Mittelschwaebische Nachrichten

„Ausgangssp­erren muss man sehr genau begründen“

Interview Der FDP-Rechtsexpe­rte Jürgen Martens fordert sensiblen Umgang mit der Maßnahme und erklärt die Grundlagen

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Herr Martens, wie sehen Sie als Liberaler und FDP-Rechtsexpe­rte, dass in Deutschlan­d durch die Coronaviru­sKrise plötzlich über Ausgangssp­erren diskutiert wird? Wird hier leichtfert­ig nach dem starken Staat gerufen – vielleicht auf Kosten der Freiheitsr­echte? Jürgen Martens: Es geht hier nicht darum, dass der Staat die Muskeln spielen lässt, Ausgangssp­erren müssen im Einzelfall sehr genau begründet werden, wenn sie vor Ort notwendig sind. Wir sind in einer Ausnahmesi­tuation, wie Bundeskanz­lerin Angela Merkel richtig dargelegt hat. Aber das heißt auch, dass sich alle Beteiligte­n der Bedeutung und der Schwere solcher Maßnahmen bewusst sind und entspreche­nd sensibel damit umgehen. Auch das Androhen solcher Maßnahmen, sollte nur begründet auf Grundlage entspreche­nder Erkenntnis­se und Daten erfolgen.

Gibt es eine ausreichen­de Rechtsgrun­dlage? Das Wort Ausgangssp­erre kommt wohl aus gutem Grund in keinem deutschen Gesetz vor ... Martens: Das Infektions­schutzgese­tz sieht Sperrzonen vor, die man auf größere Flächen anwenden kann. Das ist eine ausreichen­de Rechtsgrun­dlage für kurzfristi­ge und begrenzte Maßnahmen. Die Durchführu­ng ist Ländersach­e, aber hier sich Bund und Länder auf ein gemeinsame­s Vorgehen verständig­en, wie wir es bei den bisherigen Entscheidu­ngen gesehen haben. Aber solche Entscheidu­ngen müssen gut begründet und eingegrenz­t sein: Denn solche Allgemeinv­erfügungen sind immer vor Gericht überprüfba­r. Da müssen die Behörden genau darlegen können, dass solche Maßnahmen im Rahmen der Verhältnis­mäßigkeit liegen.

Was bedeutet der Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit bei so einer drastische­n Maßnahme?

Martens: Das heißt, die Maßnahmen müssen sowohl erforderli­ch als auch geeignet sein, das Virus einzudämme­n, ohne dass entspreche­nd mildere Maßnahmen zur Verfügung stehen. Deshalb ist hier ein stufenweis­es Vorgehen angebracht, indem zum Beispiel erst Veranstalt­ungen abgesagt werden. Wenn Aufforderu­ngen an die Bevölkerun­g, zu Hause zu bleiben, nichts bewirken, dann braucht man eben auch weitergekö­nnen hende Mittel. Aber abgesehen von besonderen Ausnahmesi­tuationen wie im Fall Mitterteic­h im Landkreis Tirschenre­uth ist die Diskussion eher theoretisc­h und hängt vom Verhalten der Bevölkerun­g ab. Doch wer Corona-Partys im Park veranstalt­et, darf sich nicht beschweren, wenn die Antwort der Behörden darauf tatsächlic­h Ausgangssp­erren sind. Interview: Michael Pohl

„Es geht hier nicht darum, dass der Staat die Muskeln spielen lässt.“

FDP-Rechtesexp­erte Jürgen Martens

Jürgen Martens (60) Der Rechtsexpe­rte der FDP-Fraktion war bis 2014 sächsische­r Justizmini­ster.

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