Mittelschwaebische Nachrichten
Als US-Soldaten zu Hause zu Gast waren
Kriegsende Vor 75 Jahren rollten amerikanische Panzer durch Mittelschwaben, die Kämpfe in der Region dauerten glücklicherweise nur wenige Tage. Für die Großen ging zumeist ein Wunsch in Erfüllung. Die Kinder erfuhren, wie Orangen aussehen und schmecken
Krumbach Das bis vor Kurzem noch fast unbekannte Wort Corona beherrscht seit Wochen die Diskussion praktisch auf unserem gesamten Erdball. Die große Weltkrise ist der Hintergrund für den Blick auf die Geschehnisse im Frühling 1945. Vor 75 Jahren ging der Zweite Weltkrieg für den mittelschwäbischen Raum zu Ende. Die ersten US-amerikanischen Panzer rollten durchs Land und eine Militärregierung hatte das Sagen. Auch dieser Zeitraum wurde zum weltumfassenden Ereignis mit der Frage: Wie geht es weiter? Vier damalige Kinder berichten als heutige Senioren, wie sie die Zeit damals erlebten.
● Georg Hofmeister:
Es war einiges los im Geburtshaus von Georg Hofmeister, dem ehemaligen „Freihaus“in der Karl-Mantel-Straße, also an der früheren „Grenze“zwischen Krumbach und Hürben. Es war damals noch die einzige Verbindung zwischen den seit 1902 vereinigten Stadtteilen, gab es doch nur eine Kammelbrücke. Als Zwölfjähriger erlebte er die Ereignisse kurz vor dem Ende des Krieges und war auch beim Einmarsch der amerikanischen Truppen am 27. April hautnah dabei.
Hofmeister erinnert sich noch gut an die Tage vorher, die geprägt waren vom Durchmarsch kleinerer deutscher Militärgruppen, verschiedentlich mit Pferdefuhrwerken und auch einzelnen Soldaten, die von ihrer Einheit getrennt worden waren. Es war ein Rückzug von der nahenden Front. Er weiß noch: „Mit meinem Schulkameraden und Nachbarn Karl Senser schaute ich den Jagdfliegern am Himmel zu, als plötzlich einer zu schießen begann. Wir sprangen sofort in unser Haus und brachten uns in Sicherheit. Später erfuhr ich, dass eine auf dem Bahnhof stehende Dampflok zerstört worden war.“
Gegen Abend des 26. April wurde es ernst und jeder Krumbacher war aufgerufen, im Haus oder in den Luftschutzkellern zu bleiben. Der Grund: Die Amerikaner kommen. „Wir warteten zuerst im Keller, meine Eltern und ich. Mein sechs Jahre älterer Bruder war bereits irgendwo an der Front.“Dem Vater sei es nicht wohl gewesen und so ging er immer wieder auf die Straße. Plötzlich sei er zurückgekommen:
„Vorne beim Herz bereitet die SS die Sprengung der Brücke vor.“Die Familie flüchtete in einen „Bunker“, der sich nahe der Unteren Mühle befand, wo heute der Saal des Pfarrheims steht. Es handelte sich um einen betonierten Raum, zur Hälfte im Erdreich und darüber ein mit Boden bedecktes gewölbtes Dach, in dem lediglich mehrere Bänke aufgestellt waren.
Die „Flucht“gegen 22 Uhr war aufregend. „Kurz vor der Mühlkapelle mussten wir in Deckung gehen, weil von Westen her kommende Panzergranaten ganz in unserer Nähe einschlugen.“Eine kurze Feuerpause genügte, um in geduckter Haltung den Bunker zu erreichen, wo wir drei gerade noch einen Platz fanden. Nachts gegen 2 Uhr gab es dann einen gewaltigen Knall. Dem Vater war klar: Die Kammelbrücke war gesprengt worden.
Am frühen Morgen des 27. April verließ die Familie den Bunker und kehrte in die Mantelstraße zurück. Georg Hofmeister: „Die Amerikaner waren mit ihren Panzern bereits da. Ich sah zum ersten Mal einen richtigen Neger, wie wir damals sagten. Wir sahen aber auch die teilweise stark beschädigten Nachbarhäuser. Auch an unserem Haus waren zwei Schaufenster geborsten. Kurz darauf erfuhren wir, dass in der Kirche sämtliche Fenster an der Südseite durch die Brückensprengung zerstört worden waren.“
● Marianne Niedermair:
Nicht besonders aufregend war für Marianne Niedermair (geborene Lindner) die Nacht zum 27. April. In ihrem Elternhaus in der Blockhausstraße (damals Hindenburgstraße) erlebte sie dann die Besetzung der Stadt durch die amerikanischen Soldaten zwar hautnah mit, doch die Geschehnisse in der Stadt waren der Siebenjährigen noch nicht voll bewusst. Und doch hatte die Familie zu leiden: Der Vater war Soldat an der Ostfront, geriet in Tallinn in sowjetische Gefangenschaft und kehrte erst 1948 in die Heimat zurück.
Interessant im wahrsten Sinne des Wortes wurde es für sie am folgenden Tag, wenn auch nicht im erfreulichen Sinne: Die US-Besatzung richtete ihre Kommandantur im heutigen ÜWK ein und die Häuser in der Blockhaus- und Jochnerstraße (sie hieß damals Adolf-HitlerStraße) mussten für amerikanische Soldaten geräumt werden, und zwar binnen zwei Stunden. Marianne Niedermair erinnert sich noch gut: „Meiner Mutter blieb nur wenig Zeit, die notwendigsten Habseligkeiten zusammenzupacken. Warum und wohin, dafür hatte sie selbst zu sorgen.“
In der heutigen Theodor-EinsleStraße wurden sie von einem älteren Ehepaar aufgenommen und bewohnten ein kleines Zimmer, in dem sie knapp sechs Monate „hausen“sollten. Für die Siebenjährige reichte es gerade noch zu einer Matratze auf dem Boden. Die Sorge ihrer Mutter galt schon nach den ersten Tagen dem eigenen Wohnhaus und dessen Einrichtung und schließlich erreichte sie den Zutritt unter einer Bedingung: Sie musste die Uniformen der Soldaten im eigenen Waschkessel waschen und anschließend bügeln.
Mutter und Tochter kamen auf diese Art mit den Besatzungskräften in Kontakt, erhielten dafür aber Zutritt zu ihrem Besitz. „Fünf verschiedene amerikanische Militäreinheiten waren in dem halben Jahr bei uns einquartiert, darunter aufgeschlossene, aber auch manchmal unsympathische Typen“, erinnert sich Marianne. Ein Beispiel: „Nach einem Sturz mit dem Roller brachte mich einer zum amerikanischen Sanitätshaus, wo meine Schürfwunde am Knie mit Jod behandelt und danach verbunden wurde. Zum Trost erhielt ich sogar noch eine Tafel Schokolade und zudem die erste Orange meines Lebens.“Noch besser erging es ihr, als sie den Besatzungssoldaten im Garten das Lied „My bonnie is over the ocean“vorsang, das sie von ihrem Cousin gelernt hatte, ohne den Text zu verstehen. Das „Ständchen“kam so gut an, dass sie von den Soldaten immer wieder mit Süßigkeiten und Orangen belohnt wurde. So richtig Freude kam in der Familie aber erst drei Jahre später auf: Der Vater kehrte abgemagert und in schlechter gesundheitlicher Verfassung aus der Gefangenschaft zurück. „Mit Haferflockenbrei, den ich von der Schulspeisung nach Hause brachte, päppelte ich ihn wieder auf“, erinnert sich Marianne Niedermair.
● Gertrud Hilber:
Noch immer in guter Erinnerung
Gertrud Hilber (geboren am 19. November 1937) das Ende des Zweiten Weltkriegs für Krumbach in der Nacht zum 27. April. Außerdem besitzt sie das Tagebuch ihres Großvaters Richard, der das Geschehen in beispielhafter Form niedergeschrieben hat, von denen Details daraus schon 2005 in Peter Bauers Buch „Am seidenen Faden“veröffentlicht wurden. Es ist dies ein einmaliges Dokument und was hinzukommt, sie verfügt auch über zahlreiche Bilder, die US-Soldaten in einer regelrecht privaten Atmosphäre zeigen.
So weiß die Siebenjährige von ihrem Opa, dass bereits am Tag vorher die Amerikaner Thannhausen durchfahren haben. Am anderen Morgen rollten dann auch in Krumbach die ersten Panzer ein. An jedem Haus musste ein weißes Tuch hängen, sämtliche Schusswaffen waren abzugeben und schließlich waren in der Innenstadt viele Häuser zu räumen. Trotz dieser aufregenden Stunden war die Familie Hilber froh, dass sie in ihrem Haus in der Babenhauser Straße bleiben durfte. Zu tun hatte der Malermeister in seiner Werkstatt auch noch die Tage zuvor, und zwar musste er großformatige Schilder mit der Aufschrift „Lazarettstadt“schreiben, die die Stadt vor dem Beschuss bewahren sollten. Sie wurden noch vor dem Einmarsch der Amerikaner an verschiedenen Gebäuden angebracht, die als Lazarette ausgewiesen waren. So auch am 26. April am ehemaligen Gasthof Post in der heutigen Aletsee-Straße. Er befestigte es am späten Abend, wobei ihm ein SS-Mann für die Flucht das Fahrrad stahl.
Nur wenige Tage später war das Können von Richard Hilber den Amerikanern bekannt geworden und so war er als Schriftenmaler gefragt. Mehrere Soldaten kamen in seine Werkstatt, schauten ihm bei der Arbeit zu, hielten sich in seinem Garten auf und spielten mit seiner Enkelin Trudi. Gerne besuchten sie auch deren Mutter Martha in der Küche. Es entwickelten sich geradezu freundschaftliche Verhältnisse, insbesondere zu US-Sergeant Wayne Bichel. Die Treffen wurden auf Fotos festgehalten und noch heute werden diese Erinnerungen von der Enkelin wie ein Schatz gehütet. Gertrud Hilber: „Die Fotos zeigen trotz der schweren Zeiten lächelnde Gesichter und eine Gemeinschaft, die zusammen die drückenden Sorgen des Alltags bewältigte.“
Gut erinnert sich Gertrud Hilber noch an Wayne Bichel, einen USSoldaten deutscher Abstammung, der mit der Familie Hilber einen herzlichen Kontakt pflegte. Die heutige Seniorin bringt es auf den
Punkt: „Auch, wenn er nur kurze Zeit da war, war es für mich eine beispielhafte Begegnung, unabhängig von der Nationalität, eine herzliche Beziehung aufzubauen, verbunden mit dem Wunsch, sich in schweren Zeiten einander zu stützen.“Ein Detail daraus: „Einmal nahm mich ein Soldat in seine eigene Gemeinschaftsküche im Schulhaus bei St. Michael mit und ich durfte essen, bis ich richtig satt war.“
● Hans Bosch:
Der „Hänslesbauer“, drittgrößter Bauernhof im ehemaligen Hürben und am östlichen Ende der KarlMantel-Straße stehend, war im April 1945 ein „internationales Haus“. Neben den Besitzern, Georg und Wilhelmine Bosch, wohnten dort ihre vier Kinder und dazu ein Kriegsgefangener aus Frankreich, eine polnische Zwangsarbeiterin und eine russische Studentin, die als Helfer in der Landwirtschaft aktiv waren. Ihnen standen im Obergeschoss eigene Zimmer zu, deren Fenster jedoch vergittert sein sollten. Auch durften sie zum Essen nicht am gleichen Tisch sitzen, was jedoch nie praktiziert wurde.
Hans Bosch: „Bis in die letzten Kriegstage bekamen wir von der allgemeinen Not wenig zu spüren, da wir bis zuletzt genügend zum Essen hatten. Zudem war ,Hans’ – wie der Franzose der Einfachheit halber genannt wurde – ein guter Koch und so war es ihm erlaubt, an den Sonntagen selbst gezüchtete Hasen zu schlachten, die dann gemeinsam von ebenfalls gefangenen Landsleuten verzehrt wurden. Zur Nachspeise gab es Schokoladenpudding, von dem wir Kinder immer einiges abbekamen. Hans war ebenso dabei, wenn immer wieder einmal in der Waschküche ein Schwein geschlachtet wurde. Ging es dann in der Küche um das Schmalz auslassen, so schüttete meine Mutter Milch auf den Herd. Der Gestank verbrannter Milch sollte den Geruch vom heißen Fett egalisieren, denn die Fenster waren damals nicht so dicht und kein Passant durfte etwas riechen.
Zitate aus meinen Aufzeichnungen: ,Die folgenden Tage wurden immer gefährlicher und die Angst größer. Es kam zu Angriffen von feindlichen Tieffliegern auf den Bahnhof und einen Bus, der in der Mantelstraße in unmittelbarer Nähe von unserem Haus in Brand geschossen wurde. Bei jedem Alarm flüchteten die Nachbarn in unseren Keller, dessen Decke eigens mit starken Holzbalken verstärkt worden war. Dann kamen die Amerikaner. Nachts wurden Panzergranaten von Deisenhausen her auf Hürben geschossen und zertrümmerten in der Nachbarschaft mehrere Dächer. Dass es in der Burgauer und Raunauer Straße auch je einen Toten gegeben hatte, erfuhren wir erst am anderen Tag.’ Und weiter: ,Früh am Morgen ratterten die ersten UShat
SS-Verbände bereiteten die Sprengung der Brücke vor
An den Häusern hingen weißen Fahnen
Panzer durch die Mantelstraße Richtung Osten. An jeder Fassade hingen weiße Tücher. Wir standen vor unserem Haus und schauten trotz großer Angst zu. Wir hatten vorher noch keinen Panzer gesehen und auch noch nie einen Neger. Am Abend wurde in unserem Stadel ein amerikanischer Lkw abgestellt, voll beladen mit Orangen. Als uns die Soldaten einige schenkten, waren dies die ersten Südfrüchte, die wir zu sehen bekamen und die wir sogar essen durften.’ Die erste Begegnung mit Orangen: Auch das war für viele der Einmarsch der US-Truppen.