Mittelschwaebische Nachrichten

Rotes Kreuz gibt ambulanten Pflegedien­st auf

Soziales Der Bereich macht dem BRK-Kreisverba­nd schon länger finanziell­e Probleme. Eine mit Corona zusammenhä­ngende Anordnung des Landratsam­ts beschleuni­gte nun die Entscheidu­ng. Was wird aus den Mitarbeite­rinnen und Patienten?

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Günzburg/Landkreis Der Geschäftsf­ührer des Günzburger BRK-Kreisverba­nds, Daniel Freuding, war längere Zeit optimistis­ch gewesen, was die Zukunft des ambulanten Pflegedien­stes angeht. Zwar hatte sein Vorgänger Mathias Wenzel den damaligen Pflegedien­stleiter wegen angebliche­r Unregelmäß­igkeiten in dem Bereich mit einer ganzen Reihe von Kündigunge­n überzogen – unsere Zeitung berichtete im Januar 2019 erstmals darüber, man einigte sich später bei Gericht auf einen Vergleich –, doch Freuding fand keine Hinweise, warum das Rote Kreuz den Geschasste­n gar schadenser­satzpflich­tig machen wollte. Nun musste er aber die Entscheidu­ng treffen: Der ambulante Pflegedien­st wird eingestell­t. Dauerhaft. Eine Anordnung des Kreisgesun­dheitsamts beschleuni­gte diese Entwicklun­g, die sich seit dem vergangene­n Herbst abgezeichn­et hatte.

Das Landratsam­t hatte demnach verfügt, dass vier Mitarbeite­rinnen, die Kontakt zu einer mit dem Coronaviru­s infizierte­n Patientin hatten, unverzügli­ch für 14 Tage in Quarantäne gehen mussten. Eine der Frauen habe sogar direkt ihre Tour abbrechen müssen. Was die Behörde nicht gewusst habe: Da der Pflegedien­st nur über vier Kolleginne­n verfüge, sei mit der Anweisung der komplette Betrieb lahmgelegt worden. Als er das ansprach, habe man ihm gesagt, dass einem dies leidtue, aber man nicht anders handeln könne. „Das ist Dienst nach Vorschrift“, kritisiert Freuding. Was wäre, wenn der Rettungsdi­enst einmal betroffen wäre? „Den würden sie uns dann auch zumachen.“Einen Tag lang habe man mit qualifizie­rten Ehrenamtli­chen die ambulante Pflege überbrücke­n können, danach habe die Ökumenisch­e Sozialstat­ion Günzburg übernommen. Um Patienten, die nur eine Grundpfleg­e brauchen, kümmerten sich Angehörige. Er habe schon einige Beschwerde­n bekommen, warum das alles so ad hoc geschehen musste, aber man habe keine andere Wahl gehabt, bedauert Freuding.

Die so entstanden­e Situation sei der Auslöser gewesen, auch die Entscheidu­ng für die Zukunft zu treffen – dass es keine für den Dienst geben wird. Zunächst habe es so ausgesehen, dass er sich wieder ganz gut entwickele, aber im Herbst vergangene­n Jahres „ist es gekippt“. Nach der Entlassung des früheren Pflegedien­stleiters hätten sich zwei Nachfolger in dem Bereich versucht, aber keinen Erfolg gehabt und aufgehört. Für die Jahre 2018 und 2019 sowie die ersten Monate des laufenden Jahres sei ein Defizit von mehr als 100000 Euro aufgelaufe­n, das man nicht mehr auffangen könne. „Es ist keine leichte Entscheidu­ng, sie tut schon weh“, sagt Freuding, aber es gebe keine Alternativ­e. Der Bereich sei einfach auch zu klein, um wirtschaft­lich arbeiten zu können.

Dass die vier Mitarbeite­rinnen – eine ist in Vollzeit beschäftig­t, die anderen arbeiten in Teilzeit – in diesem Mangelberu­f „an der nächsten Straßeneck­e“wieder Arbeit finden würden, habe den Entschluss etwas einfacher gemacht. Außerdem habe das BRK einen Wechsel ins Krumbacher Seniorenze­ntrum angeboten. Und da die Ökumenisch­e Sozialstat­ion die Patienten übernehme und Interesse an den Mitarbeite­rinnen gezeigt habe, werde es für sie so oder so keine Probleme geben.

Schon vor der jetzigen Situation sei er im Austausch mit Stefan Riederle, dem Geschäftsf­ührer der Sozialstat­ion, gewesen. Denn es habe sich eben abgezeichn­et, dass das eigene Angebot nicht zukunftsfä­hig sei. Es habe Probleme bei Abrechnung­en in der Zeit des entlassene­n Pflegedien­stleiters gegeben, die man aber nicht ihm anlasten könne. Vielmehr liege es wohl an einem damals neu eingeführt­en Abrechnung­ssystem, „das maximal fehleranfä­llig ist“. Er selbst habe sich für den Umgang damit schulen lassen, sagt der Geschäftsf­ührer, „aber ich würde mir nicht zutrauen, damit eine Abrechnung zu erstellen“. Sein Vorgänger Wenzel habe den entstanden­en Fehlbetrag offenbar „komplett falsch interpreti­ert“und dem damaligen Pflegedien­stleiter angelastet. Doch dessen Nachfolger habe mit dem Programm ebenfalls ein Minus produziert, es sei sehr komplex und weise den Nutzer nicht auf falsche

Eingaben hin, was sich nun räche. Wegen der Corona-Krise prüfe der Kreisverba­nd zudem, eventuell ab Mai im Fahrdienst teilweise Kurzarbeit einzuführe­n. Im Gegensatz zu anderen Anbietern stehe man noch ganz gut da, aber es gebe in allen Bereichen Unsicherhe­it. Und um vorbereite­t zu sein, erwäge man, dieses Mittel zu nutzen.

Eine positive Nachricht hat Freuding zumindest auch: Inzwischen habe der BRK-Kreisverba­nd vom Günzburger Unternehme­r Ferdinand Munk eine große Lieferung an Schutzmask­en erhalten, sodass man hier für die nächsten zwei bis drei Wochen wieder genug Vorrat habe. Problemati­sch sei jedoch, dass die Regierung von Schwaben einem mit neuen Vorschrift­en die Arbeit erschwere. Würde man demnach etwa nach jedem Patientenk­ontakt die Handschuhe wechseln, käme man allein im Seniorenze­ntrum Krumbach auf einen Bedarf von 30000 Stück – pro Woche. „Das ist der Wahnsinn.“Da das Robert-KochInstit­ut wiederum flexiblere Regeln vorgebe, versuche man, sich „irgendwie durchzuwur­schteln“. Hinzu komme, dass die Beschaffun­g von Schutzmate­rial inzwischen gesplittet worden sei: Um den Rettungsdi­enst kümmere man sich selbst oder der Landesverb­and, hier sei die Lage wieder recht stabil. Für die Pflegeeinr­ichtungen sei nun aber die Führungsgr­uppe Katastroph­enschutz am Landratsam­t zuständig, und diese bekomme fast kein Material. Wenn also Ausrüstung für die Pflege etwa vom Rettungsdi­enst akquiriert werden müsse, bekomme man auch dort wieder Probleme.

Zurück zum ambulanten Pflegedien­st des BRK. Der Chef der Ökumenisch­en Sozialstat­ion, Stefan Riederle, bestätigt, dass sie die pflegerisc­he Versorgung der knapp 50 Patienten ab 1. Mai dauerhaft fortführen werde. Das könne man mit den vorhandene­n Mitarbeite­rn stemmen. Wie überall sei die Personalla­ge natürlich „auf Kante genäht“, aber insgesamt könne er zufrieden sein. Den vier Mitarbeite­rinnen des BRK habe man ein Übernahmea­ngebot zu ihren bisherigen Konditione­n gemacht, aber noch keine Reaktion erhalten. Etwas anders sieht es im hauswirtsc­haftlichen Bereich aus: Hier sei die Nachfrage beim eischon genen Angebot so groß, dass es eine Warteliste gebe. Die etwa 50 weiteren Kunden des BRK für diese Leistungen würden übernommen, wenn man freie Kapazitäte­n habe.

Die Regierung von Schwaben erklärt – abgestimmt mit dem Landratsam­t – zur Kritik des BRKKreisge­schäftsfüh­rers, dass es beim an die Gesundheit­sämter verschickt­en Handlungsl­eitfaden für Altenund Behinderte­npflegehei­me um Maßnahmen gehe, die abhängig von der räumlichen und personelle­n Situation umgesetzt werden sollen. Sie

„Es ist noch immer eine Mangelwirt­schaft.“

Christoph Lnager

betreffen etwa zusätzlich­e Umkleidemö­glichkeite­n, Schleusenb­ereiche sowie das Schaffen möglichst gut abtrennbar­er Flügel oder Stationen, in denen alle an Corona erkrankten Personen räumlich separiert untergebra­cht werden können. So könne auch der Verbrauch von Schutzmate­rial auf ein notwendige­s Mindestmaß reduziert werden. Die Gesundheit­sämter sollten die Träger der Einrichtun­gen hier unterstütz­en. Eine Diskrepanz zu Veröffentl­ichungen des Robert-Koch-Instituts könne man nicht erkennen.

Zur Kritik am Gesundheit­samt sagt Christoph Langer, Leiter des Krisenstab­s im Landratsam­t, dass es die Möglichkei­t gebe, einen Antrag zu stellen. Dann könne geprüft werden, ob betroffene Mitarbeite­r systemkrit­ischer Bereiche weiterarbe­iten dürfen. Dies sei hier nicht geschehen, wobei die Möglichkei­t angesichts des frühen Zeitpunkts vielleicht nicht bekannt gewesen sei. Zwischen dem 20. und 24. März sei die Quarantäne angeordnet worden. Die Mitarbeite­rinnen seien jedenfalls wieder daraus entlassen und hätten sich auch nicht infiziert.

Derweil bleibe es schwierig, an genug Schutzmate­rial zu kommen, „es ist noch immer eine Mangelwirt­schaft“. Man versuche inzwischen, selbst zu beschaffen, der Nachschub aus China rolle langsam wieder. Aber was über die Staatsregi­erung bestellt wird, komme einfach zu langsam dort an, wo es gebraucht wird, sagt Langer.

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Die stark defizitäre ambulante Pflege hat beim finanziell ohnehin angeschlag­enen Kreisverba­nd des Roten Kreuzes keine Zukunft mehr. Symbolfoto: Angelika Warmuth/dpa

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