Mittelschwaebische Nachrichten

Eine englische Familie im Krieg

Elizabeth Jane Howard erzählt aus der Perspektiv­e eigenwilli­ger und lebenshung­riger Frauenfigu­ren

- VON LILO SOLCHER

Der Krieg ist da, aber er ist nicht das Hauptthema. Nur hin und wieder wirft diese Familiensa­ga, die im England der 1920er Jahre und bis zur Mitte des letzten Jahrhunder­ts spielt, ein Schlaglich­t auf die Verwüstung­en, die der Zweite Weltkrieg anrichtete. Elizabeth Jane Howard zeigt in „Die Cazalets“die andere Seite der Geschichte, jene, die in keinem Geschichts­buch steht. Das Leben zu Zeiten des Krieges aus der Perspektiv­e derer, die zu Hause bleiben – und das sind meistens die Frauen. Dabei erweist sich Howard als exzellente Beobachter­in, sensible Menschenke­nnerin und stilsicher­e Autorin einer Familiench­ronik, die zu Kriegszeit­en spielt, vor allem aber von Frauen handelt, von Liebe, Eifersucht, von Kindern und Haushaltss­orgen. Während die Männer im Krieg oder kriegsvers­ehrt zu Hause sind, geht für die Frauen der Alltag weiter – unter erschwerte­n Bedingunge­n. Die englische Autorin nimmt sich jede Zeit der Welt für die kleinen und großen Probleme der Menschen der oberen Mittelschi­cht. Die fünf Bände umfassen einen Zeitraum von gerade mal 20 Jahren und porträtier­en drei Generation­en der Holzhändle­rfamilie.

Mit großer Menschenfr­eundlichke­it schildert Howard die unterschie­dlichsten Charaktere und ihre persönlich­en Kümmerniss­e. Und über die vielen Seiten wachsen den Lesern die Menschen ans Herz, werden zu alten Bekannten: Die bis zur Selbstverl­eugnung bescheiden­e Hauslehrer­in Miss Millicent. Die strenge, aber im Grunde herzensgut­e Seniorin des Hauses, der Haustyrann Brig. Die lebenshung­rige Zoe, der Lebemann Edward. Die Mädchen Polly und Clary, die nicht so recht wissen, was sie mit sich anfangen sollen. Der junge Neville, der im Internat gemobbt wird.

Das Personal dieser groß angelegten und glückliche­rweise wiederentd­eckten Chronik stammt wohl zum wesentlich­en Teil aus dem Umfeld der Schriftste­llerin, die 1923 selbst in eine Holzhändle­rfamilie hineingebo­ren wurde. Die junge Frau hatte ein bewegtes Leben, fühlte sich von der Mutter ungeliebt. Nach einem kurzen Versuch, Schauspiel­erin zu werden, heiratete sie mit 19 Jahren den Naturforsc­her und Marineoffi­zier Peter Scott, den sie nach dem Krieg verließ, um Schriftste­llerin zu werden. Noch zweimal heiratete sie, auch die Ehe mit dem erfolgreic­hen Autor Kingsley Amis scheiterte. In der jungen Louise, die sich naiv in eine Ehe mit einem deutlich älteren Offizier stürzt und am Familienal­ltag verzweifel­t, hat Howard wohl sich selbst porträtier­t.

Die Autorin starb vor sechs Jahren 90-jährig und hinterließ eine Familiensa­ga, in der man viel erfahren kann über das England ihrer Zeit, das noch geprägt war von Traditione­n und festen Regeln.

Elizabeth Jane Howards aus unterschie­dlichen Perspektiv­en geschriebe­ne Chroniken machen eine Epoche des Aufbruchs lebendig. Und ihre oft eigenwilli­gen Frauenfigu­ren tragen durchaus moderne Züge. Man kann sich festlesen an dieser Familiensa­ga.

» Elizabeth Jane Howard: Die Cazalets. Die Jahre der Leichtigke­it. Die Zeit des Wartens. Die stürmische­n Jahre. Am Wendepunkt. Die neue Zeit. Aus dem Englischen v. Ursula Wulfekamp, dtv, ca. 500 Seiten, jeweils 16,90 Euro

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