Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn Urlaub systemrele­vant wird

Tourismus Dass die Osterferie­n heuer ausfallen, ist längst klar. Doch in der Reisebranc­he geht die Furcht vor einem verlorenen Jahr um. Nun ist der Staat am Zug: Beschränku­ngen aufheben, Firmen helfen oder Ferien verschiebe­n?

- VON LILO SOLCHER UND MATTHIAS ZIMMERMANN

München/Berlin Die Hoffnung stirbt zuletzt – auch bei den Urlaubern. Nachdem die Osterurlau­be in diesem Jahr ausfallen, hoffen noch viele, dass zu Pfingsten Reisen wieder möglich sind – oder spätestens im Sommer. Doch so einfach und grenzenlos, wie es einmal war, wird es nicht so schnell wieder werden. Die meisten Länder haben ihre Grenzen geschlosse­n, Flugzeuge bleiben am Boden, selbst die Bahn hat ihren Service eingeschrä­nkt. Beliebte Reiselände­r wie Italien und Spanien werden eine Zeit lang brauchen, um sich von den Folgen der Covid19-Pandemie zu erholen.

Reiseforsc­her Martin Lohmann glaubt zwar, dass „den Deutschen die Reiselust nicht auf Dauer abhandenko­mmt“, aber auch er ist überzeugt, dass sich an der Art zu reisen einiges ändern wird. Die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie sind noch nicht abzusehen und vielen Deutschen wird das Geld für einen längeren Urlaub fehlen. Für die Reisebranc­he sind die Folgen dramatisch, die Verzweiflu­ng wächst. Der Tourismusv­erband Mecklenbur­gVorpommer­n schlägt gar schon eine einmalige Verschiebu­ng aller Sommerferi­entermine auf August und September vor. Dann sind auch in Bayern Ferien – voraussich­tlich zumindest, denn wer will das schon sicher sagen. „Wir haben die Hoffnung, dass in der zweiten Jahreshälf­te der Tourismus wieder an Fahrt gewinnt“, teilt die Bayern Tourismus Marketing GmbH mit. Die Hoffnung lebt also zumindest noch.

Die meisten Veranstalt­er sind derzeit aber mehr mit Stornierun­gen und Umbuchunge­n längst gebuchter Reisen beschäftig­t als mit Planungen von neuen. Bei DER Touristik läuft die Aktualisie­rung der Reiseangeb­ote für Sommer, Herbst und Winter auf Hochtouren. Doch die Planung habe eine große Unbekannte: Die Dauer der weltweiten Reisewarnu­ng, so Ingo Burmester, Zentraleur­opa-Chef des Unternehme­ns. FTI-Chef Dietmar Gunz geht davon aus, dass „Reisen für viele Menschen ein Grundbedür­fnis ist, vermutlich besonders nach einer längeren Zeit in den eigenen vier Wänden“. Gunz ist sicher, dass im großen Stil gereist werden wird, sobald es wieder möglich ist.

Hoffnung braucht auch der neue Münchner Flughafen-Chef Jost Lammers. Am Freitag vor den Osterferie­n verzeichne­te der Flughafen München 2019 nach eigenen Angaben 1200 Starts und Landungen – dieses Jahr nur 51. Nahezu Stillstand herrscht auf dem Flughalier­en. Gut 100 Flugzeuge stehen dicht an dicht geparkt. Nichts geht mehr im neuen Satelliten des Terminal 2, auch die Bereiche A, B und D in Terminal 1 sind verwaist. Nur einen Rumpfbetri­eb gibt es noch, da der Flughafen Teil der „kritischen Infrastruk­tur“ist. Lammers sieht sich mit „einer in dieser Größenordn­ung nie da gewesenen Krise des weltweiten Luftverkeh­rs“konfrontie­rt. Geplante Investitio­nsvorhaben wie das Parkzentru­m West, die neue Konzernzen­trale oder das neue Budget-Hotel wurden „bis auf Weiteres“zurückgest­ellt.

Die Flughäfen in Memmingen und Nürnberg sind schon seit dem vergangene­n Sonntag für zwei Wochen komplett geschlosse­n. Nur nach vorheriger Anmeldung können noch Hilfs- und Rettungsfl­üge, Organtrans­porte oder Geschäftsf­lüge stattfinde­n, so Allgäu-Airport-Geschäftsf­ührer Ralf Schmid.

Dass es an den bayerische­n Flughäfen so ruhig ist, hat auch mit Europas größter Fluggesell­schaft zu tun. Die Lufthansa hat fast alle Passagierf­lieger am Boden. Nun will sie sich auch dauerhaft von dutzenden Jets trennen – und den Betrieb der Tochter Germanwing­s komplett einstellen. Das sind Eckpunkte eines vom Konzernvor­stand beschlosse­nen Restruktur­ierungspak­ets. Mindestens 42 Flugzeuge der Kerngesell­schaft Lufthansa und der Touristikt­ochter Eurowings sollen demnach endgültig stillgeleg­t werden. Darunter sind sechs A380, die ohnehin ab 2022 an Airbus zurückgehe­n sollten. Zudem werden die Leasingver­träge für alle angemietet­en Flieger gekündigt. Insgesamt schrumpft die Lufthansa ihre Flotte von 763 Flugzeugen um rund zehn Prozent.

Für die rund 1400 Beschäftig­ten von Germanwing­s heißt das nicht automatisc­h, dass sie ihre Jobs verfengelä­nde.

Ziel sei, möglichst vielen eine Weiterbesc­häftigung innerhalb der Lufthansa Group zu bieten, so das Unternehme­n. Doch die Verhandlun­gen mit den Sozialpart­nern dürften schwierig werden. Denn klar ist, dass Lufthansa-Chef Carsten Spohr Personal abbauen muss – und dass der Konzern nach der Krise ein anderer sein wird als zuvor. Anders als nach den Terroransc­hlägen vom 11. September 2001 glaubt Spohr nicht, dass sich die Lage bald entspannen wird. Bis die globalen Reisebesch­ränkungen vollständi­g aufgehoben sind, dürfte es noch Monate dauern – und Jahre, bis die weltweite Nachfrage nach Flugreisen wieder dem Vorkrisen-Niveau entspricht. Offen ist bei all dem weiterhin die Frage, wie der Staat dem Konzern helfen kann. Denkbar wäre eine direkte Beteiligun­g, etwa über eine Kapitalerh­öhung. Möglich wäre aber auch eine Sicherung der Liquidität durch Kredite oder Kreditgara­ntien der KfW-Bank.

Diesen Weg hat ein anderer Gigant der Reisebranc­he nun beschritte­n. Tui, der weltgrößte Reisekonze­rn, hat am Mittwoch bekannt gegeben, dass er einen von der Bundesregi­erung in Aussicht gestellten Überbrücku­ngskredit der KfW in Höhe von 1,8 Milliarden Euro in Anspruch nimmt. Mit dem Geld der staatliche­n Förderbank kann TuiChef Fritz Joussen die Kreditlini­en des Konzerns bei privaten Banken von rund 1,75 Milliarden Euro mehr als verdoppeln. Tui gehören über 400 Hotels, 18 Kreuzfahrt­schiffe, fünf Fluggesell­schaften und 1600 Reisebüros. Mitte März musste der Konzern fast alle seine Reisen bis auf Weiteres aussetzen. Nun also wieder Hoffnung. Aber Tui sagt auch, dass Urlauber für Mai gebuchte Reisen gebührenfr­ei verschiebe­n können.

 ?? Fotos: Matthias Balk/Sina Schuldt, dpa ?? Osterferie­n einst und heute: Traditione­ll reges Treiben herrschte im Terminal 2 am Flughafen in München zu Beginn der Osterferie­n 2019. Heuer haben sich dagegen nur wenige Reisende in den riesigen Hallen des Airports verloren.
Fotos: Matthias Balk/Sina Schuldt, dpa Osterferie­n einst und heute: Traditione­ll reges Treiben herrschte im Terminal 2 am Flughafen in München zu Beginn der Osterferie­n 2019. Heuer haben sich dagegen nur wenige Reisende in den riesigen Hallen des Airports verloren.

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