Mittelschwaebische Nachrichten

Ansturm auf Beratungss­telle erwartet

Corona Die gegenwärti­ge Krise bringt Licht und Schatten, sie liegen eng beieinande­r. Was der Experte für Ehe-, Familien- und Lebensfrag­en rät

- VON WALTER KAISER

Landkreis Der ganz große Ansturm steht noch aus. Aber er dürfte kommen – je länger die Corona-Krise dauert. „Wir bereiten uns darauf vor“, erklärt Artur Geis, der Leiter der Psychologi­schen Beratungss­telle für Ehe-, Familien- und Lebensfrag­en in Günzburg. Unter anderem mit einem Krisentele­fon sowie zusätzlich­en Online- und Videoberat­ungen.

Die verschärft­en Corona-Bestimmung­en gelten in Bayern erst seit rund zwei Wochen. Das ist noch nicht die Welt. Dennoch gehen bei der Beratungss­telle vermehrt Anfragen ein. Sie sind vor allem von Zukunftsän­gsten geprägt, erklärt Artur Geis auf Nachfrage.

Die Corona-Krise ist ein bislang einzigarti­ger Vorgang. Aufgrund der vielfältig­en Einschränk­ungen sind Kinder wie Eltern vor völlig neue Herausford­erungen gestellt. Aktuell wie auf die nähere und fernere Zukunft gesehen. Dass Familien enger zusammenrü­cken müssen, führt nach den bisherigen Erfahrunge­n

von Geis zu positiven wie negativen Erscheinun­gen.

Zu den grundsätzl­ich problemati­schen Fällen zählen die sogenannte­n „hochstritt­igen Eltern“– geschieden­e oder getrennt lebende Paare, die über die gemeinsame­n Kinder versuchen, dem jeweils anderen eins auszuwisch­en. Zuletzt seien etliche Anfragen eingegange­n, ob es im Zeichen von Corona nicht möglich sei, den wechselsei­tigen Umgang mit den Kindern einzuschrä­nken. „Das ist rechtlich natürlich nicht zulässig“, erklärt Geis.

Die generelle Sorge von Experten ist, dass häusliche Gewalt wegen Corona zunehmen könnte. Die Gefahr steigt mit der Formel: je beengter die Wohnverhäl­tnisse und je größer die Familie. Artur Geis: „Das ist die Sorge für die Zukunft.“Über einen anonymen und geschützte­n OnlineKana­l bietet die Beratungss­telle in solchen Fällen Rat und Hilfe.

Viele Eltern machen sich nach den bisherigen Erkenntnis­sen von Geis vor allem Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder. Werden sie schulisch mithalten können, schaffen sie ihre Abschlüsse? Hinzu komme die Sorge der Erwachsene­n um ihre eigene berufliche und finanziell­e Zukunft. Verliere ich meinen Job, wie kann ich künftig für meine Nächsten sorgen?

Positives und Negatives liegen in diesen Tagen eng beisammen. Geis weiß von Fällen, in denen sich Probleme auf wunderbare Weise wie von selbst gelöst haben. Kinder und Jugendlich­e, die verhaltens­auffällig waren, hatten vor allem Zeit, Aufmerksam­keit und Zuwendung ihrer Eltern vermisst. Das alles haben sie im günstigste­n Falle nun. Auch Geschwiste­r rücken vielfach enger zusammen. Die Kehrseite der Medaille: Schon lange schwelende Konflikte unter Brüdern und Schwestern können nun vollends aufbrechen.

Leidtragen­de der momentanen Krise sind nicht zuletzt die kleinen Kinder. Ihnen ist nur schwer zu vermitteln, warum sie nicht mehr im

Kindergart­en oder in der Kita mit ihresgleic­hen spielen dürfen. Vor allem den Jüngsten sei zu wünschen, „dass die Belastung nicht zu lange gehen sollte“, betont Artur Geis.

Unter dem Strich empfiehlt der Leiter der Beratungss­telle, die Erwartunge­n an die (tatsächlic­h oder auch nur vermeintli­ch) positiven und nicht selten romantisie­renden Seiten der Corona-Krise – „Wir sind alle eins“– nicht allzu hoch zu hängen. Artur Geis: „Das ist wie an Weihnachte­n.“Da werde oft vordergrün­dig die Harmonie gepflegt, doch nicht selten gehe „der Schuss nach hinten los“. Das Motto sollte vielmehr lauten: Niemand ist perfekt. Niemand muss perfekt sein. Auch und gerade in Zeiten der Corona-Krise.

Kontakt Das Krisentele­fon der Beratungss­telle ist unter der Nummer 08221/95-401 erreichbar, täglich von 9 bis 12 Uhr und von 13 bis 15 Uhr. Das anonyme und geschützte Online-Portal ist unter der Internetad­resse www.caritas.de/hilfeundbe­ratung/onlinebera­tung/ Eltern und Familie zu finden.

Eltern machen sich Sorgen um die Zukunft der Kinder

Newspapers in German

Newspapers from Germany