Mittelschwaebische Nachrichten
Ansturm auf Beratungsstelle erwartet
Corona Die gegenwärtige Krise bringt Licht und Schatten, sie liegen eng beieinander. Was der Experte für Ehe-, Familien- und Lebensfragen rät
Landkreis Der ganz große Ansturm steht noch aus. Aber er dürfte kommen – je länger die Corona-Krise dauert. „Wir bereiten uns darauf vor“, erklärt Artur Geis, der Leiter der Psychologischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Günzburg. Unter anderem mit einem Krisentelefon sowie zusätzlichen Online- und Videoberatungen.
Die verschärften Corona-Bestimmungen gelten in Bayern erst seit rund zwei Wochen. Das ist noch nicht die Welt. Dennoch gehen bei der Beratungsstelle vermehrt Anfragen ein. Sie sind vor allem von Zukunftsängsten geprägt, erklärt Artur Geis auf Nachfrage.
Die Corona-Krise ist ein bislang einzigartiger Vorgang. Aufgrund der vielfältigen Einschränkungen sind Kinder wie Eltern vor völlig neue Herausforderungen gestellt. Aktuell wie auf die nähere und fernere Zukunft gesehen. Dass Familien enger zusammenrücken müssen, führt nach den bisherigen Erfahrungen
von Geis zu positiven wie negativen Erscheinungen.
Zu den grundsätzlich problematischen Fällen zählen die sogenannten „hochstrittigen Eltern“– geschiedene oder getrennt lebende Paare, die über die gemeinsamen Kinder versuchen, dem jeweils anderen eins auszuwischen. Zuletzt seien etliche Anfragen eingegangen, ob es im Zeichen von Corona nicht möglich sei, den wechselseitigen Umgang mit den Kindern einzuschränken. „Das ist rechtlich natürlich nicht zulässig“, erklärt Geis.
Die generelle Sorge von Experten ist, dass häusliche Gewalt wegen Corona zunehmen könnte. Die Gefahr steigt mit der Formel: je beengter die Wohnverhältnisse und je größer die Familie. Artur Geis: „Das ist die Sorge für die Zukunft.“Über einen anonymen und geschützten OnlineKanal bietet die Beratungsstelle in solchen Fällen Rat und Hilfe.
Viele Eltern machen sich nach den bisherigen Erkenntnissen von Geis vor allem Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder. Werden sie schulisch mithalten können, schaffen sie ihre Abschlüsse? Hinzu komme die Sorge der Erwachsenen um ihre eigene berufliche und finanzielle Zukunft. Verliere ich meinen Job, wie kann ich künftig für meine Nächsten sorgen?
Positives und Negatives liegen in diesen Tagen eng beisammen. Geis weiß von Fällen, in denen sich Probleme auf wunderbare Weise wie von selbst gelöst haben. Kinder und Jugendliche, die verhaltensauffällig waren, hatten vor allem Zeit, Aufmerksamkeit und Zuwendung ihrer Eltern vermisst. Das alles haben sie im günstigsten Falle nun. Auch Geschwister rücken vielfach enger zusammen. Die Kehrseite der Medaille: Schon lange schwelende Konflikte unter Brüdern und Schwestern können nun vollends aufbrechen.
Leidtragende der momentanen Krise sind nicht zuletzt die kleinen Kinder. Ihnen ist nur schwer zu vermitteln, warum sie nicht mehr im
Kindergarten oder in der Kita mit ihresgleichen spielen dürfen. Vor allem den Jüngsten sei zu wünschen, „dass die Belastung nicht zu lange gehen sollte“, betont Artur Geis.
Unter dem Strich empfiehlt der Leiter der Beratungsstelle, die Erwartungen an die (tatsächlich oder auch nur vermeintlich) positiven und nicht selten romantisierenden Seiten der Corona-Krise – „Wir sind alle eins“– nicht allzu hoch zu hängen. Artur Geis: „Das ist wie an Weihnachten.“Da werde oft vordergründig die Harmonie gepflegt, doch nicht selten gehe „der Schuss nach hinten los“. Das Motto sollte vielmehr lauten: Niemand ist perfekt. Niemand muss perfekt sein. Auch und gerade in Zeiten der Corona-Krise.
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Kontakt Das Krisentelefon der Beratungsstelle ist unter der Nummer 08221/95-401 erreichbar, täglich von 9 bis 12 Uhr und von 13 bis 15 Uhr. Das anonyme und geschützte Online-Portal ist unter der Internetadresse www.caritas.de/hilfeundberatung/onlineberatung/ Eltern und Familie zu finden.
Eltern machen sich Sorgen um die Zukunft der Kinder