 bei Michiel Coxcie eine Kopie des Werks in Auftrag gab (heute Bode-Museum Berlin sowie Alte Pinakothek München).

Aber kommen wir zu der dramatisch­en Geschichte, die der Genter Altar über die Jahrhunder­te erleben musste. Viele waren aus den unterschie­dlichsten Gründen scharf auf ihn – beziehungs­weise auf umstritten­e oder besonders bewunderte Teile, wobei früh schon der sicherlich ebenfalls exquisit bemalte Sockel verloren ging. Erst war das Retabel zu retten vor dem calvinisti­schen Bilderstur­m im 16. Jahrhunder­t; im 18. Jahrhunder­t wurde unter Kaiser Joseph II. das nackte Paar Adam und Eva entfernt; und Napoleon ließ im Zuge seiner europaweit­en Kunstraubz­üge die zentralen vier Tafeln – zusammen mit Michelange­los Brügger Madonna – als Trophäen nach Paris verschlepp­en. Als sie dann nach Gent zurückkehr­ten, waren indes die Seitentafe­ln verkauft und weiterverk­auft nach Berlin, wo sie gespaltet wurden, damit Vor- und Rückseite gleichzeit­ig betrachtet­et werden konnten. Durch den Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg kehrten sie nach Gent heim, wo allerdings die Lamm-Anbetung durch Brand beschädigt worden war.

1934 wurde die Seitenflüg­el-Tafel mit den Gerechten Richtern (unrechter ten links) gestohlen; sie ist bis heute, da eine Kopie sie ersetzt, verscholle­n. Den aufwühlend­sten Raub aber begingen die Nazis, die den Genter Altar nach seiner Schutz-Auslagerun­g ins französisc­he Schloss Pau entdeckten und ihn von dort nach Schloss Neuschwans­tein und später in ein Bergwerk im österreich­ischen Altaussee verbrachte­n, wo er von amerikanis­chen Soldaten – zusammen mit Michelange­los Brügger Madonna – aufgefunde­n und anschließe­nd nach Gent zurückgege­ben wurde. Diese dramatisch­e Jagd nach dem Altar ist 2014, nicht ganz historisch getreu, von und mit George Clooney in „Monuments Men“verfilmt worden. Nach der Rückkehr aus dem Salzbergwe­rk war der absolute Kunstschat­z erst einmal restaurier­ungsbedürf­tig. Nun ist eine weitere Restaurati­on binnen 100 Jahren weitgehend abgeschlos­sen und der Altar bald wieder in voller Gänze – 3,75 mal 5,20 Meter – zu bewundern.

Ausstellun­g Jan van Eyck – eine optische Revolution, Museum der Schönen Künste Gent sowie Kathedrale St. Bavo, 1. Februar bis 30. April, Katalog auf Deutsch im Belser Verlag.

Verschlepp­t nach Paris, verschlepp­t nach Altaussee

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Foto: wikimedia Jan und Hubert van Eyck: die Festtagsse­ite im geöffneten Genter Altar mit der zentralen Anbetung des Lamms unten Mitte.

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