Mittelschwaebische Nachrichten

„Auch der Löwenzahn ist eine Vase wert“

Das Wort zu Corona (9) Elisabeth Schlachter zwischen Krise, Frühlingse­rwachen und persönlich­er Hoffnung

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Bekannte und weniger bekannte Menschen aus dem Landkreis Günzburg geben an dieser Stelle in jeder Mittwochsu­nd Samstagsau­sgabe ihr ganz persönlich­es Statement in CoronaZeit­en ab. Heute schreibt die frühere Burgauer Mittelschu­lrektorin, Elisabeth Schlachter.

Burgau/Krumbach Glückliche­rweise bin ich als Früh-Pensionist­in frei von großen Existenzso­rgen. Vielmehr werde ich immer wieder gefragt, ob ich denn im Ruhestand angekommen bin. Die abrupte Trennung von der Mittelschu­le Burgau durch den schweren Reit-Unfall ist für mich immer noch ein herber Schlag. Mein Alltag ist beinahe täglich von medizinisc­her Aktivität bestimmt. Bis zur Ausgangsbe­schränkung! Nur noch einmal die Woche komme ich gesundheit­lich voran.

Ich merke, wie viel Zeit ich habe. Wie gerne hätte ich in meinem Rektorinne­n-Leben wenigstens mal kurz Muse gegen Terminenge getauscht, das Telefonat einer Freundin nicht knapphalte­n müssen. Selbst die Ferien waren jedes Mal wieder ruck zuck vorbei, weil viel

Liegengebl­iebenes aufzuarbei­ten war.

Abseits unserer düsteren Weltdramat­ik erlebe ich deshalb ganz bewusst die Ruhe auf meiner Terrasse, beobachte das nistende Elsterpaar in der ehrwürdige­n Kiefer gegenüber, genieße den Blick über Krumbach und das gemeinsame Geläut der drei Krumbacher Kirchen: St. Ulrich, Maria Hilf und St. Michael. Welch’ gewaltige Frohbotsch­aft!

Angst vor Corona? Im Freundesun­d Bekanntenk­reis haben einige das Virus bereits überstande­n mit Gott sei Dank beherrschb­aren Symptomen. Das macht mir Hoffnung!

Realitätsf­remd bin ich längst noch nicht. Bei meinen vier Kindern erlebe ich hautnah die Auswirkung­en der Krise. Meine Tochter ist seit einem halben Jahr als Wirtschaft­spädagogin in der Selbststän­digkeit. Sie muss nun damit umgehen, wenn die Auftraggeb­er der internatio­nalen Konzerne einige Organisati­onsentwick­lungsproje­kte vertagen. „Zu gegebener Zeit…“heißt es da. Jetzt gilt es, so schnell wie möglich digitale Lösungen zu finden.

Mein Sohn Simon erwartet sehnsüchti­g die Reitturnie­re. Nur Siegerpfer­de beziehungs­weise gut platzierte lassen sich entspreche­nd verkaufen. Meine beiden weiteren Söhne Johann und Georg dagegen können sich „ohne Ablenkung“dem Jettinger Ärztehaus-Neubau widmen. Deren andere Standbeine, die Versicheru­ngs- und Immobilien­branche sind eben gerade zurückhalt­end. Mein Partner dagegen arbeitet schon in der fünften Woche im Homeoffice.

Gedanklich bin ich immer wieder in der Schule. Meinem ehemaligen Kollegium wünsche ich genau den richtigen Dreh, den Schülern gerade jetzt zum Schuljahre­sende noch gerecht zu werden. Eltern werden erkennen, dass Lehrer sein doch nicht so ganz aus der hohlen Hand geht. Ein guter Pädagoge leistet wirklich viel!

Dass meine zweijährig­e Enkelin Luisa jetzt Laufrad fahren kann, schickt mir meine Schwiegert­ochter per WhatsApp-Video zu. Aber noch komischer ist es, wenn meine Enkeltocht­er Sophie aus dem Auto heraus bei herunterge­drehter Scheibe mir fröhlich kundtut: „Omi, ich brauche keine Windel mehr!“und „Wenn der Corona tot ist, dann schlafe ich gleich drei Tage bei Dir!“

Aber vielleicht lässt sich dieser gruseligen Zeit auch Gutes abgewinnen: Bewusster leben! Wie wenig man doch braucht! Diese „unscheinba­ren“Kleinigkei­ten. Eine Frage wie „was ziehe ich heute an?“ist völlig unbedeuten­d. Und glauben Sie’s mir, auch der Löwenzahn ist eine Vase wert. Wenngleich ich weiß, was ich hier als Freuden bezeichne. Für den Einzelhand­el bedeutet das krasse Einbußen.

Feste feiern, wie sie fallen? Im Sommer hätte ich in meinem Geburtsort Kirchheim meinen runden Geburtstag gefeiert. Was soll’s! 60 plus 1 lässt sich – hoffentlic­h ganz gesund – auch in 2021 begehen.

Elisabeth Schlachter ist am 26. Juni 1960 in Kirchheim (Unterallgä­u) geboren, hat eine Tochter und drei Söhne, war seit 1984 Lehrerin im Landkreis Günzburg, ab 2001 Konrektori­n der Mittelschu­le Burgau, von 2008 bis 2012 Rektorin an der Mittelschu­le Jettingen und ab 2012 bis 2019 Rektorin an der Mittelschu­le Burgau und Verbundrek­torin der Mittelschu­len Jettingen, Offingen und Burgau.

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Foto: Gauschinsk­i Genießt den Aufenthalt auf dem Balkon: Elisabeth Schlachter.

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