Mittelschwaebische Nachrichten

Was mehr wert ist als drei Gürtel

Angstbewäl­tigung Auch die frühere Boxerin Rola El-Halabi fürchtet sich in der Corona-Krise. Aber ein tragisches Ereignis vor fast genau neun Jahren hat sie gelehrt, damit umzugehen

- VON PIT MEIER

Ulm/Neu-Ulm Die Kontaktauf­nahme via Facebook mit Rola Papastergi­ou, die so viel besser bekannt ist unter ihrem Mädchennam­en El-Halabi, klappt recht schnell. Wir vereinbare­n ein Interview am Mittwoch, wir chatten noch ein wenig. Man kennt sich schließlic­h seit vielen Jahren, die Boxerin und der Sportjourn­alist sind immer prima miteinande­r klargekomm­en. Bis es Rola zuerst auffällt: Der Mittwoch, das ist doch der 1. April. Es dauert ein paar Sekunden, bis auch beim Berichters­tatter der Groschen fällt. Dabei war auch für ihn dieser 1. April vor neun Jahren ein Tag, wie es ihn wahrschein­lich nur einmal in einem Berufslebe­n gibt: Gegen 23 Uhr ein Anruf von einem Freund, der nach Berlin gefahren war zum Kampf von Rola El-Halabi. Der Freund berichtet von Schüssen in der Kabine, der Schütze soll Rolas eigener Stiefvater sein. Spezialkrä­fte der Polizei rücken an und nehmen den Stiefvater fest, aber was wirklich passiert ist, das weiß niemand genau. Auch nicht Rolas Trainer Jürgen Grabosch, den der Freund kurz ans Handy holt. Fragen werden gestellt: Ist Rola verletzt und wenn ja, wie schwer? Auch diese: Hat Rola das Attentat überlebt?

Der Berichters­tatter packt kurz vor Mitternach­t und kurz vor Druckbegin­n noch das Wenige in die Zeitung, was er weiß. Erst am nächsten Tag wird klar: Rola lebt, aber sie liegt schwer verletzt in der Klinik. Vor ihrem Comeback als Boxerin knapp zwei Jahre danach in der Ratiopharm-Arena wird Rola sagen: Die größte Tragödie in ihrem Leben hat ihr die größte Popularitä­t beschert. Noch viel später – in Zeiten der Corona-Pandemie – sagt Rola: „Ich verstehe jeden Menschen, der jetzt Angst hat um seine Gesundheit und seine wirtschaft­liche Existenz. Auch ich habe Ängste, ich hatte sie immer. Vor jedem Kampf, vor jeder Sparringse­inheit, ganz besonders in der Kabine und in den Jahren danach. Aber ich lasse nicht mehr zu, dass die Angst die

übernimmt.“Das blutige Drama von Berlin hat die frühere Dreifach-Weltmeiste­rin gelehrt: „Es gibt immer einen Weg aus der Angst. Man muss sie in einen Antrieb umwandeln.“

Rola hat sich nach ihrer Karriere als Gastronomi­n versucht, wirklich wohlgefühl­t hat sie sich in diesem Beruf nicht. Derzeit schreibt sie an ihrem zweiten Buch – einem Ratgeber. Liebend gerne würde sie außerdem Vorträge etwa über das Thema Angst und Strategien zur Bewältigun­g halten. In Deutschlan­d sind die Ratschläge und Empfehlung­en der 35-jährigen Ex-Boxerin mit der tragischen Biografie sehr gefragt, obwohl sie sich in den vergangene­n Jahren öffentlich rar gemacht und kaum noch Interviews gegeben hat. Aber Rola kann keinen ihrer TermiKontr­olle ne wahrnehmen und hat somit derzeit keine Möglichkei­t, Geld zu verdienen. Sie sitzt mit der vierjährig­en Tochter Ioanna-Sophia, dem anderthalb­jährigen Sohn Santino-Elias und ihrem griechisch­stämmigen Ehemann Kosta in der Nähe von Thessaloni­ki fest. Die Grenzen wurden dichtgemac­ht, die Ausgangssp­erre ist umfassend, und das griechisch­e Gesundheit­ssystem möchte

Rola lieber nicht in Anspruch nehmen müssen. Neben Corona gibt es also viele Gründe dafür, Angst zu haben.

Aber Rola bleibt dabei: „Ich habe selbst bewiesen, dass es aus jeder Situation einen Ausweg gibt und dass es immer weitergeht. Wenn ich das anderen Menschen vermitteln kann, dann ist mir das mehr wert als meine drei Weltmeiste­rgürtel.“

 ?? Archivfoto: Alexander Kaya ?? Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere war die Boxerin Rola El-Halabi im Besitz von drei WM-Gürteln. Wirklich populär wurde sie aber durch die größte Tragödie in ihrem Leben.
Archivfoto: Alexander Kaya Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere war die Boxerin Rola El-Halabi im Besitz von drei WM-Gürteln. Wirklich populär wurde sie aber durch die größte Tragödie in ihrem Leben.
 ?? Foto: Sammlung Papastergi­ou ?? Trotz Angst – Rola kann Griechenla­nd genießen.
Foto: Sammlung Papastergi­ou Trotz Angst – Rola kann Griechenla­nd genießen.

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