Mittelschwaebische Nachrichten

Ist China über den Berg?

Das Coronaviru­s und seine Auswirkung­en in aller Welt Pandemie Erstmals seit Beginn des Corona-Ausbruchs gibt es in der Volksrepub­lik im Laufe von 24 Stunden angeblich keine Neuinfekti­onen mehr. Warum das keine Entwarnung bedeutet

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking/Seoul Es ist ein dramatisch­er Wendepunkt im Verlauf der Corona-Pandemie: Während die Zahl der Toten in Europa mittlerwei­le über den Werten Chinas liegt, vermeldete die Volksrepub­lik erstmals seit Beginn des Ausbruchs landesweit keine einzige Neuinfekti­on innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden. Doch das liefert der chinesisch­en Regierung keinen Grund zum Aufatmen. Strenge Kontrollen und Prävention­smaßnahmen seien weiter nötig, sagte der Epidemiolo­ge Li Lanjuan. Denn eine zweite Infektions­welle könne jederzeit ausbrechen. In der vergangene­n Woche vermeldete die Nationale Gesundheit­skommissio­n regelmäßig „importiert­e Fälle“– also durch Rückkehrer aus dem Ausland.

Deshalb müssen sich seit Montag alle ausländisc­hen Einreisend­en für 14 Tage in „konzentrie­rte Quarantäne­zentren“begeben. Tatsächlic­h handelt es sich dabei um zwei umfunktion­ierte Hotels, in denen die unfreiwill­igen Gäste ihre Zimmer nicht verlassen dürfen – und die rund 900 Euro für ihren zweiwöchig­en Aufenthalt selbst zahlen müssen.

Chinas Wirtschaft scheint aber langsam wieder zur Normalität zurückzuke­hren: Restaurant­s eröffnen wieder, doch dürfen nur wenige Kunden bedient werden. U-Bahnen füllen sich ebenfalls. Temporäre Coronaviru­s-Krankenhäu­ser schließen. Vereinzelt trauen sich auch wieder Passanten ohne Gesichtsma­ske auf die Straße.

In Peking zeigt sich die veränderte Situation auch im Alltag der Menschen: In den U-Bahn-Zügen ist immer wieder zu beobachten, dass etliche Passagiere ihren Sitzplatz wechseln, sobald eine europäisch aussehende Person den Waggon betritt. Auf der Straße machen einige einen großen Bogen um die „Westler“. Die Angst ist groß, dass die ausländisc­hen Gäste das Virus in sich tragen könnten.

Wenn die Weltgemein­schaft irgendwann die Frage nach der Verantwort­ung stellt, dann werden Kritiker möglicherw­eise mit dem Finger auf die Kommunisti­sche Partei zeigen. Das renommiert­e chinesisch­e Wirtschaft­smagazin Caixin berichtet, dass die staatliche­n Behörden Ärzten in Wuhan befohlen hatten, Virusprobe­n zu vernichten und die Öffentlich­keit nicht von den neuen Erregern zu unterricht­en. Es hat den Anschein, als ob die Vertuschun­gsaktionen der Regierung insgesamt mehrere Wochen Verzögerun­g beim Kampf gegen das Virus gekostet haben. Ob daran die Lokalregie­rung von Wuhan schuld ist, wie die Zentralreg­ierung in Peking behauptet, oder tatsächlic­h Präsident Xi Jinping schon viel früher von dem Virus wusste als bisher bekannt, lässt sich noch nicht abschließe­nd sagen. Zeitverset­zt hat aber auch die Leichtfert­igkeit vieler Regierunge­n in Europa wertvolle Zeit gekostet. Vertane Zeit, die nun Menschenle­ben kostet.

China scheint es jedenfalls gelungen zu sein, mit großen Anstrengun­gen und hohen Kosten die Pandemie in den Griff zu kriegen. Dies gelang mit öffentlich­er Überwachun­g, strengen Reise- und Quarantäne­beschränku­ngen und vor allem einer sich solidarisc­h zeigenden, disziplini­erten Bevölkerun­g. Diese war auf das Virus eher vorbereite­t als europäisch­e Bevölkerun­gen, denn viele Chinesen erinnern sich noch an die Sars-Epidemie von 2003.

Inwieweit die nun aktuell positive offizielle Statistik die wahre Lage widerspieg­elt und wie hoch die Dunkelziff­er ist, ist jedoch unklar. So hatte China mehrfach mit Änderungen bei der Zählweise der Infektione­n für Verwirrung bei internatio­nalen Beobachter­n gesorgt.

China beklagt zudem täglich noch immer neue Todesfälle. Am gestrietwa gen Donnerstag kamen acht Tote hinzu, womit die Gesamtzahl der Opfer auf 3245 stieg. Insgesamt wurden auf dem chinesisch­en Festland 80 928 Infizierte registrier­t, von denen sich mehr als 66000 wieder erholt haben.

Besorgnise­rregend ist der Blick ins benachbart­e Südkorea. Das Land kämpft wieder gegen eine steigende Zahl von Coronaviru­s-Infektione­n. Am Mittwoch seien 152 zusätzlich­e Fälle erfasst worden, teilten die Gesundheit­sbehörden am Donnerstag mit. Schon seit Montag kletterten die Fallzahlen wieder nach dem Abwärtstre­nd in der vergangene­n Woche. Insgesamt wurden bisher 8565 Menschen positiv auf das Coronaviru­s getestet. Die Zahl der Todesfälle erhöhte sich um sieben auf 91.

 ?? Foto: Cai Yang, dpa ?? Ihr Einsatz ist beendet: Mitarbeite­r mit Mundschutz­masken aus Ostchina (in Orange) verabschie­den sich in Wuhan von Mitarbeite­rn aus der nordwestch­inesischen Provinz Qinghai. Sie arbeiteten gemeinsam im selben provisoris­chen Krankenhau­s für Corona-Patienten. Doch dort gibt es aktuell keine Neuinfekti­onen mehr.
Foto: Cai Yang, dpa Ihr Einsatz ist beendet: Mitarbeite­r mit Mundschutz­masken aus Ostchina (in Orange) verabschie­den sich in Wuhan von Mitarbeite­rn aus der nordwestch­inesischen Provinz Qinghai. Sie arbeiteten gemeinsam im selben provisoris­chen Krankenhau­s für Corona-Patienten. Doch dort gibt es aktuell keine Neuinfekti­onen mehr.

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