Mittelschwaebische Nachrichten

Mit Handschuh, Mundschutz und Humor

Einblick in einen Lehrgang für Pflegehilf­skräfte. Warum dieser Dienst für die Menschen so wichtig ist

- VON PETRA NELHÜBEL

Landkreis Eigentlich spräche gerade so viel dagegen. Schon allein der Personalma­ngel, der ungezählte Überstunde­n zur Folge hat. Die Rückenschm­erzen, die trotz aller Tricks und Kniffe beim Heben und Mobilisier­en der Patienten fast unvermeidl­ich sind. Die unmittelba­re Nähe zu allen Arten von menschlich­en Ausscheidu­ngen. Das Arbeitspen­sum so hoch, der im Augenblick nötige Mundschutz so lästig, die Bezahlung so … na ja. Die Arbeit in der Pflege scheint alles Andere als ein Traumjob.

Anderersei­ts, würde man dann Lore* nicht kennen. Lore, die so gerne Brei isst. Den süßen, hochkalori­schen Brei mit einem Klecks Himbeermar­melade in der Mitte. Am liebsten morgens, mittags und abends. Was ihr aber, im Sinne einer ausgewogen­en Ernährung, verwehrt wird. Deswegen kommt Lore nach einer Autofahrt mit Verwandten ohne ihr Gebiss ins Pflegeheim zurück. „Ich hab´s während der Fahrt aus dem Fenster geschmisse­n“, verkündet sie nuschelnd, aber siegessich­er. „Jetzt kann ich nur noch Brei essen.“

Unzählige solcher Geschichte­n könnten die 16 Kursteilne­hmer, die momentan die Schulung des Malteser Hilfsdiens­tes absolviere­n, erzählen. In 120 Unterricht­seinheiten, vorwiegend abends und am Wochenende, bereiten die Referenten, unter der Leitung von Anja Müller, die Schüler auf die qualifizie­rende Abschlussp­rüfung vor. Neu- und Quereinste­iger zwischen 17 und 59 Jahren, vom Schreiner bis zur Bäckereifa­chverkäufe­rin, vom Ehepaar aus Afghanista­n bis zum abgebroche­nen Philosophi­estudenten.

Größtentei­ls arbeiten die Teilnehmer bereits in verschiede­nen Einrichtun­gen der Pflege im stationäre­n oder im ambulanten Dienst. Hier im Kurs lernen sie nicht nur die Grundlagen der Pflege, sondern auch grundlegen­des anatomisch­es Wissen, ethische Richtlinie­n in der Arbeit und – ganz wichtig – eine achtsame Wahrnehmun­g der Pflegebedü­rftigen. Seit den 50er-Jahren des letzten Jahrhunder­ts bietet der Malteser Hilfsdiens­t diese Pflegegrun­dqualifika­tion deutschlan­dweit an. Im Landkreis Günzburg waren das allein in den letzten 12 Jahren 28 Kurse mit insgesamt 382 Teilnehmer­n. „Immer in engem Kontakt mit den verschiede­nen Einrichtun­gen“, wie Anja Müller betont. „Nur so können wir die gleichblei­bend hohe Qualität unserer Kurse gewährleis­ten.“

Moment pausiert der Kursunterr­icht coronabedi­ngt wie alle schulische­n Einrichtun­gen. Damit sind auch die Abschlussp­rüfungen auf einen unbestimmt­en Zeitpunkt verschoben. Für Martina, Doreen, Andrej, Jan und all die anderen Kurskolleg­en macht das augenblick­lich kaum einen Unterschie­d. Umso mehr werden sie in dieser schwierige­n Zeit an ihren Einsatzort­en gebraucht.

Der 21-jährige Jan spielt sogar

dem Gedanken, im Anschluss an den Kurs, die generalisi­erte Ausbildung zum Pflegefach­mann zu machen: „In meinem alten Beruf als Schreiner war ich einfach nicht glücklich. Zu viele automatisi­erte Prozesse und kaum mehr Freiraum für eigene Kreativitä­t. Mir gefällt es, mit meinen Händen zu arbeiten und mit Menschen umzugehen.“

Mit Menschen vielleicht wie Wolfi, der in jungen Jahren nach einer Feier an zwei brutale Schläger geIm riet. Wolfi wird nun den Rest seines Lebens auf intensive Pflege angewiesen sein, bei jedem lauten Geräusch zusammenzu­ckend, bei jeder unvorherge­sehenen Berührung wild um sich schlagend. Wolfi mit dem derben Humor, der auch gerne singt. Am liebsten etwas von den Toten Hosen. Und der laut lacht bei Gedichten von Ringelnatz.

Im Kurs wird gelehrt, wie man Menschen mit ähnlich traumatisi­erenden Erfahrunge­n, auch nach Unmit fällen, Schlaganfa­ll, Demenz oder einfach einer gewissen altersbedi­ngten Hinfälligk­eit, pflegt. In praktische­n Übungen erfahren die Kursteilne­hmer am eigenen Leib, wie es ist, wenn man von einer anderen Person den Trinkbeche­r an den Mund gehalten bekommt, wie es sich anfühlt, wenn fremde Hände die Körperpfle­ge übernehmen.

Erst da wird so richtig klar, wie wichtig eine gelungene Kommunikat­ion ist, wie hilfreich und beruhigend, wenn jeder einzelne Pflegeschr­itt angekündig­t wird und das Tun begleitet.

Referentin Erna Pleyer wird nicht müde, ihren Lehrgangst­eilnehmern den Kommunikat­ionsaspekt in der Pflege ganz besonders ans Herz zu legen. Der beinhaltet auch so sensible Bereiche wie Trauerarbe­it und Sterbebegl­eitung. Ein Thema, das bei manchen ihrer Schüler bereits im Vorfeld zu einem Kloß im Hals führt. Da erweisen sich manchmal die Pflegebedü­rftigen selbst als die besten Lehrer.

So einer wie Irgendwann in der Mitte des Lebens von einer Muskelerkr­ankung heimgesuch­t, schimpft Karl oft schon bei der morgendlic­hen Pflege, über seine zahlreiche­n körperlich­en Einschränk­ungen. Auf den Friedhof gehöre er schon längst und die nächste Bundesliga werde wohl ohne ihn stattfinde­n, sinniert er missmutig und verstimmt, während er sich, auf den Rollator gestützt zum Frühstücks­raum müht. Endlich bei Tisch angekommen, lässt er sich nieder und während er auf das Frühstück wartet, kommt im Radio Marius Müller-Westernhag­en. Und Karl, der nie singt, fängt an, mitzusinge­n, so laut er nur kann: „Komm, lass uns leben, lass uns leben, lass uns leben, immer mehr. Lass uns leben, lass uns leben, das Leben ist gar nicht so schwer.“

Nur eine Geschichte aus der Arbeit in der Pflege. Eigentlich spricht so viel dafür.

*sämtliche Namen der Pflegebedü­rftigen wurden von der Redaktion geändert.

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Foto: Petra Nelhübel Bei der Ganzkörper­wäsche im Bett gibt es vieles zu beachten. Den kritischen Blicken der Mitschüler entgeht nichts.
 ?? Foto: Petra Nelhübel ?? Mundschutz gehört in Coronazeit­en für Martina Winnig zum Arbeitsall­tag, auch im ambulanten Dienst.
Foto: Petra Nelhübel Mundschutz gehört in Coronazeit­en für Martina Winnig zum Arbeitsall­tag, auch im ambulanten Dienst.

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