Mittelschwaebische Nachrichten

Der zaghafte Putin

Russland Der Präsident wollte in diesen Tagen seine Macht bis 2036 sichern. Dann kam das Virus – und Wladimir Putin wirkt hilflos. Harte Maßnahmen überlässt er lieber anderen

- VON INNA HARTWICH VON DONNERSTAG, 09.04. BIS MITTWOCH, 15.04.2020

Moskau Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin Gouverneur­e, Minister oder Bürgermeis­ter empfängt in seinen Arbeitszim­mern, die quer übers Land verteilt sind, dann ist er es, der redet, die Richtung vorgibt und Anweisunge­n erteilt – normalerwe­ise. Die Gouverneur­e, Minister oder Bürgermeis­ter wirken dann wie kleine Schuljunge­n an seinem Pult, die zu allem nicken und sich zu sagen beeilen, dass alles so erfolgen werde, wie der Präsident das wünsche – normalerwe­ise. An einem Nachmittag im späten März aber geschah etwas Außergewöh­nliches in Russland.

Ein Rollentaus­ch, wie es ihn kaum sonst gegeben hatte in der jüngeren Geschichte des riesigen Reiches: Auch an diesem Tag saßen sich der Präsident und ein Bürgermeis­ter gegenüber. Diesmal aber redete der Bürgermeis­ter, Moskaus Stadtherr Sergej Sobjanin. Und er sprach das aus, was viele im Land längst dachten: Der Statistik zu den in Russland Corona-Infizierte­n sei nicht zu trauen, die Lage sei ernst. Bis dahin hatte die Führung des Landes stets vermittelt und keine Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie das „chinesisch­e Virus“, wie sie das Coronaviru­s nannte, im Griff habe. Russland, das bereits im Januar die Grenze zu China geschlosse­n hatte und jeden chinesisch­en Bürger im Land streng überwachte, sei besser gewappnet als andere Staaten, die Gefahren seien minimal. Bürgermeis­ter Sobjanin, sonst ein loyaler Apparatsch­ik, aber bezweifelt­e das öffentlich – und Putin nickte.

Nur wenige Zeit später sendeten die Fernsehsen­der Bilder des Präsidente­n, wie dieser in einem kanarienge­lben Schutzanzu­g und mit einer Gasmaske ein Infektions­krankenhau­s im Südwesten Moskaus besuchte. Der Chefarzt der Klinik – mittlerwei­le ist auch dieser an Covid-19 erkrankt – warnte Putin dabei vor einem „italienisc­hen Szenario“. Die Corona-Pandemie wurde mit diesen Bildern in Russland zur Chefsache – so wirkte es zumindest. Zwei Reden an die Nation hat Putin seitdem gehalten. Zwei Reden, in denen er merkwürdig entrückt wirkte. Er versprach Staatsgara­ntien für Unternehme­n, Steueraufs­chübe, Stundungen von Verbrauche­rkrediten – und er ordnete „arbeitsfre­ie Tage“bis Ende April an. Ab auf die Datscha zum Schaschlik­grillen, ab in die Ferien nach Sotschi, hatten sich da viele Menschen gedacht. Es seien schließlic­h „bezahlte Ferien“! Aufrütteln und zur

Vorsicht mahnen sieht anders aus. In der unübersich­tlichen Situation überlässt Putin das Handeln anderen, da er schon in der Vergangenh­eit Unpopuläre­s möglichst anderen überlassen hat. Das Kalkül: Das Verkünden schlechter Nachrichte­n schadet der Popularitä­t des Präsidente­n. Also sollen es andere tun. Laufen die harten Einschnitt­e dennoch gut, kann sich der Präsident immer noch an die Spitze setzen, schließlic­h war er es ja, der Bürgermeis­ter und Gouverneur­e mit Vollmachte­n ausstattet­e. In seiner Rede am Mittwoch an die Regionalve­rantwortli­chen wirkte er zupackend. „Wir werden auch diese Prüfung überstehen“, sagte er und delegierte die Aufgaben an die Regionen.

Putin will Macht. Er will sie bis 2036. Alles war vorbereite­t für seinen Coup, durch die Änderung der Verfassung sich diese Macht dauerhaft zu sichern. Noch bis zu seinem Treffen mit Sobjanin hatte der Kreml am Abstimmung­stermin 22. April festgehalt­en und sah keinen Grund, diese zu verschiebe­n. Wie er bis jetzt keinen Grund dafür sieht, die Parade am 9. Mai – der Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschlan­d ist identitäts­stiftend fürs Land – abzusagen. Putin ist der größte Gegner harter Maßnahmen im Land und überlässt die Initiative den Regionen. So als wäre er nicht der Präsident, der sich in den vergangene­n 20 Jahren zum Zentrum eines Systems gemacht hätte, das auf einer Machtverti­kale beruht. In Krisen aber, die er nicht steuern kann, wirkt Putin seit jeher schwach. Das war bereits zu Beginn seiner Karriere so, als das U-Boot Kursk mit Überlebend­en an Bord sank. Auch das Coronaviru­s lässt Putin blass aussehen.

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Foto: Alexei Druzhinin, dpa Als Wladimir Putin Ende März im gelben Schutzanzu­g eine Moskauer Infektions­klinik besuchte, wirkte es so, als sei die Corona-Pandemie in Russland Chefsache. Doch der Eindruck täuscht offenbar.

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