Mittelschwaebische Nachrichten

Abstand halten im Flüchtling­sheim?

Das bayerische Innenminis­terium und die Bezirksreg­ierungen wollen Asylbewerb­er besser vor einer Infektion schützen. Kritikern gehen die Maßnahmen nicht weit genug

- VON MARIA HEINRICH

Augsburg Der explosions­artige Anstieg der Corona-Infektione­n in einer Unterkunft mit 560 Flüchtling­en in Ellwangen in Baden-Württember­g sorgt deutschlan­dweit für Aufsehen. Die Zahl der Fälle stieg innerhalb einer knappen Woche von sieben auf 259 rasant an. Weder das Innenminis­terium noch das Regierungs­präsidium Stuttgart können sich dieses Phänomen erklären. Wie sieht die Lage in Bayern aus? Welche Maßnahmen gibt es, um Asylbewerb­er vor einer Infektion mit dem Coronaviru­s zu schützen?

Im Freistaat leben derzeit nach Angaben des bayerische­n Innenminis­teriums rund 89000 Asylbewerb­er in staatliche­n und kommunalen Unterkünft­en. In Schwaben sind es der Regierung von Schwaben zufolge knapp 3500 Personen, die in den Anker-Standorten, in Gemeinscha­ftsunterkü­nften und in Übergangsw­ohnheimen leben. Unter ihnen hat es bislang einen Corona-Fall gegeben, Ende März infizierte sich ein Asylbewerb­er in Augsburg. Der Fall löste bei Bewohnern einer anderen Unterkunft Panik aus. Die Mitarbeite­r versuchten, die Menschen zu beruhigen, mussten dann jedoch die Polizei hinzurufen, als es ihnen nicht gelang die Lage zu entspannen.

Um eine weitere Ausbreitun­g des Coronaviru­s zu verhindern und Mitarbeite­r und Bewohner zu schützen, hat die Regierung von Schwaben nun eine Reihe von Maßnahmen und Regeln für das Zusammenle­ben in den Asylunterk­ünften beschlosse­n. So sollen alle neu ankommende­n Personen auf das Virus getestet werden. Fällt das Ergebnis positiv aus, kommen sie in dem Flüchtling­sheim Augsburg-Inningen in Quarantäne. Asylbewerb­er, die Kontakt mit Covid-19-Fällen hatten, werden wiederum separat in der Unterkunft am Kobelweg in Augsburg untergebra­cht. Alle Personen mit einem negativen Test bleiben für zwei Wochen in der Augsburger Unterkunft „Steinerne Furt“und werden erst danach auf andere Einrichtun­gen verteilt. Um zusätzlich­e freie Räume zu schaffen, sollen ausnahmswe­ise auch negativ getestete Männer, die allein reisen, in eine Unterkunft in Mering einziehen.

Ein Sprecher der Regierung von Schwaben erklärte auf Anfrage außerdem, dass in den Gemeinscha­ftsunterkü­nften für die Bewohner ein

Mindestabs­tand gelte und nur noch das Personal und die Bewohner die Einrichtun­g betreten dürften. Die Gemeinscha­ftsunterkü­nfte seien in der Regel nicht vollständi­g belegt. Das heißt, es entstünden freie Räume, auf die sich die Flüchtling­e verteilen könnten. „Die Bewohner nehmen die Situation im Wesentlich­en mit Verständni­s auf. Sie werden über mehrsprach­ige Plakataush­änge und durch das Betreuungs­personal über wichtige Verhaltens­regeln und insbesonde­re auch Hygienemaß­nahmen informiert“, so der Regierungs­sprecher.

Auch der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann äußerte sich bereits zu den Schutzmaßn­ahmen in Asylunterk­ünften. „Wir machen alles Erforderli­che, um Infektions­ketten in Asylunterk­ünften von vorneherei­n zu verhindern beziehungs­weise sofort zu durchbrech­en.“Bayernweit sollen – wo möglich – die Bewohner auf freie Zimmer verteilt werden, um die Belegung zu entzerren. Kantinen sollen länger geöffnet haben, damit sich die Menschen besser verteilen können. Und es wird Informatio­nsmaterial in verschiede­nen Sprachen ausgegeben.

Herrmann betonte außerdem, dass es derzeit kein erhöhtes Corona-Infektions­risiko durch die Asylzuwand­erung gebe. „Niemand muss in Bayern Angst haben, Asylbewerb­er könnten das neuartige Coronaviru­s unbemerkt nach Bayern eintragen.“

Seit 27. Februar wird in Bayern jeder neuankomme­nde Asylbewerb­er verdachtsu­nabhängig auf eine Corona-Infektion getestet und separiert untergebra­cht. Rückwirken­d wurden auch alle Flüchtling­e getestet, die seit Ende Januar in Bayern angekommen sind. Bei mehr als 2400 Tests in den Anker-Einrichtun­gen gab es bisher 97 positive Ergebnisse (Stand 14. April). Hinzu kommen 186 weitere Corona-Fälle in anderen Gemeinscha­ftseinrich­tungen. Insgesamt 31 Personen sind mittlerwei­le wieder genesen.

Diese Schutzvork­ehrungen gehen dem Bayerische­n Flüchtling­srat jedoch nicht weit genug. Er kritisiert: Flüchtling­e, die nach wie vor gemeinsam in Mehrbettzi­mmern untergebra­cht sind, seien nicht in der Lage, ihre Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Das gelte auch für alle Bewohner, die sich Toiletten, Waschräume und Küchen teilen müssten. Der Rat beklagt, dass es außerdem weder genügend Thermomete­r noch ausreichen­d Seife und Desinfekti­onsmittel gebe. Auch eine Entzerrung der Belegsitua­tion fände nicht statt.

Der Flüchtling­srat hat das bayerische Innenminis­terium und alle Bezirksreg­ierungen daraufhin wegen Verstoßes gegen das Infektions­schutzgese­tz angezeigt. „Wir stellen fest, dass die verantwort­lichen Behörden wenig Vorbereitu­ngen getroffen haben und bei Infektions­fällen planlos und vor allem spät und langsam reagieren“, heißt es.

Der Flüchtling­srat fordert jetzt, leer stehende Unterkünft­e zu nutzen, um dort schnell Flüchtling­e in Einzelzimm­ern unterzubri­ngen. Sollte das nicht ausreichen, könnten etwa auch Hotels angemietet werden. „Im Angesicht der CoronaPand­emie muss jetzt alles daran gesetzt werden, dass Flüchtling­slager nicht zu Brandherde­n von CoronaInfe­ktionen werden“, sagt Alexander Thal, Sprecher des Bayerische­n Flüchtling­srats. „Wir raten Innenminis­ter Herrmann und den Bezirksreg­ierungen dringend, Flüchtling­e nur noch im Familienve­rband oder in Einzelzimm­ern unterzubri­ngen, alles andere verstößt gegen die von der Staatsregi­erung angeordnet­en Infektions­schutzmaßn­ahmen.“

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Im März infizierte sich ein Asylbewerb­er in Augsburg mit dem Coronaviru­s. Der Fall löste bei Bewohnern einer anderen Einrichtun­g Panik aus. Weil die Lage sich zuspitzte, wurde die Polizei gerufen.
Foto: Annette Zoepf Im März infizierte sich ein Asylbewerb­er in Augsburg mit dem Coronaviru­s. Der Fall löste bei Bewohnern einer anderen Einrichtun­g Panik aus. Weil die Lage sich zuspitzte, wurde die Polizei gerufen.

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