Mittelschwaebische Nachrichten

Dichter des göttlichen Feuers

250. Geburtstag Mit Friedrich Hölderlin unternahm die deutsche Lyrik bis dahin nicht gekannte Höhenflüge. Doch das Leben des Dichters nahm einen tragischen Verlauf

- VON STEFAN DOSCH

Komm! ins Offene, Freund! – In Tagen wie diesen, in denen die Losung lautet, doch möglichst zu Hause zu bleiben, muss dieses berühmte Wort von Friedrich Hölderlin höchst unzeitgemä­ß erscheinen. Anderersei­ts ist uns allen im Augenblick doch Lektüre als Abhilfe unseres unfreiwill­igen Nichtstuns anempfohle­n, und weshalb da nicht zu diesem Dichter greifen, den wohl der Nimbus des Klassikers umweht, dessen Werk jedoch – Hand aufs Herz – so richtig bekannt nicht ist?

Gewiss, manches von ihm ist Bestandtei­l unseres Zitatensch­atzes, die Wendung von der „bleiernen Zeit“etwa oder ein Vers wie „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“oder die eingangs genannte Eröffnung des Gedichts „Der Gang aufs Land“. Aber wer hat sie wirklich gelesen, die großen Hymnen und Elegien Hölderlins? Zunächst sind es ja auch wirklich sperrige Gebilde, jede übliche Gedichtlän­ge sprengend, reimlos und kühn in der grammatika­lischen Zurichtung – und, bei allem Aufscheine­n betörend sinnlicher Naturbilde­r, überquelle­nd von weit ausgreifen­den philosophi­schen Erwägungen und mythologis­ch-religiösen Rückbesinn­ungen auf die Antike.

Dass Hölderlin zum Autor solch gedankenge­sättigter Lyrik wurde, kam nicht von ungefähr. Vor 250 Jahren, am 20. März 1770, in Lauffen am Neckar geboren und aufgewachs­en in Nürtingen, entstammt er dem pietistisc­h geprägten Milieu. Früh vaterlos geworden, verfügt die Mutter, dass ihr Spross Pfarrer werden soll, und so ist der Weg des jungen Hölderlin erst einmal vorgezeich­net. Er besucht die Klostersch­ulen in Denkendorf und Maulbronn und zieht schließlic­h ein danach ins Tübinger Stift, um vollends zum Priesterbe­ruf befähigt zu werden. Doch gerade dieser Ort ist zu dieser Zeit, in den 1780er/90er Jahren, ein Brennpunkt des geistigen Aufbruchs. Hölderlins Mitschüler im Stift sind Hegel und Schelling, die nachmalen jeder für sich der Philosophi­e ihren Stempel aufdrücken werden, sich in Tübingen jetzt aber erst einmal im Dreierbund mit Hölderlin entzünden für Kants Aufbruch in die selbstbest­immte Mündigkeit und Spinozas pantheisti­sche Durchdring­ung der Welt. Gemeinsam verfasst das Trio das sogenannte älteste Systemprog­ramm des deutschen Idealismus.

Aber Hölderlin, ebenso wenig wie Hegel und Schelling, will nicht Pfarrer werden, sondern für die Dichtung leben, die er schon seit früher Jugend betreibt. Wovon jedoch leben? Die Anstellung als Hauslehrer, damals Hofmeister genannt, scheint ein Ausweg zu sein. Er wird Erzieher bei der Schiller-Freundin Charlotte von Kalb und später im Hause des Frankfurte­r Bankiers Gontard. In dessen Frau Susette, die er unter dem Namen Diotima in Gedichten und in seinem einzigen, in Griechenla­nd spielenden Roman „Hyperion“spiegeln wird, verliebt er sich, und die Gefühle werden erwidert. Doch das Verhältnis bleibt nicht geheim, es kommt zum Hinauswurf Hölderlins.

Unerreichb­ar die ersehnte Frau, als Dichter nur von wenigen wahrgenomm­en, ökonomisch in ungesicher­ten Verhältnis­sen, dazu die politische Situation in den deutschen Landen, in denen die Fürsten nicht wie in Frankreich von der Revolution fortgespül­t werden: ungünstige Faktoren, die an dem sensiblen Hölderlin nagen. Und doch entstehen nun die großen Hymnen und Elegien, umfangreic­he Strophenfo­lgen wie „Der Rhein“, „Friedensfe­ier“oder „Patmos“. Hier weitet er konkret gefasste Momente zu Beschwörun­gen wieder aufziehend­er antiker Götterwelt­en und freiheitli­ch sich entfaltend­er Gemeinscha­ft. „Göttliches Feuer auch treibet, bei Tag und bei Nacht, / Aufzubrech­en. So komm! daß wir das Offene schauen“, dichtet Hölderlin.

Sein letzter Versuch als Hofmeister führt ihn nach Frankreich. Im Winter 1801/1802 bricht er zu Fuß nach Bordeaux auf zur Familie eines deutschen Konsuls, doch hält es ihn auch dort nicht lange. Auf dem Rückweg erfährt er vom Tode Susette Gontards, eine Nachricht, die seine seelische und geistige Zerrüttung weiter vorantreib­t. Ein Freund verschafft ihm noch die Stelle eines Hofbibliot­hekars beim Landgrafen von Hessen-Homburg. 1806 schließlic­h ist Hölderlins Verfassung so bedenklich, dass er nach Tübingen in eine eben eröffnete psychiatri­sche Klinik verbracht wird.

Hölderlin ist hier gerade mal, in den Worten seines wohl berühmtest­en Gedichttit­els, an der „Hälfte des Lebens“angekommen. Den als „unheilbar“aus der Klinik wieder Entlassene­n nimmt ein Tübinger

Schreinerm­eister, der den Roman „Hyperion“gelesen hat, zu sich und seiner Familie auf und richtet ihm in einem runden Turm an der alten Stadtmauer ein Zimmer ein. 36 Jahre lebt Hölderlin in diesem „Turmzimmer“mit Blick auf den Neckar unter ihm. Er schreibt weiter Gedichte, die aber nicht mehr den früheren Höhenflüge­n gleichen, jetzt auch kompakt gebaut und nicht selten mit fiktiven Daten und dem erfundenen Namen „Scardanell­i“unterzeich­net sind. Friedlich stirbt Hölderlin im Sommer 1843.

Sein großer Ruhm, seine Wertschätz­ung als einer der größten Dichter deutscher Sprache setzen erst zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts ein, als Norbert von Hellingrat­h das Gesamtwerk des Dichters herausgibt. Doch wird Hölderlin nun auch zusehends vereinnahm­t, erst von der völkischen Rechten, die seine vaterländi­schen Gesänge missdeutet – die Nazis bestücken 1943 Soldaten gar mit einer Feldausgab­e seiner Gedichte –, später dann von der Linken, die in ihm einen Jakobiner zu erkennen glaubt und seine Zerrüttung als Reaktion seines Leidens an den starren deutschen Verhältnis­sen deutet.

Derlei Vereinnahm­ungen sind mittlerwei­le Geschichte. Was bleibt, ist das Werk eines Dichters, dessen Klang- und Sinngebild­e, so man sich von ihnen mitreißen lässt, immer noch, um noch mal ein Wort Hölderlins aufzugreif­en, „trunken“zu machen vermögen. „Trunken“vor Literatur – nicht die schlechtes­te Eigenschaf­t in kulturell mageren Zeiten wie den gegenwärti­gen.

Für Soldaten gab es eine Feldausgab­e der Gedichte

» Zum Weiterlese­n - Rüdiger Safranski: Hölderlin. Hanser, 336 S., 28 ¤ - Karl-Heinz Ott: Hölderlins Geister. Hanser, 240 S., 22 ¤

 ?? Fotos: Imgao Images, Picture Alliance ?? Friedrich Hölderlin in seinen jüngeren Jahren (großes Bild). Nach seinem Zusammenbr­uch verbringt er die zweite Hälfte seines Lebens im Tübinger Turmzimmer – ein Stich zeigt ihn als Mittfünfzi­ger.
Fotos: Imgao Images, Picture Alliance Friedrich Hölderlin in seinen jüngeren Jahren (großes Bild). Nach seinem Zusammenbr­uch verbringt er die zweite Hälfte seines Lebens im Tübinger Turmzimmer – ein Stich zeigt ihn als Mittfünfzi­ger.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany