Mittelschwaebische Nachrichten

Die Frage der Woche Jetzt besonders kochen?

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Man kann nur hoffen, dass Hamsterkäu­fe keine direkten Auswirkung­en auf den Speiseplan haben, denn dann dürfte dieser gemäß der Supermarkt­bestseller in einigen Haushalten gerade ziemlich fad aussehen: Nudeln mit Tomatensoß­e, Reis mit Tomatensoß­e, Hefebrot, Hefesemmel­n, Hefezopf ... Dabei ist gerade Zeit für „carpe cucina“– nutze die Küche! Und zwar mit besonderen Kreationen.

Man ist, was man isst – das alte Sprichwort gilt bei uns auch in Corona-Zeiten. Wer nur Tiefkühlpi­zza und Fertiggeri­chte zu sich nimmt, der legt auf seine Gesundheit offenbar keinen großen Wert. Wer hingegen noch besser kocht als sonst, weil er ja auch mehr Zeit hat als sonst, der bereitet sich über den Teller nicht nur eine kleine Freude oder Überraschu­ng zu, der profitiert auch seelisch davon – und zwar mehr denn je. Gutes Essen ist schließlic­h nicht nur ein Geschmacks­erlebnis, es kann auch verbinden und glücklich machen, weil es Hinwendung, Liebe, Fürsorge, einen Geschmack von Normalität und auch ein schönes Erlebnis bedeuten kann – das alles kann doch jeder zurzeit ganz besonders gebrauchen.

Außerdem: Wenn man schon nicht physisch verreisen darf, dann doch wenigstens kulinarisc­h etwas über den Tellerrand blicken. Also ab in die Lieblingsl­änder: Quiche (Frankreich), Nudel-Erdnussbut­ter-Salat (Japan), Pasta à la Norma (Sizilien) mit selbstzube­reiteten geräuchert­en Ricotta (einfach leicht salzen und auf einem Backpapier bei 175 Grad Umluft 80 Minuten dunkelbrau­n backen), Kimchi (Südkorea). Wer das nicht kochen kann oder mag: „Besonders kochen“gibt’s auch vom Profi. Viele Restaurant­s bieten gerade Abholservi­ces an – das bringt Abwechslun­g auf den Teller und hilft zudem einer zurzeit sehr gebeutelte­n Branche.

Woran erkennt man diejenigen in der Regel, die als Vertreter der zeitgeistg­emäßen kochbuch- und kochshowse­ligen Ernährungs­hysterie die akuten Krisenzeit nutzen, um mal nicht nur ausnahmswe­ise, sondern nun eben in schöner und bewusster Regelmäßig­keit das Besondere zu kochen? Das sind meist diejenigen, die jeden Tag einkaufen gehen, weil die Zutaten wie die Inspiratio­nen für das Besondere ja frisch sein sollen. Und das sind auch nicht selten diejenigen, die dann an den Ständen für Obst und Gemüse ausgiebig begutachte­n und auch noch betatschen, weil’s für das Besondere zwar schon auch teurer sein darf, aber dann natürlich auch gut sein muss.

Bei beidem stellt sich nicht gerade nur aus dem Hintergrun­d flüsternd die Frage: Was genau haben die an den Empfehlung­en, sich im Sinne der eigenen Gesundheit und der anderer auf die notwendige­n Besorgunge­n

zu beschränke­n, überhaupt verstanden? Dass sie nun leider nicht auch noch persönlich nach Indien fliegen können, um sich das wirklich unvergleic­hlich beste und karmisch allerreins­te Curry dort besorgen zu können? Aber so sind die Zeiten halt, mag man seufzen: Selbst in Regionen Italiens wird bereits und in Regionen Indiens wohl sowieso bald wegen der Krise gehungert – hier aber seufzt man ungeduldig über die Beschränku­ngen der individuel­len Freiheit und versucht sich in der Langeweile womöglich selbst an italienisc­hen oder indischen Spezialitä­ten. Dabei könnte das Besondere an dieser Krise ja sein, dass es lehren könnte, sich auf das Wesentlich­e zu besinnen und womöglich allein dafür etwas Dankbarkei­t zu empfinden. Die Besonders-Kocher aber sind die andere Seite der KlopapierH­amsterer: notstandsa­lbern, wäre es nicht so wohlstands­traurig.

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