Mittelschwaebische Nachrichten

Dichten in der Mutterspra­che, Mörderspra­che

Seine „Todesfuge“zählt zu den berühmtest­en Verskunstw­erken des vergangene­n Jahrhunder­ts. Über seine Traumatisi­erung durch die Deutschen kam der jüdische Dichter jedoch nie hinweg. Vor 50 Jahren ging er in den Tod

- VON STEFAN DOSCH

Im Mai 1952 treffen sich die Literaten der Gruppe 47 an der Ostsee in Niendorf. Diesmal ist auch ein unbekannte­r Lyriker aus Paris dabei, der in deutscher Sprache schreibt und zum ersten Mal in der Bundesrepu­blik ist, Paul Celan. Mit hohem Pathos trägt er ein Gedicht voller ungeheurer Bilder vor. Von Menschen ist da die Rede, welche die „Schwarze Milch der Frühe“trinken und sich „schaufeln ein Grab in den Lüften“. Ein Mann wird benannt, „der pfeift seine Rüden herbei / er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde“. Und dann heißt es auch noch, „der Tod ist ein Meister aus Deutschlan­d sein Auge ist blau“.

„Todesfuge“hat Paul Celan dieses Gedicht betitelt. Es enthält die berühmtest­en Verse deutscher Sprache in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts, unzählige Male übersetzt, Inspiratio­n für Generation­en von Künstlern – Verse über das Leiden der Juden in den Konzentrat­ionslagern. Unter den Schriftste­llerkolleg­en in Niendorf 1952 aber stoßen das Gedicht und sein Verfasser weitgehend auf Ablehnung. „Singsang wie in einer Synagoge“schallt es Celan entgegen, er muss sich gar anhören, er lese „wie Goebbels“. Reaktionen, die den Dichter verstören und seine Sicht auf Nachkriegs­deutschlan­d nachhaltig prägen.

Was vor dem Hintergrun­d seiner Lebensgesc­hichte nicht verwundert. Geboren wurde er vor 100 Jahren, am 23. November 1920, unter dem Namen Paul Antschel im heute zur Ukraine gehörenden Czernowitz. Die Stadt in der Bukowina ist damals habsburgis­ch geprägt und verzeichne­t eine große jüdische Gemeinde. Auch die Antschels gehören dazu, und die Mutter vermittelt dem jungen Paul die Liebe zur deutschen Sprache und Literatur. 1941 kommt mit den Deutschen jedoch der Krieg, die Eltern werden im Lager ermordet, die Mutter durch Genickschu­ss. Paul Antschel, zur Arbeit im Straßenbau gezwungen, überlebt als Traumatisi­erter. Den neuen Machthaber­n traut er nicht, und so emigriert er über Bukarest zunächst nach Wien, wo er die Schriftste­llerin Ingeborg Bachmann kennenlern­t und mit ihr eine Beziehung beginnt. Doch auch hier fühlt er sich unbehaust und zieht 1948 weiter nach Paris. Eine Stadt, die ihm lebbar erscheint, nah und doch fern genug zu Deutschlan­d, das ihn nicht loslässt. Er findet eine Anstellung, heiratet eine Französin und ändert seinen Nachnamen um in Celan, mit weich gesprochen­em C und der Betonung auf der ersten Silbe.

Vor allem aber dichtet er weiter in deutscher Sprache. Es ist die Sprache der anhaltend betrauerte­n Mutter, zugleich die Sprache ihrer Mörder. Ein „abgrundtie­fes Dilemma“, wie Wolfgang Emmerich in seiner fasziniere­nden Studie über den Dichter und sein Verhältnis zu den Deutschen schreibt. Doch das Schreiben in deutscher Sprache ist für Celan eine produktive Auseinande­rsetzung mit der Schoah. Immer wieder ruft er in Gedichten die ermordete Mutter herbei: „Deiner Mutter Seele schwebt voraus. / Deiner Mutter Seele hilft die Nacht umschiffen, Riff um Riff. / Deiner Mutter Seele peitscht die Haie vor dir her.“Unter seinem, wie er später schreiben wird, „besonderen Neigungswi­nkel der Existenz“bildet Celan auch einen besonderen Umgang mit der poetischen Sprache aus. Auf den Reim wird verzichtet und meist auf ein Versmaß, die eingesetzt­en Sprachbild­er sind vieldeutig, vor allem aber fehlt jegliche konvention­elle Ab-Bildung: Stattdesse­n schafft er eine „wirklichke­itswunde“Gedichtspr­ache.

Die Aufnahme dieser neuartigen Lyrik in der Nachkriegs­gesellscha­ft ist gespalten. Einerseits werden Celans Gedichte in Deutschlan­d verlegt, wird ihr Verfasser zu Lesungen eingeladen. Doch es gibt auch, wie schon in der Gruppe 47, Kritik, zuweilen harsche. Formalismu­s ohne eigentlich­e Substanz, lautet ein wiederkehr­ender Vorbehalt, und im Bezug auf Verse, die wie die „Todesfuge“große sprachlich­e Virtuositä­t entfalten, ist abwertend von „Augenmusik“die Rede. Verrätselt, ja realitätsf­ern sei Celans Lyrik. Den Dichter, der dem Holocaust entronnen ist, trifft das tief. Immer stärker wittert er hinter solchen Vorbehalte­n – teils mit, teils ohne Grund – Antisemiti­smus.

Mit den Jahren wächst sich diese Wahrnehmun­g der Deutschen und ihrer literarisc­hen Vertreter zu einer sich stetig steigernde­n Empfindlic­hkeit aus. Wenn bei einer Lesung in Stuttgart einer aufsteht und Türen schlagend den Saal verlässt, wiegt das für Celan schwerer als hunderte von lauschende­n Zuhörern. Freundscha­ften, die während der frühen 50er entstanden sind – darunter solche mit Heinrich Böll und

Günter Grass –, zerbrechen an Celans hartnäckig­em Verdacht, bei den Deutschen überall Verdrängun­g, wenn nicht Schlimmere­s wahrzunehm­en.

1960 ist für den Dichter ein Jahr der Extreme. Der Büchnerpre­is wird ihm zuerkannt, Deutschlan­ds wichtigste literarisc­he Auszeichnu­ng. Doch in einer kleinen Literaturz­eitschrift erhebt Claire Goll den Vorwurf, Celan sei ein Plagiator der Gedichte ihres Mannes Yvan Goll – eine haltlose Infamie, die jedoch viel Wind in den Feuilleton­s entfacht. Celan sieht sich in seiner gesamten Existenz infrage gestellt, Depression­en und Wahnzustän­de stellen sich ein, Behandlung­en in psychiatri­schen Kliniken werden unumgängli­ch. 1967 schließlic­h unternimmt er einen Selbstmord­versuch, das Messer verfehlt sein Herz nur knapp. Das Zusammenle­ben mit Frau und Sohn wird unmöglich, Celan zieht aus der gemeinsame­n Wohnung aus.

Erstaunlic­h bei all diesen Verdüsteru­ngen ist seine unverminde­rte Produktivi­tät. In den 60er Jahren schärft er noch einmal seinen Umgang mit der Sprache, hin zu einer „graueren Sprache“, die „dem

Schönen“misstraut und den „Wohlklang“verbannt. Programmat­isch – auch im Schriftbil­d – formuliert er im Gedicht „Tübingen, Jänner“, das einen Besuch in der Stadt des als wesensverw­andt empfundene­n Dichters Hölderlin reflektier­t: „Käme, / käme ein Mensch, / käme ein Mensch zur Welt, heute, mit / dem Lichtbart der / Patriarche­n: er dürfte, / spräche er von dieser / Zeit, er / dürfte / nur lallen und lallen, / immer-, immer- / zuzu.“

Gezeichnet von Behandlung­en mit Psychophar­maka und Elektrosch­ocks – „zerheilt“, wie er in schlagende­r Wortfügung sagt – unternimmt er weiter Lesereisen nach Deutschlan­d. Dabei kommt es 1967 in Freiburg zu einer denkwürdig­en Begegnung mit Martin Heidegger. Celan schätzt dessen HölderlinS­chriften, weiß aber auch, dass der Philosoph anfangs den Nazis zugejubelt hatte und sich nun in Schweigen über seine Vergangenh­eit hüllt. Heidegger lädt den Dichter zu einem Ausflug in den Schwarzwal­d ein. Celan stimmt zu, wohl in Erwartung, bei dem Treffen in der „Denkhütte“des Philosophe­n bei Todtnauber­g werde seitens Heidegger ein Wort der Distanzier­ung von dessen NS-Begeisteru­ng fallen. Doch ein Gespräch über den für beide neuralgisc­hen Punkt kommt nicht zustande, Heidegger wird im Rückblick sagen: „Wir haben vieles einander zugeschwie­gen.“

Das Verdrängen der deutschen Gewaltgesc­hichte, das Scheitern aktueller politische­r Hoffnungen (Prager Frühling), die eigene traumatisc­he Erinnerung, anhaltende psychische Labilität: Ein Gemenge, das zu einem neuen Versuch führt, sich das Leben zu nehmen. Diesmal gelingt

Die Eltern werden im Lager umgebracht

Der Dichter wird tot in der Seine gefunden

es. In der Nacht vom 19. auf den 20. April 1970 wird das Verschwind­en des 49-jährigen Dichters bemerkt, Tage später wird sein Leichnam in der Seine gefunden.

Gut möglich, dass dieser Tod die seit den 70er Jahren mit Wucht einsetzend­e Verehrung von Autor und Werk noch befördert hat. Paul Celans literarisc­her Rang ist heute jedenfalls unbestritt­en: Als Schöpfer einer „Gedichtspr­ache“, die, wie Wolfgang Emmerich schreibt, „ihresgleic­hen im deutschen Sprachraum nicht hat“.

» Neue Bücher im Celan-Jahr

- Helmut Böttiger: Celans Zerrissenh­eit. Ein jüdischer Dichter und der deutsche Geist. Galiani, 200 S., 20 ¤ - Wolfgang Emmerich: Nahe Fremde. Paul Celan und die Deutschen. Wallstein, 400 S., 24 ¤

- Thomas Sparr: Todesfuge. Biografie eines Gedichts. DVA, 336 S., 22 ¤

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Foto: Willi Antonowitz/dpa Gedichte schreiben in „wirklichke­itswunder“Sprache: Paul Celan.

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