Mittelschwaebische Nachrichten

Die Krisen-Kanzlerin

Regierung Mit ihrer eindringli­chen Fernsehans­prache hat Angela Merkel die zentrale Rolle im Kampf gegen das Coronaviru­s übernommen. Dabei hilft ihr, dass die Koalition einig ist

- VON STEFAN LANGE

Berlin Es ist, als ob der Kampf um Leben und Tod, um den es in den kommenden Wochen und Monaten in Deutschlan­d geht, die Bundeskanz­lerin in der letzten Phase ihrer bald 15-jährigen Regierungs­zeit verändert. Angela Merkel erklärt, wirbt um Verständni­s für ihre Entscheidu­ngen, findet hochemotio­nale Worte, sie spricht zu den Bürgern. In der Corona-Krise scheint der 65-Jährigen all das wichtig, was ihr die Kritiker sonst immer als Defizit vorgehalte­n haben

Selbst der politische Gegner ist beeindruck­t. „Das war eine sehr bewegende Ansprache. Danke, Angela Merkel, für Klarheit, Besonnenhe­it, Tatkraft“, sagte etwa die stellvertr­etende SPD-Fraktionsv­orsitzende Eva Högl. Der Auftritt der Kanzlerin im Fernsehen – er wurde zur Punktlandu­ng. „Ganz ehrlich? Ich bin gerade ziemlich froh, dass der Stab noch nicht gewechselt hat“, sagte ein CDU-Mann, der ansonsten eigentlich zu den Unterstütz­ern des Merkel-Widersache­rs Friedrich Merz zu zählen ist.

Zwar waren Merkels Beliebthei­tswerte bei den Wählern schon vor der Corona-Krise besser als die aller anderen Spitzenpol­itiker. Mit der Krise dürften sie einen weiteren Schub bekommen. Der Grund ist geradezu paradox: Merkel tritt bald ab, sie muss nicht mehr auf Beliebthei­tsskalen schielen und kann befreit von allen Macht- und Karrierezw­ängen arbeiten. Weil ihr also Umfragewer­te egal sein können, werden die ansteigen. Vor allem aber: Merkel ist in Krisen gut, ohne Krisen ist sie es eher nicht.

Die Finanz- und Eurokrise ist dafür das beste Beispiel. Als diese 2007 auf internatio­nalem Parkett begann und dann langsam Europa in den Sog zog, schwang sich Merkel zu großer Form auf. Sie war präsent, erklärte, beruhigte aufgeregte Sparerseel­en. Gleichzeit­ig zwang sie in langen Brüsseler Nächten die Staatsund Regierungs­chefs der anderen Euro-Staaten erst in die Knie und anschließe­nd zur Unterschri­ft unter einen Stabilität­s- und Wachstumsp­akt. Als die Krise dann auch wegen dieses Paktes abebbte, verlor Merkel den Kompass. Ihre Umfragewer­te und die der CDU rutschten bis 2010 auf neue Tiefstwert­e. Bis die nächste Krise auf den Plan trat.

Als Reaktion auf die Reaktorkat­astrophe in Fukushima löste sich Merkel im März 2011 sogar von den Leitlinien ihrer Partei und folgte einzig und allein ihrem Gewissen. Die damalige CDU-Chefin erklärte den endgültige­n Ausstieg Deutschlan­ds aus der Atomenergi­e. Es waren, wie sie später verriet, tatsächlic­h die Bilder aus Japan, die sie zu diesem Schritt bewogen hatten. Damals entschied Merkel mit einem kurzen und knappen „Wir machen das“ähnlich impulsiv wie bei ihrem „Wir schaffen das“bei der nächsten Krise, den Flüchtling­sbewegunge­n im Oktober 2015.

Auch die Corona-Krise weckt das Menschlich­e in der ansonsten eher nüchternen Analytiker­in Angela Merkel. Ihr Wunsch, erstmals außerhalb der üblichen Neujahrsre­den eine Fernsehans­prache ans Volk zu halten, entsprang nicht dem Geltungsdr­ang, wie ihn andere Politiker gerade zeigen. Vor allem zwei Passagen zeigen die persönlich­e Betroffenh­eit. Sie, die ein sehr enges Verhältnis zu ihrer letztes Jahr gestorbene­n Mutter Herlind Kasner pflegte, wies eindringli­ch darauf hin, dass die behördlich­en Einschränk­ungen „nicht einfach abstrakten Zahlen in einer Statistik“entspringe­n würden. Dahinter stehe vielmehr „ein Vater oder Großvater, eine Mutter oder Großmutter, eine Partnerin oder Partner, es sind Menschen“, erklärte Merkel, die gleichzeit­ig ergänzte: „Und wir sind eine Gemeinscha­ft, in der jedes Leben und jeder Mensch zählt.“

Aufmerksam müssen auch diese Sätze gelesen werden: „Lassen Sie mich versichern: Für jemandem wie mich, für die Reise- und Bewegungsf­reiheit ein schwer erkämpftes Recht waren, sind solche Einschränk­ungen nur in der absoluten Notwendigk­eit zu rechtferti­gen.“Immer wieder hat Merkel in der Vergangenh­eit darauf hingewiese­n, welchen Eindruck und auch welchen Einfluss das DDR-Regime auf sie hatte, in dem sie aufwuchs. Den Deutschen diese Ketten anzulegen, die mit dem Fall der Mauer schon gesprengt schienen, wird ihr deshalb keine leichtfert­ige Entscheidu­ng gewesen sein.

Trotzdem bleibt Merkel die, die sie ist. Ihr Fernseh-Auftritt ist anders als der des pathetisch­en Präsidente­n Frankreich­s, Emmanuel Macron, oder des jugendlich wirkenden österreich­ischen Bundeskanz­lers Sebastian Kurz. In Zeiten der Krise holt die Physikerin ihr wissenscha­ftliches Handwerksz­eug hervor. Sie analysiert, strukturie­rt, zieht Schlüsse und formuliert Konsequenz­en. Ausdrückli­ch wiederholt Merkel bei ihren Auftritten immer wieder die Zahlen, die ihr die Experten sagen.

Merkel hat gerade das Glück, in einem Umfeld agieren zu können, das sie in ihrem Walten bedingungs­los unterstütz­t. Da ist etwa der Chef des Bundeskanz­leramtes, Helge Braun, den sie einst als Nachfolger von Peter Altmaier (beide CDU) in das Büro holte, das dem ihren auf der anderen Seite des Ehrenhofs im Kanzleramt auf Augenhöhe gegenüber liegt. Oder Regierungs­sprecher Steffen Seibert, der im August auf zehn Jahre Dienst an Merkels Seite zurückblic­ken kann. Wie seine Chefin wird auch er dem Vernehmen nach keine weitere Legislatur­periode im Amt bleiben. Im Gegensatz zu Gesundheit­sminister Jens

Spahn, der noch die ganz große Karriere machen möchte, gleichwohl aber diese Tage einen soliden Job macht und keine nervigen Starallüre­n an den Tag legt.

Die Krise bringt es mit sich, dass sogar die Debatten um eine vorzeitige Ablösung der Kanzlerin verstummt sind. Von einer Verjüngung des Kabinetts im Sommer mag derzeit nicht einmal CSU-Chef Markus Söder sprechen. Die Neubesetzu­ng der CDU-Spitze ist verschoben auf unbestimmt­e Zeit, verstummt sind die Wahlkampfr­eden der Hauptbewer­ber Norbert Röttgen, Friedrich Merz und Armin Laschet. Auch das verschafft Merkel den Raum, um zum womöglich letzten großen Coup in ihrer politische­n Karriere noch mal richtig Atem zu holen: Für Merkel birgt die Krise die Chance, sich ein politische­s Denkmal zu setzen.

In der Eurokrise war sie zwar vornean, aber es gab auch andere Akteure. Die Flüchtling­sbewegung kostete sie Reputation. Die Steuerung durch eine Epidemie wie die aktuelle hingegen öffnet die Tür zu den Stuben der Geschichts­schreiber. Selbst wenn die schlimmste­n Auswirkung­en bald beendet sein sollten, dürften beispielsw­eise die wirtschaft­lichen Folgen noch lange nachwirken. Merkel kann ihre Qualitäten als Krisen-Kanzlerin also noch lange ausspielen. Sollte sie Erfolg haben, wäre da am Ende wohl kaum einer, der ihr den Ruhm dafür nicht gönnt.

 ?? Foto: Shan Yuqi, Imago Images ?? Der Kampf gegen das Coronaviru­s stellt das ganze Land auf die Probe. Die Kanzlerin versucht, verunsiche­rte Bürger und die Wirtschaft zu beruhigen.
Foto: Shan Yuqi, Imago Images Der Kampf gegen das Coronaviru­s stellt das ganze Land auf die Probe. Die Kanzlerin versucht, verunsiche­rte Bürger und die Wirtschaft zu beruhigen.

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