Mittelschwaebische Nachrichten
Wie soll es an den Schulen weitergehen?
Bildung Ab Ende April beginnt der Unterricht wieder, jedoch nicht für alle. Wir haben Experten befragt, wie sie die Regelungen bewerten
Die Politik plant Schritt für Schritt
Geht es nach Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler), dann kehrt in die Schulen zwar bald wieder Leben ein – es wird aber deutlich übersichtlicher als bisher. Ab dem 27. April sollen etwa 14 Prozent aller Schüler in die Klassen zurückkehren, nämlich jene, die kurz vor den Abschlussprüfungen stehen. Frühestens am 11. Mai sollen dann weitere Schüler folgen. Die Klassen werden allerdings deutlich kleiner sein: Nur zehn bis 15 Kinder und Jugendliche sollen jeweils am Unterricht teilnehmen. „So werden wir in den Klassenzimmern einen Abstand von mindestens 1,5 Metern zwischen den Schülern gewährleisten“, betonte Piazolo bei einer Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung am Donnerstag. Pausen wie vor der Krise wird es wohl zunächst nicht geben, ebenso wenig wie klassischen Sportunterricht. Dass Schüler auch in diesem Jahr sitzen bleiben, ist nicht ausgeschlossen. Piazolo sagte aber, es werde ein Vorrücken auf Probe geben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte gemeinsam mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch beschlossen, dass die Schulen schrittweise wieder aufmachen sollen. Jede Schule brauche dafür allerdings einen konkreten Hygieneplan. Kanzleramtschef Helge Braun erhofft sich von der schrittweisen Wiederaufnahme des Schulbetriebs Erkenntnisse für das weitere Vorgehen. Wenn ab Anfang Mai Schüler der höheren Jahrgänge in ihre Klassenräume zurückkehrten, „dann lernen wir auch aus dem Praxisbetrieb“, sagte er im Morgenmagazin von ARD und ZDF.
Lehrer befürworten den Fahrplan
Das gibt es selten: Alle wichtigen Lehrervertreter befürworten, wie der Freistaat die Wiedereröffnung der Schulen gestalten will. Dass Abiturienten und andere Prüflinge schon am 27. April wieder in die Schulhäuser dürfen, hält Michael Schwägerl vom Bayerischen Philologenverband (bpv) für „wichtig und richtig“. Die Schüler müssen sich ihm zufolge zusammen mit ihren Lehrkräften auf die Prüfungen vorbereiten können. Von ihnen könne „die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln erwartet werden“, findet der bpv-Vorsitzende.
Vor allem für Grund- und Mittelschüler spricht Simone Fleischmann, Chefin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands. Gesundheit und Sicherheit hätten jetzt Vorrang vor den Lerninhalten, sagte Fleischmann unserer Redaktion. Sie rechnet damit, dass manche Schulen noch über den 11. Mai hinaus geschlossen bleiben. Hat ein Haus nicht genügend Platz für die Abstandsregeln oder keine Waschbecken in den Klassenzimmern, könnte der Schulleiter durchaus beschließen: „Ich kann nicht öffnen.“Sorgen machen ihr die Schüler, die jetzt in problematischen Elternhäusern Gewalt fürchten müssen. „Bei denen geht es nicht darum, den Lehrplan zu schaffen. Da geht es oft ums Überleben.“
Jürgen Böhm, Vorsitzender des Realschullehrerverbands, fordert, vor der Schulöffnung Risikogruppen unter Schülern und Lehrern zu definieren. Geklärt werden müsse auch, wie die Hygienemaßnahmen und die Schülerbeförderung umzusetzen seien.
Armutsforscher sieht Sozialstaat in der Pflicht
„Durch das Homeschooling wird die im deutschen Bildungssystem ohnehin bestehende Ungleichheit zementiert“, warnt Prof. Christoph Butterwegge. Denn nicht alle Schüler verfügten über jene digitalen Geräte, die das sogenannte E-Learning ermöglichen, erklärt der renommierte Armutsforscher. Er verweist auf einen Fall in Nordrhein-Westfalen, bei dem sich ein Vater, der Hartz-IV-Leistungen bezieht, hilfesuchend an sein Jobcenter gewandt hat, um einen Computer für seine drei Söhne zu erhalten, damit sie sich auf digitalem Wege den Unterrichtsstoff aneignen können. Die Bitte sei abgelehnt worden. Butterwegge kann das nicht nachvollziehen, belegten doch Studien, dass bereits in den Schulen die Grundlage dafür gelegt wird, welche beruflichen Chancen Heranwachsende später haben. „Der Sozialstaat ist jetzt in der Corona-Krise stärker gefordert denn je“, betont Butterwegge. Es könne nicht sein, dass an vielen Schulen nur mithilfe von bürgerschaftlichem Engagement, also mittels privater Spenden, bedürftige Familien unterstützt werden, die Behörden aber tatenlos zusähen. So habe sich der Vater von drei Söhnen zu sehr geschämt, die Schule zu kontaktieren, weil er eine Stigmatisierung seiner Kinder befürchtete. „Die Ärmsten der Armen bleiben auf der Strecke“, sagt Butterwegge. Er sieht ein weiteres Problem von sozial benachteiligten Familien darin, dass ihren Kindern daheim oft auch ein eigenes Zimmer und damit ein ruhiger Arbeitsplatz fehle, der ein konzentriertes Lernen ermöglicht.
Eltern sind skeptisch beim Heimunterricht
Ein Großteil der Eltern hatte sich schon darauf eingestellt, dass die Schulen so schnell nicht wieder öffnen. Aber ist es nun gut, dass Klassenzimmer bis 11. Mai geschlossen bleiben? Martin Löwe, Vorsitzender des Bayerischen Elternverbands, hat sich die Meinungen vieler Mütter und Väter angehört: „Die einen sagen: ,Macht die Schulen sofort wieder auf.‘ Andere flehen: ,Lasst das Schuljahr am besten gleich zu Ende gehen.‘“Der Rosenheimer und sein Verband aber haben eine klare Einstellung: „Wir sind froh, dass die Schulen nicht sofort wieder geöffnet werden.“Das sei vernünftig.
Doch verschlossene Schultüren bedeuten natürlich auch weitere drei Wochen Heimunterricht. Löwe und sein Team haben eine Umfrage zum Lernen am PC gestartet. „Im Großen und Ganzen läuft es“, sagt Bayerns oberster Elternsprecher. Aber der Erfolg hängt ihm zufolge auch stark vom Lehrer ab. „Manche machen das super, sind kreativ. Andere hauen nur Aufgaben raus und kümmern sich nicht weiter.“In diesem Punkt seien viele Eltern „enttäuscht“von Kultusminister Michael Piazolo. „Er müsste die Lehrer beim Fernunterricht viel mehr in die Pflicht nehmen und klare Anweisungen geben, etwa dass Rückmeldungen an die Kinder erforderlich sind.“Damit jedes Kind sinnvoll am Digitalunterricht teilnehmen kann, hat Löwe einen Vorschlag: „Schulträger sollen Schülern, die keine eigenen digitalen Geräte haben, spätestens am ersten Schultag eines der mobilen Geräte leihen, die jetzt in den Schulen nicht benötigt werden.“
Schüler wollen zurück in die Schulen
Seit Wochen wird in Deutschland diskutiert, wie es an den Schulen weitergehen soll. Schüler kommen dabei eher selten zu Wort. Wir haben deshalb auf Facebook nachgefragt, wie sie zu den Entscheidungen stehen. Die meisten sind dafür, dass die Abschlussklassen zuerst wieder an die Schulen gehen – so wie es die Bayerische Staatsregierung nun auch festgelegt hat. Prüfungen müssten angepasst oder sogar abgesagt werden. „Es kann auch eine Durchschnittsnote bestimmt werden“, schlägt Facebook-Nutzerin Lia Kreis vor, „Prüfungen nach hinten raus zu schieben ist nicht das Rätsels Lösung.“Ihr stimmen viele Schüler zu: „Ich finde, man braucht außergewöhnliche Lösungen, weil wir uns schlicht in einer außergewöhnlichen Situation befinden“, schreibt etwa die Zwölftklässlerin Adriana Martinell. Einige Nutzer meinen aber auch, dass die Coronavirus-Krise kein Grund für einen Aufschub der Prüfungen sei. „Jeder Schüler weiß doch, dass die Prüfungen anstehen“, schreibt Sandra Bicer, „also sollte man doch schon längst angefangen haben zu lernen, dass man den benötigten Stoff auch schafft.“
Auch für den Schulbetrieb gibt es Ideen: Nutzer Micojo Ze schlägt eine „Schule-togo“vor, bei der im Wechsel zehn Schüler pro Tag Unterricht erhalten, sodass Hygienemaßnahmen eingehalten werden können. Wenn der Schulbetrieb dann auch für alle anderen Klassen wieder startet, kann sich Yvonne Schmidt auch eine Kürzung der Sommerferien vorstellen, damit die Schüler „das Verpasste zum Teil aufholen“.