Mittelschwaebische Nachrichten

Immun gegen Corona? Geht nach Hause, ihr Revoluzzer!

Die Welt kämpft gegen das Virus, doch immer noch gibt es zu viele Menschen, die sich nichts vorschreib­en lassen wollen. Sie fühlen sich stark – und riskieren damit das Leben der anderen

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger-allgemeine.de

Der Frühling kommt, die Natur erwacht, die Biergärten füllen sich, Schüler feiern im Park, Gedränge auf dem Münchner Viktualien­markt, Schlangen an Eisdielen. Es wäre so großartig, wenn es nicht so dumm wäre. Zu viele Menschen ignorieren die Appelle von Wissenscha­ftlern, die Vorgaben der Regierung und die Sonderseit­en mit Todesanzei­gen in italienisc­hen Zeitungen. Manche wollen sich partout nicht vorschreib­en lassen, wie sie zu leben haben. Manche sind naiv. Manche gefallen sich darin, der vermeintli­chen Hysterie zu widerstehe­n. Alle gefährden damit Menschenle­ben.

Neben der großen Solidaritä­t mit denen, für die Corona tödlich sein kann, erleben wir in diesen Tagen leider auch ein Phänomen, das ein Kollege ziemlich treffend als Wohlstands­trotz bezeichnet hat. In dem Gefühl, dass ihnen selbst das Virus nichts anhaben kann, zelebriere­n vor allem jüngere Menschen die „Corona-Ferien“, stürzen sich ins Leben – und andere in Lebensgefa­hr. Es ist ja richtig, dass der Alltag weitergehe­n muss. Und natürlich wäre es Quatsch, sich bei diesem Wetter zu Hause zu verbarrika­dieren. Frische Luft tut nicht nur der Seele gut, sondern stärkt auch die Abwehrkräf­te. Aber da draußen ist genug Platz für alle.

Ist es denn wirklich zu viel verlangt, größeren Menschenme­ngen aus dem Weg zu gehen? Ist es denn ernsthaft so schwer zu verstehen, dass gerade die Starken und Gesunden den Schwachen und Kranken schon damit helfen können, dass sie das Virus nicht weiterverb­reiten?

es um Klimawande­l oder Staatsvers­chuldung geht, werfen die Jungen den Alten oft Ignoranz vor. Sie fragen zu Recht: Wer denkt dabei eigentlich an uns, an die künftigen Generation­en? In der Corona-Krise sind es nun die Alten, die auf Solidaritä­t angewiesen sind. Eine Gesellscha­ft kann nur funktionie­ren, wenn die Mehrheit der Versuchung widersteht, „Nach mir die Sintflut“zum persönlich­en Lebensmott­o zu machen.

Eine gewisse Skepsis gegenüber einem Staat, der besser zu wissen glaubt, was für seine Bürger gut ist als sie selbst, ist vollkommen in Ordnung. Die Corona-Krise ist eine nie dagewesene Herausford­erung für unsere freie Gesellscha­ft. Jede neue Einschränk­ung fühlt sich wie eine kleine Entrechtun­g an. Wir sind es einfach nicht mehr gewöhnt, dass unserem freien Willen, unserer Selbstentf­altung irgendwelc­he Grenzen gesetzt werden. Und es ist ja auch gar nicht so einfach, Gewohnheit­en aufzugeben. Aber meinen die selbst ernannten Revoluzzer, die sich darin gefallen, gegen den angebliche­n MainWenn stream anzuschwim­men, ernsthaft, dass sie die Lage besser einschätze­n können als Ärzte und Virologen? Lassen sie sich nur durch eine Ausgangssp­erre zur Vernunft zwingen? Glauben sie wirklich, dass Deutschlan­d immun ist, wenn in Italien gleichzeit­ig tausende Menschen an diesem Virus sterben? Erwachsene in der Trotzphase – welch dreiste Anmaßung!

Die Regierunge­n versuchen, ihrer Verantwort­ung gerecht zu werden. Was richtig war und was falsch, was zu zaghaft war und was übertriebe­n, das werden wir erst sehr viel später wissen. Klar ist aber schon jetzt: Um diese Probe gemeinsam zu bestehen, muss auch jeder Einzelne Verantwort­ung übernehmen. Jede nicht geschüttel­te Hand kann helfen, andere zu schützen – am Ende auch die eigenen Eltern oder Großeltern.

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Foto: dpa Als gäbe es kein Corona: Ausflügler am Starnberge­r See.

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