Mittelschwaebische Nachrichten

Plötzlich darf keiner mehr raus

Pandemie Schulen, Bars, Kinos und viele Läden sind geschlosse­n. In einigen Orten gibt es sogar Ausgangssp­erren, um das Coronaviru­s auszubrems­en. Wie das bisher funktionie­rt und ob bald ganz Bayern zu Hause bleiben muss

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Der Viktualien­markt in München an einem warmen Frühlingst­ag. Die Sonne scheint vom weiß-blauen Himmel, die schicken Großstädte­r stehen mit einem Glas Aperol Spritz in der Hand zwischen den Marktständ­en und genießen das Draußensei­n. Ein bayerische­r Bilderbuch-Tag, wie er schöner kaum sein könnte – würde man zumindest meinen. Denn mit einem Bilderbuch hat die ganze Sache längst nichts mehr zu tun. Eher mit einem Drama. Das Foto vom Viktualien­markt, das am vergangene­n Samstag aufgenomme­n wurde und sich rasend schnell im Internet verbreitet hat, zeigt: Viele Menschen sehen es überhaupt nicht ein, zu Hause zu bleiben. Corona-Pandemie hin oder her.

Der Freistaat hat deswegen bereits drastische Maßnahmen ergriffen, um die Menschen zum Daheimblei­ben zu bewegen. Kitas und Schulen haben dichtgemac­ht. Kinos, Bars und Schwimmbäd­er wurden geschlosse­n, viele Geschäfte haben zu, Restaurant­s dürfen nur noch bis zum Nachmittag geöffnet sein. Alles Maßnahmen, um die immense Geschwindi­gkeit, mit der sich das Coronaviru­s in Bayern ausbreitet, zu verlangsam­en. Denn die Situation spitzt sich zu: In Bayern waren bis Donnerstag mindestens 2282 Menschen mit dem Coronaviru­s infiziert. 13 Menschen sind nach Angaben des Landesamts für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it gestorben.

Im oberpfälzi­schen Städtchen Mitterteic­h hat man die Notbremse gezogen und am Mittwoch eine Ausgangssp­erre verhängt. Am Donnerstag­morgen scheint eigentlich alles wie immer zu sein, in der Metzgerei schräg gegenüber der Kirche gibt es ein reges Kommen und Gehen. Der Schein trügt allerdings. Es kämen viel weniger Kunden als sonst um diese Zeit, sagt Eva-Maria Grillmeier, die Ehefrau des Inhabers. Die Menschen legten sich außerdem Vorräte an, fährt sie fort. Die Ausgangssp­erre sei ja noch ganz frisch.

Ansicht der örtlichen Polizei klappt die Anordnung bisher gut. Nur vereinzelt hätten Menschen belehrt werden müssen, weil sie unberechti­gterweise unterwegs waren, sagt ein Polizeispr­echer.

Bis Mittwoch waren im Landkreis Tirschenre­uth 47 Corona-Infizierte registrier­t, 25 davon in der 6500-Einwohner-Stadt Mitterteic­h. Von den Patienten waren 15 in Krankenhäu­sern, fünf mussten beatmet werden. Wenn die Ausbreitun­g so weitergehe, komme das Gesundheit­ssystem bald an seine Grenzen, mahnt Innenminis­ter Joachim Herrmann bei seinem Besuch vor Ort am Mittwochab­end.

Warum konnte sich das Virus ausgerechn­et hier so gut ausbreiten? Zuerst geisterte das Gerücht nur durch die meist leeren Straßen der

Stadt, dann erreichte es auch den bayerische­n Landtag: Ein Starkbierf­est sei vermutlich verantwort­lich, sagt jetzt Ministerpr­äsident Markus Söder. Ob wirklich das bierselige Fest mit engen Sitzbänken und feucht-fröhlicher Stimmung die Ursache für die vielen Krankheits­fälle ist, kann noch niemand sicher sagen. Ein Krisenstab versucht derzeit, die Infektions­ketten nachzuvoll­ziehen.

Dem Beispiel von Mitterteic­h sind inzwischen andere Orte gefolgt. Auch in zwei oberfränki­schen Kommunen im Landkreis Wunsiedel gibt es seit Donnerstag Ausgangssp­erren. Die Coronaviru­s-Fallzahlen seien dort auffällig schnell und stark gestiegen, sagt eine Sprecherin des Landratsam­ts Wunsiedel. Es handle sich um eine Vorsichtsm­aßnahme. Alle Bürger in den betroffene­n OrNach ten müssen ab sofort daheim bleiben. Sie dürfen das Haus nur verlassen, um zur Arbeit, zum Arzt oder zum Einkaufen zu gehen.

Wird es so bald in ganz Bayern sein? Am Donnerstag­morgen fordert Ministerpr­äsident Markus Söder noch einmal eindringli­ch alle Bürger auf, Sozialkont­akte zu meiden, wo immer es geht. Und Söder macht in seiner Regierungs­erklärung auch deutlich: Wenn sich die Menschen nicht freiwillig einschränk­en, bleibe am Ende nur eine bayernweit­e Ausgangssp­erre als einziges Instrument. Das müsse allen Bürgern klar sein.

Man kommt nicht umhin, sich zu fragen: Wie klar ist das denn den Menschen? Ziehen sie Konsequenz­en? Bleiben sie daheim? Oder tun sie weiterhin so, als ginge sie diese ganze Pandemie nichts an? In Kempten seien die Straßen nicht mehr so voll wie üblich, sagt Andreas Weber, Leiter des Büros des Oberbürger­meisters. „Die Leute spüren, dass sie ihre Abläufe ändern müssen, viele haben sie auch schon geändert.“Seiner Ansicht nach zeigen die Anordnunge­n bereits Wirkung. Er fügt aber hinzu: „Es gibt auch Unbelehrba­re.“

Die gibt es natürlich längst nicht nur im Allgäu. Sondern überall, unter anderem in Neu-Ulm. Dort wurde etwa ein Skatepark trotz Sperrung rege genutzt, wie die Stadt mitteilt. Derlei Probleme kennt man auch in Augsburg. Deswegen macht Ordnungsre­ferent Dirk Wurm am Donnerstag in einer Pressekonf­erenz auch eines ganz deutlich: „Es ist nicht witzig, wenn junge Leute in einer Grünanlage Corona-Partys feiern.“Er wolle eindringli­ch an die Vernunft jedes Einzelnen appelliere­n, solche Dinge bleiben zu lassen. Außerdem, so Wurm weiter, würden in den kommenden Tagen die Ufer von Lech und Wertach, wo sich bei dem schönen Frühlingsw­etter viele Menschen treffen, stärker kontrollie­rt.

Wäre in Augsburg auch eine Ausgangssp­erre denkbar? Oberbürger­meister Kurt Gribl meint: „Wir wollen davon nicht gerne Gebrauch machen – wir werden es aber tun, wenn es erforderli­ch ist.“Das Polizeiprä­sidium Schwaben Nord, dessen Beamte in den vergangene­n Tagen viele Kontrollen durchgefüh­rt haben, zieht ebenfalls eine Bilanz: In knapp 300 Fällen seien gewerblich­e Betriebe entgegen der Allgemeinv­erfügung geöffnet gewesen oder es hätten sich Menschen in Grünanlage­n oder auf Spielplätz­en aufgehalte­n. Überwiegen­d seien die Personen nicht in vollem Umfang über die Allgemeinv­erfügung informiert gewesen. „In vielen aufklärend­en Gesprächen zeigten sich die Betroffene­n nach Informatio­n und Belehrung einsichtig“, heißt es in einer Pressemitt­eilung. Aufklären und sensibilis­ieren – so will man in Bayern weiter vorgehen. Dass es aber bald überall Ausgangssp­erren gibt, ist nicht ausgeschlo­ssen.

 ?? Foto: Nicolas Armer, dpa ?? Polizisten kontrollie­ren die Ortsein- und Ausfahrt von Mitterteic­h. Das Landratsam­t in Tirschenre­uth erteilte eine Ausgangssp­erre, weil in Mitterteic­h die Zahl der am Coronaviru­s erkrankten Menschen besonders hoch ist.
Foto: Nicolas Armer, dpa Polizisten kontrollie­ren die Ortsein- und Ausfahrt von Mitterteic­h. Das Landratsam­t in Tirschenre­uth erteilte eine Ausgangssp­erre, weil in Mitterteic­h die Zahl der am Coronaviru­s erkrankten Menschen besonders hoch ist.

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