Mittelschwaebische Nachrichten
Auf die Balkone, an die Fenster!
Coronavirus Italien, Brasilien, Köln – die Menschen schaffen sich in der Krise eigene Bühnen
Köln Je kleiner die Wohnung, desto gemeiner fühlt sich die Corona-Ausgangssperre an. Wer weder Garten, Terrasse noch Balkon besitzt, wird schneller die eigenen vier Wände hochgehen, die den geschrumpften Aktionsradius markieren – oder besser zu Mandoline, Flöte und Vuvuzela greifen und gemeinsam mit den Nachbarn musizieren.
Wer hat’s erfunden? Nein, nicht die Schweizer, sondern die Italiener – also Europas erfahrenste Kämpfer gegen das Virus. Da wird von Fenster zu Fenster gemeinsam musiziert und gesungen. Kinder trommeln, Hunde jaulen. An den Abenden schwillt der „Flashmob sonoro“– zu Deutsch klingender Flashmob – in den Städten zu einer diffusen Klangwelle an, die Furcht, Einsamkeit und Langeweile für einen Moment hinwegspülen soll.
Die Kölner dürften hierzulande den Italienern in puncto Geselligkeit am nächsten kommen. Zwar stehen sie noch nicht unter Quarantäne, dennoch erschienen sie Punkt 21 Uhr am Dienstagabend auf Balkonen oder an Fenstern – und schmetterten „Viva Colonia“? Eben nicht. Sie bejubelten – animiert von einem Aufruf in den sozialen Netzwerken – kollektiv Helfer und Helden, die trotz der tückischen Bedrohung in feiner Tröpfchenform auf dem Posten bleiben, damit die Schwachen und Kranken nicht fürchten müssen, im Stich gelassen zu werden.
Ob es die Italiener oder die Kölner waren, die die Brasilianer inspiriert haben, muss an dieser Stelle offenbleiben. Sicher ist, dass es in Rio und 20 Städten weder um konzertante Fröhlichkeit noch um Solidarität mit den tapferen Frauen an der Supermarktkasse noch um selbstlose Ärzte und Pfleger geht. „Panelaços“heißen die ohrenbetäubenden Kundgebungen, bei denen die Menschen Töpfe und Pfannen aneinanderschlagen. Stimmlich garniert mit „Bolsonaro raus“-Rufen. Präsident Jair Bolsonaro soll nicht überhören können, dass die Bevölkerung gar nichts davon hält, dass sich ihr Präsident über den Coronavirus wie ein Pubertierender lustig macht.