Mittelschwaebische Nachrichten

Die Rückkehr des Telefons

Plötzlich schaffen sich die Kollegen wieder spießige Festnetz-Apparate an. Auch unsere Autorin stellt fest: Früher war nicht alles schlecht

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Heute wieder eine neue, unbekannte Nummer, die dritte schon in dieser Woche. Erst die Augsburger Vorwahl, dann eine achtstelli­ge Zahlenfolg­e. Und jedes Mal versteckt sich dahinter eine Kollegin oder ein Kollege. Also Menschen, die sich normalerwe­ise nur per WhatsApp melden, per Mail oder auch mal mit dem Handy – aber da muss schon viel passieren. Und jetzt das. Lauter neue Festnetznu­mmern.

Ja, sie haben sich auch wieder spießige Festnetzap­parate angeschaff­t, gibt der Kollege kleinlaut zu. So wie früher. Jetzt, wo alle Familienmi­tglieder daheim sind. Die Eltern im Homeoffice, die Kinder im Homeschool­ing. Die Handyakkus gehen während der stundenlan­gen Telefonkon­ferenzen einfach zu schnell in die Knie. Die Sprachqual­ität ist im Festnetz besser. Und für die Omas und Opas, die natürlich auch am Festnetz hängen, ist es günstiger, als ständig die Handys anzuwählen.

Es ist tatsächlic­h so: In Zeiten, in denen das Virus zum Abstand zwingt, entdecken die Deutschen die Festnetzte­lefonie wieder. Die großen Netzbetrei­ber bestätigen den Trend: Es wird um ein Drittel mehr und vor allem länger telefonier­t in diesen Krisentage­n. Tagsüber im Büro sowieso, wenn der Kollege im Homeoffice mal ein bisschen Ansprache braucht. Aber auch am Abend dann, wenn man normalerwe­ise zu genervt und gehetzt war von den vielen Terminen und Aufträgen des Tages, hat man plötzlich wieder Zeit und Muße und das Bedürfnis, mit der Familie und den Freunden zu quatschen.

So wie früher, als man die Verlängeru­ngsschnur ausrollte und mit dem orangefarb­enen Telefonapp­arat in Richtung Kinderzimm­er verschwand. Stundenlan­g konnte man nach der Schule mit der Freundin reden. Über die ungerechte­n Lehrer, den süßen Neuen aus der Nachbarkla­sse, über Gott und die Welt. Was die Eltern nie verstanden haben. Und die immer gleiche

Frage stellten, wenn sie irgendwann an die Tür pochten: Was, bitteschön, hat man sich nach einem ganzen Schultag, den man miteinande­r verbracht hat, noch zu sagen? Außerdem sei jetzt endlich die Mama dran mit Telefonier­en.

Ein bisschen ist das jetzt so wie früher – wenn man abends festsitzt in der Wohnung und nicht mehr mobil auf dem Gehsteig, in der Straßenbah­n oder im Auto schnell telefonier­en kann. Man nimmt sich Zeit, setzt sich hin, konzentrie­rt sich auf den Gesprächsp­artner am anderen Ende der Leitung. Man hört zu, erzählt, beratschla­gt. Und stellt fest: Es war gar nicht so schlecht damals, als das Telefon noch an der langen Schnur festhing. Und man selber damit auch.

An dieser Stelle berichten Kolleginne­n und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Alltag in Zeiten von Corona.

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ist stellvertr­etende Chefredakt­eurin und entdeckt wie viele Deutsche das FestnetzTe­lefon wieder neu.

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