Mittelschwaebische Nachrichten
Mit Handschuh, Mundschutz und Humor
Einblick in einen Lehrgang für Pflegehilfskräfte. Warum dieser Dienst für die Menschen so wichtig ist
Landkreis Eigentlich spräche gerade so viel dagegen. Schon allein der Personalmangel, der ungezählte Überstunden zur Folge hat. Die Rückenschmerzen, die trotz aller Tricks und Kniffe beim Heben und Mobilisieren der Patienten fast unvermeidlich sind. Die unmittelbare Nähe zu allen Arten von menschlichen Ausscheidungen. Das Arbeitspensum so hoch, der im Augenblick nötige Mundschutz so lästig, die Bezahlung so … na ja. Die Arbeit in der Pflege scheint alles Andere als ein Traumjob.
Andererseits, würde man dann Lore* nicht kennen. Lore, die so gerne Brei isst. Den süßen, hochkalorischen Brei mit einem Klecks Himbeermarmelade in der Mitte. Am liebsten morgens, mittags und abends. Was ihr aber, im Sinne einer ausgewogenen Ernährung, verwehrt wird. Deswegen kommt Lore nach einer Autofahrt mit Verwandten ohne ihr Gebiss ins Pflegeheim zurück. „Ich hab´s während der Fahrt aus dem Fenster geschmissen“, verkündet sie nuschelnd, aber siegessicher. „Jetzt kann ich nur noch Brei essen.“
Unzählige solcher Geschichten könnten die 16 Kursteilnehmer, die momentan die Schulung des Malteser Hilfsdienstes absolvieren, erzählen. In 120 Unterrichtseinheiten, vorwiegend abends und am Wochenende, bereiten die Referenten, unter der Leitung von Anja Müller, die Schüler auf die qualifizierende Abschlussprüfung vor. Neu- und Quereinsteiger zwischen 17 und 59 Jahren, vom Schreiner bis zur Bäckereifachverkäuferin, vom Ehepaar aus Afghanistan bis zum abgebrochenen Philosophiestudenten.
Größtenteils arbeiten die Teilnehmer bereits in verschiedenen Einrichtungen der Pflege im stationären oder im ambulanten Dienst. Hier im Kurs lernen sie nicht nur die Grundlagen der Pflege, sondern auch grundlegendes anatomisches Wissen, ethische Richtlinien in der Arbeit und – ganz wichtig – eine achtsame Wahrnehmung der Pflegebedürftigen. Seit den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts bietet der Malteser Hilfsdienst diese Pflegegrundqualifikation deutschlandweit an. Im Landkreis Günzburg waren das allein in den letzten 12 Jahren 28 Kurse mit insgesamt 382 Teilnehmern. „Immer in engem Kontakt mit den verschiedenen Einrichtungen“, wie Anja Müller betont. „Nur so können wir die gleichbleibend hohe Qualität unserer Kurse gewährleisten.“
Moment pausiert der Kursunterricht coronabedingt wie alle schulischen Einrichtungen. Damit sind auch die Abschlussprüfungen auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben. Für Martina, Doreen, Andrej, Jan und all die anderen Kurskollegen macht das augenblicklich kaum einen Unterschied. Umso mehr werden sie in dieser schwierigen Zeit an ihren Einsatzorten gebraucht.
Der 21-jährige Jan spielt sogar
dem Gedanken, im Anschluss an den Kurs, die generalisierte Ausbildung zum Pflegefachmann zu machen: „In meinem alten Beruf als Schreiner war ich einfach nicht glücklich. Zu viele automatisierte Prozesse und kaum mehr Freiraum für eigene Kreativität. Mir gefällt es, mit meinen Händen zu arbeiten und mit Menschen umzugehen.“
Mit Menschen vielleicht wie Wolfi, der in jungen Jahren nach einer Feier an zwei brutale Schläger geIm riet. Wolfi wird nun den Rest seines Lebens auf intensive Pflege angewiesen sein, bei jedem lauten Geräusch zusammenzuckend, bei jeder unvorhergesehenen Berührung wild um sich schlagend. Wolfi mit dem derben Humor, der auch gerne singt. Am liebsten etwas von den Toten Hosen. Und der laut lacht bei Gedichten von Ringelnatz.
Im Kurs wird gelehrt, wie man Menschen mit ähnlich traumatisierenden Erfahrungen, auch nach Unmit fällen, Schlaganfall, Demenz oder einfach einer gewissen altersbedingten Hinfälligkeit, pflegt. In praktischen Übungen erfahren die Kursteilnehmer am eigenen Leib, wie es ist, wenn man von einer anderen Person den Trinkbecher an den Mund gehalten bekommt, wie es sich anfühlt, wenn fremde Hände die Körperpflege übernehmen.
Erst da wird so richtig klar, wie wichtig eine gelungene Kommunikation ist, wie hilfreich und beruhigend, wenn jeder einzelne Pflegeschritt angekündigt wird und das Tun begleitet.
Referentin Erna Pleyer wird nicht müde, ihren Lehrgangsteilnehmern den Kommunikationsaspekt in der Pflege ganz besonders ans Herz zu legen. Der beinhaltet auch so sensible Bereiche wie Trauerarbeit und Sterbebegleitung. Ein Thema, das bei manchen ihrer Schüler bereits im Vorfeld zu einem Kloß im Hals führt. Da erweisen sich manchmal die Pflegebedürftigen selbst als die besten Lehrer.
So einer wie Irgendwann in der Mitte des Lebens von einer Muskelerkrankung heimgesucht, schimpft Karl oft schon bei der morgendlichen Pflege, über seine zahlreichen körperlichen Einschränkungen. Auf den Friedhof gehöre er schon längst und die nächste Bundesliga werde wohl ohne ihn stattfinden, sinniert er missmutig und verstimmt, während er sich, auf den Rollator gestützt zum Frühstücksraum müht. Endlich bei Tisch angekommen, lässt er sich nieder und während er auf das Frühstück wartet, kommt im Radio Marius Müller-Westernhagen. Und Karl, der nie singt, fängt an, mitzusingen, so laut er nur kann: „Komm, lass uns leben, lass uns leben, lass uns leben, immer mehr. Lass uns leben, lass uns leben, das Leben ist gar nicht so schwer.“
Nur eine Geschichte aus der Arbeit in der Pflege. Eigentlich spricht so viel dafür.
*sämtliche Namen der Pflegebedürftigen wurden von der Redaktion geändert.