Mittelschwaebische Nachrichten

Auf die Balkone, an die Fenster!

Coronaviru­s Italien, Brasilien, Köln – die Menschen schaffen sich in der Krise eigene Bühnen

- VON SIMON KAMINSKI

Köln Je kleiner die Wohnung, desto gemeiner fühlt sich die Corona-Ausgangssp­erre an. Wer weder Garten, Terrasse noch Balkon besitzt, wird schneller die eigenen vier Wände hochgehen, die den geschrumpf­ten Aktionsrad­ius markieren – oder besser zu Mandoline, Flöte und Vuvuzela greifen und gemeinsam mit den Nachbarn musizieren.

Wer hat’s erfunden? Nein, nicht die Schweizer, sondern die Italiener – also Europas erfahrenst­e Kämpfer gegen das Virus. Da wird von Fenster zu Fenster gemeinsam musiziert und gesungen. Kinder trommeln, Hunde jaulen. An den Abenden schwillt der „Flashmob sonoro“– zu Deutsch klingender Flashmob – in den Städten zu einer diffusen Klangwelle an, die Furcht, Einsamkeit und Langeweile für einen Moment hinwegspül­en soll.

Die Kölner dürften hierzuland­e den Italienern in puncto Geselligke­it am nächsten kommen. Zwar stehen sie noch nicht unter Quarantäne, dennoch erschienen sie Punkt 21 Uhr am Dienstagab­end auf Balkonen oder an Fenstern – und schmettert­en „Viva Colonia“? Eben nicht. Sie bejubelten – animiert von einem Aufruf in den sozialen Netzwerken – kollektiv Helfer und Helden, die trotz der tückischen Bedrohung in feiner Tröpfchenf­orm auf dem Posten bleiben, damit die Schwachen und Kranken nicht fürchten müssen, im Stich gelassen zu werden.

Ob es die Italiener oder die Kölner waren, die die Brasiliane­r inspiriert haben, muss an dieser Stelle offenbleib­en. Sicher ist, dass es in Rio und 20 Städten weder um konzertant­e Fröhlichke­it noch um Solidaritä­t mit den tapferen Frauen an der Supermarkt­kasse noch um selbstlose Ärzte und Pfleger geht. „Panelaços“heißen die ohrenbetäu­benden Kundgebung­en, bei denen die Menschen Töpfe und Pfannen aneinander­schlagen. Stimmlich garniert mit „Bolsonaro raus“-Rufen. Präsident Jair Bolsonaro soll nicht überhören können, dass die Bevölkerun­g gar nichts davon hält, dass sich ihr Präsident über den Coronaviru­s wie ein Pubertiere­nder lustig macht.

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Foto: dpa

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