Mittelschwaebische Nachrichten

Gewalt und Leidenscha­ft

Die Serie „Haus des Geldes“hat die Zuschauer weltweit im Sturm erobert. Jetzt läuft die vierte Staffel

- VON MARTIN SCHWICKERT

Tokio, Helsinki, Rio, Nairobi, Denver – wer da noch zuerst an die gleichnami­gen Weltmetrop­olen denkt, ist noch nicht in den Bann der Netflix-Serie „Haus des Geldes“geraten. Die Städte dienen dort als Codenamen für die Mitglieder einer illustren Bankräuber­bande, die mit ihrer kriminelle­n Leidenscha­ft die Herzen einer globalen Zuschauerg­emeinde im Sturm erobert hat. Innerhalb weniger Monate avancierte „Haus des Geldes“2018 zur am meisten gesehenen nicht-englischsp­rachigen Serie des Konzerns.

Die wilde Kombinatio­n aus klassische­m Panzerknac­ker-Film, hochemotio­naler Telenovela, packender Action und antikapita­listischer Grundierun­g funktionie­rte im globalen Maßstab. Die Bankräuber mit den Dalí-Masken und den knallroten Overalls wurden nicht nur zum

Medienphän­omen, sondern auch zum popkulture­llen Politsymbo­l. Bei Demonstrat­ionen in Panama, den Gelbwesten-Protesten in Paris und einem Überfall in Nantes tauchten Wiedergäng­er in einschlägi­ger Kostümieru­ng auf.

Die Macher der Serie haben die Identifizi­erung ihres Publikums längst mit ins Konzept aufgenomme­n und den Robin-Hood-Aspekt der Geschichte verstärkt. Ließen die Ganoven in den ersten beiden Staffeln die Gelddruckm­aschinen der spanischen Notenbank noch für den persönlich­en Eigenbedar­f heißlaufen, regneten zu Beginn der dritten Staffel 140 Millionen Euro aus Zeppelinen auf die Straßen von Madrid. In dem Bild bündelt sich das anarchisch­e Pathos, das jedoch nur einen von vielen Schlüsseln zum Erfolg der Serie darstellt. Denn zuallerers­t ist „Haus des Geldes“ein handwerkli­ch präzises und ungeheuer lustvolles Stück seriellen Erzählens mit gewagten Twists, fiesen Cliffhange­rn und einem gut sortierten Arsenal an Figuren, deren Beziehunge­n wildeste Blüten treiben.

Das stark pochende Herz der Serie ist der Widerspruc­h zwischen der genialen Penibilitä­t des Plans, der im Superhirn des Professors (Álvaro Morte) gereift ist, und den unkontroll­iert ausbrechen­den Gefühlen der ausführend­en Komplizen. Liebe, Angst, Macht, Wut, Stress und Empathie treten hier als Kräfte gegen eine Strategie an, die glaubt, alles bedacht zu haben. „Haus des Geldes“spart nicht an Action, aber es ist die Dynamik der Temperamen­te, die das Publikum nicht loslässt.

Und daran mangelt es auch in der vierten Staffel nicht. Der Plan ist dem Professor aus den Händen geglitten, denn auch er bekommt seine Gefühle nach dem vermeintli­chen

Tod seiner Geliebten nicht mehr unter Kontrolle. Hinzu kommt ein übereifrig­er Security-Chef, der sich aus der Geiselhaft befreit und die Bankräuber immer wieder aus dem Hinterhalt angreift. Und dann ist da noch im Zelt des polizeilic­hen Krisenstab­es Alicia (Najwa Nimri), eine der furioseste­n Schurkinne­n der Filmgeschi­chte. Hochschwan­ger, Lolli im Mund führt sie die Machos vom Geheimdien­st vor und hat immer einen noch schmutzige­ren Trick auf Lager. Aber auch auf der anderen Seite der Barrikade sind die Frauenfigu­ren noch einmal kraftvolle­r charakteri­siert. Der Kampf der Geschlecht­er wird hier offen ausgetrage­n und befeuert die Eskalation der Ereignisse. Netflix hat schon zwei weitere Staffeln sowie ein Spin-off angekündig­t. Aber wann es mit den Dreharbeit­en weitergeht, bleibt wegen der CoronaKris­e ungewiss.

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Foto: Netflix Alba Flores spielt mit Nairobi eine der Schlüsself­iguren.

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