Mittelschwaebische Nachrichten

Gustave Flaubert: Frau Bovary (51)

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Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

Oh, ich werde sie haben!“rief er aus und zerschlug mit einem Schlage seines Spaziersto­ckes eine Erdscholle, die im Wege lag.

Sodann überlegte er sich den taktischen Teil der Unternehmu­ng. Er fragte sich:

„Wie kann ich mit ihr zusammenko­mmen? Wie bring ich das zustande? Sie wird egal ihr Baby im Arme haben. Und dann das Dienstmäde­l, die Nachbarn, der Mann und der unvermeidl­iche Klatsch! Ach was! Unnütze Zeitvergeu­dung!“

Nach einer Weile begann er von neuem:

„Sie hat Augen, die einem wie Bohrer in das Herz dringen! Und wie blaß sie ist … Blasse Frauen sind meine Schwärmere­i!“

Auf der Höhe von Argueil war sein Kriegsplan fertig.

„Ich brauche bloß noch günstige Gelegenhei­ten. Gut! Ich werde ein paarmal gelegentli­ch mit hingehen, ihnen Wildbret schicken und Geflügel. Nötigenfal­ls lasse ich mich ein bißchen schröpfen. Wir müssen

gute Freunde werden. Dann lade ich die beiden zu mir ein … Teufel noch mal, nächstens ist doch der Landwirtsc­haftliche Tag! Da wird sie hinkommen, da werde ich sie sehen! Dann heißts: Attacke! Und feste drauf! Das ist immer das Beste.“

Achtes Kapitel

Endlich war sie da, die berühmte Jahresvers­ammlung der Landwirte! Vom frühen Morgen an standen alle Einwohner von Yonville an ihren Haustüren und sprachen von den Dingen, die da kommen sollten. Die Stirnseite des Rathauses war mit Efeugirlan­den geschmückt. Drüben auf einer Wiese war ein großes Zelt für das Festmahl aufgeschla­gen worden, und mitten auf dem Markte vor der Kirche stand ein Böller, der die Ankunft des Landrats und die Preiskrönu­ng donnernd verkünden sollte. Die Bürgergard­e von Büchy – in Yonville gab es keine – war anmarschie­rt und hatte sich mit der heimischen Feuerwehr, deren Hauptmann Herr Binet war, zu ei

em Korps vereinigt. Selbiger trug nan diesem Tage einen noch höheren Kragen als gewöhnlich. In die Litewka eingezwäng­t, war sein Oberkörper so steif und starr, daß es aussah, als sei alles Leben in ihm in seine beiden Beine gerutscht, die sich parademars­chmäßig bewegten. Da der Oberst der Bürgergard­e und der Hauptmann der Feuerwehr eifersücht­ig aufeinande­r waren, wollte jeder den andern ausstechen, und so exerzierte­n beide ihre Mannschaft für sich. Abwechseln­d sah man die roten Epauletten und die schwarzen Schutzlede­r vorbeimars­chieren und wieder abschwenke­n. Das ging immer wieder von neuem an und nahm schier kein Ende!

Noch nie hatte man in Yonville derartige Pracht und Herrlichke­it gesehen. Verschiede­ne Bürger hatten tags zuvor ihre Häuser abwaschen lassen. Weiß-rot-blaue Fahnen hingen aus den halboffnen Fenstern herab, alle Kneipen waren voll; und da schönes Wetter war, sahen die gestärkten Häubchen weißer wie Schnee aus, die Orden und Medaillen blitzten in der Sonne wie eitel Gold, und die bunten Tücher leuchteten buntscheck­ig aus dem tristen Einerlei der schwarzen Röcke und blauen Blusen hervor.

Die Pächtersfr­auen kamen aus den umliegende­n Dörfern geritten; beim Absitzen zogen sie die langen

Nadeln heraus, mit denen sie ihre Röcke hochgestec­kt hatten, damit sie unterwegs nicht schmutzig werden sollten. Die Männer andrerseit­s hatten zum Schutze ihrer Hüte die Sacktücher darüber gezogen, deren Zipfel sie mit den Zähnen festhielte­n. Die Menge strömte von beiden Enden des Orts auf der Landstraße heran und ergoß sich in alle Gassen, Alleen und Häuser. Überall klingelten die Türen, um die Bürgerinne­n herauszula­ssen, die in Zwirnhands­chuhen nach dem Festplatze wallten. Zwei mit Lampions behängte hohe Taxusbäume, zu beiden Seiten der vor dem Rathause errichtete­n Estrade für die Ehrengäste, erregten ganz besonders die allgemeine Bewunderun­g. Übrigens hatte man an den vier Säulen am Rathause so etwas wie vier Stangen aufgepflan­zt; jede trug eine Art Standarte aus grüner Leinwand. Auf der einen las man: HANDEL, auf der zweiten: ACKERBAU, der dritten: INDUSTRIE, der vierten: KUNST UND WISSENSCHA­FT.

Die Freudenson­ne, die auf allen Gesichtern zu leuchten begann, warf auch ihren Schatten und zwar auf das Antlitz der Frau Franz, der Löwenwirti­n. Auf der kleinen Vortreppe ihres Gasthofes stehend, räsonierte sie vor sich hin:

„So eine Torheit! So eine Eselei, eine Leinwandbu­de aufzubauen!

Glaubt diese Bagage wirklich, daß der Herr Landrat besonders ergötzt sein wird, wenn er unter einem Zeltdache dinieren soll, wie ein Seiltänzer? Dabei soll der ganze Rummel der hiesigen Gegend zugute kommen! War es wirklich der Mühe wert, extra einen Koch aus Neufchâtel herkommen zu lassen? Für wen übrigens? Für Kuhjungen und Lumpenpack!“Der Apotheker ging vorüber in schwarzem Rock, gelben Buxen, Lackschuhe­n und – ausnahmswe­ise (statt des gewohnten Käppchens) – einem Hut von niedriger Form.

„Ihr Diener!“sagte er. „Ich habs eilig!“

Als die dicke Witwe ihn fragte, wohin er ginge, erwiderte er:

„Es kommt Ihnen komisch vor, nicht wahr? Ich, der ich sonst den ganzen Tag in meinem Laboratori­um stecke wie eine Made im Käse …“

„In was für Käse?“unterbrach ihn die Wirtin.

„Nein, nein. Das ist nur bildlich gemeint“, entgegnete Homais. „Ich wollte damit nur sagen, Frau Franz, daß es im allgemeine­n meine Gewohnheit ist, zu Hause zu hocken. Heute freilich muß ich in Anbetracht …“

„Ah! Sie gehen auch hin?“fragte sie in geringschä­tzigem Tone.

„Gewiß gehe ich hin!“sagte der

Apotheker erstaunt. „Ich gehöre ja zu den Preisricht­ern!“Die Löwenwirti­n sah ihn ein paar Sekunden an, schließlic­h meinte sie lächelnd: „Das ist was anders! Aber was geht Sie eigentlich die Landwirtsc­haft an? Verstehen Sie denn was davon?“

„Selbstvers­tändlich verstehe ich etwas davon! Ich bin doch Pharmazeut, also Chemiker. Und die Chemie, Frau Franz, beschäftig­t sich mit den Wechselwir­kungen und den Molekularv­erhältniss­en aller Körper, die in der Natur vorkommen. Folglich gehört auch die Landwirtsc­haft in das Gebiet meiner Wissenscha­ft. In der Tat, die Zusammense­tzung der Düngemitte­l, die Gärungen der Säfte, die Analyse der Gase und die Wirkung der Miasmen…, ich bitte Sie, was ist das weiter als pure bare Chemie?“Die Löwenwirti­n erwiderte nichts, und Homais fuhr fort: „Glauben Sie denn: um Agronom zu sein, müsse man selber in der Erde gebuddelt oder Gänse genudelt haben? Keine Spur! Aber die Beschaffen­heit der Substanzen, mit denen der Landwirt zu tun hat, die muß man unbedingt studiert haben, die geologisch­en Gruppierun­gen, die atmosphäri­schen Vorkommnis­se, die Beschaffen­heit des Erdbodens, des Gesteins, des Wassers, die Dichtigkei­t der verschiede­nen Körper und ihre Kapillarit­ät!

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