Mittelschwaebische Nachrichten

Was wurde aus Deutschlan­ds Friedensvo­rstoß für Libyen?

Analyse Der Verhandlun­gsgipfel in Berlin galt als großer Erfolg der Bundesregi­erung. Genau hundert Tage später sieht die Bilanz ganz anders aus

- Simon Kremer und Michael Fischer, dpa

Berlin Es war einer der größten Erfolge deutscher Diplomatie in den letzten Jahren. Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Außenminis­ter Heiko Maas brachten am 19. Januar in Berlin fast alle Staaten an einen Tisch, die den Libyen-Krieg mit Waffen und Kämpfern befeuern. Und sie brachten sie dazu zu verspreche­n, genau das nicht mehr zu tun. In einem Abschlussd­okument verpflicht­eten sich Russland, die Türkei, Ägypten, die Vereinigte­n Arabischen Emirate und andere, das seit neun Jahren bestehende Waffenemba­rgo für Libyen einzuhalte­n und auf Einmischun­g in den Konflikt zu verzichten. CDU-Kanzlerin Merkel und SPD-Minister Maas wurden für den Erfolg gefeiert. Die Kanzlerin versuchte aber schon damals, die Euphorie zu bremsen.

„Ich mache mir keine Illusionen, dass das natürlich noch eine schwierige Wegstrecke sein wird“, sagte Merkel. Es gehe lediglich darum, einen „neuen Impuls“zu setzen. Nach genau hundert Tagen lautet die Bilanz: Merkels „neuer Impuls“ist verpufft. Aus der Hoffnung des Berliner Gipfels sind Frustratio­n und Verbitteru­ng geworden. Die Waffenlief­erungen wurden ebenso wenig eingedämmt – geschweige denn beendet – wie die Kämpfe in dem nordafrika­nischen Wüstenstaa­t. Selbst die Corona-Pandemie, nach deren Ausbruch sich UN-Generalsek­retär António Guterres einen Waffenstil­lstand erhoffte, konnte den Krieg nicht stoppen.

„Wir dachten, dass mit der Corona-Pandemie die Konfliktpa­rteien ein wenig den Fuß vom Gas nehmen würden“, sagt die amtierende UNSonderge­sandte für Libyen, Stephanie Williams. „Die Sache mit Libyen ist: Du denkst, dass du am Tiefpunkt angekommen bist, aber dann kommt ein neuer Tiefpunkt.“

So richtig ernst genommen wurde die Berliner Abschlusse­rklärung von Anfang an nicht – jedenfalls nicht von denen, die an dem Konflikt beteiligt sind. Nach einem BBC-Bericht legte nur fünf Tage nach dem Gipfel in der Türkei ein Frachtschi­ff mit Waffen an Bord ab und fuhr – begleitet von zwei türkischen Fregatten – in Richtung Tripolis. Drei Wochen später empörte sich UN-Generalsek­retär Guterres einer Wutrede über die anhaltende­n Verstöße gegen das Waffenemba­rgo. „Ich bin zutiefst frustriert über das, was in Libyen passiert, und ich finde, es ist ein Skandal.“Zweieinhal­b Wochen später schmiss auch der UN-Sondergesa­ndte für Libyen, Ghassan Salamé, entnervt hin.

Ähnlich ernüchtern­d wie für das Waffenemba­rgo sieht die Bilanz für die Kämpfe in Libyen aus. Die vereinbart­e Waffenruhe existiert in der Praxis nicht: Die UN verzeichne­ten seit Januar mehr als 850 Verstöße. „Die Situation in Libyen ist heute signifikan­t schlimmer, als vor der Konferenz“, sagt Tarek Megerisi vom Europäisch­en Zentrum für Internatio­nale Beziehunge­n. An manchen Tagen fielen mehr als hundert Raketen auf Tripolis.

Längst kann in Libyen nicht mehr von einem Bürgerkrie­g gesprochen werden. Der Konflikt hat sich zu einem Stellvertr­eterkrieg wie in Syrien oder im Jemen entwickelt, in dem außenstehe­nde Mächte die treibenden Kräfte sind. „Wir kennen die regionalen Brandstift­er, primär die Türkei und die Emirate“, sagt die amtierende UN-Sondergesa­ndte Williams. Daneben seien inzwischen zahlreiche Söldner aus Russland, Syrien, dem Sudan oder Tschad in Libyen aktiv. Türkische Frachtschi­ffe laufen die Häfen in Misrata und Tripolis an, dazu kommen hunderte Frachtflüg­e aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Die Türkei unterstütz­t die internatio­nal weitgehend anerkannte Regierung von Ministerpr­äsident Fajis al-Sarradsch. Russland, Ägypten und Vereinigte­n Arabischen Emirate den mächtigen General Chalifa Haftar, der Sarradschs Regierung in Tripolis bekämpft.

Aber woran liegt es nun, dass die Berliner Beschlüsse nicht durchgeset­zt werden konnten? Politische Beobachter sehen hier vor allem fehlenden Willen bei den europäisch­en Staaten und den USA. „Die Eskalation würde ich als direkte Folge des Berliner Prozesses sehen“, sagt Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik, SWP. „Berlin hat gezeigt, dass Europäer und USA nicht bereit sind, Druck auszuüben und das Resultat ist, dass diese Staaten die Konfliktpa­rteien weiterhin massiv unterstütz­t haben.“EU und die USA wollen keine Spannungen in ihren Beziehunge­n mit den Emiraten und auch Ägypten in Kauf nehmen.

Zum 1. April startete zumindest die neue EU-Libyen-Mission „Irini“. Mit Schiffen und Flugzeugen und Satelliten soll das Waffenemba­rgo überwacht und kontrollie­rt werden, die Bundeswehr beteiligt sich mit 300 Soldaten. Mit den gesammelte­n Informatio­nen gibt es jetzt die Möglichkei­t, ganz konkret Druck auf die Waffenlief­eranten auszuüben. Eine weitere Möglichkei­t wären Sanktionen.

„Den Worten müssen endlich Taten folgen“, forderte Außenminis­ter Maas vergangene Woche im Bundestag in der Debatte über die EU-Mission. Auch er zeigt sich inzwischen genervt von den Gesprächen mit den in den Konflikt involviert­en Staaten. „Wenn man regelmäßig bei solchen Treffen dabei ist und Leuten gegenübers­itzt, die Verstöße gegen das Waffenemba­rgo beklagen, aber man ganz genau weiß, dass sie diejenigen sind, die gegen das Waffenemba­rgo verstoßen, dann hat man irgendwann die Nase voll von all diesen Lippenbeke­nntnissen.“

 ?? Foto: Amru Salahuddie­n, dpa ?? Vertrieben­e Kinder in einer Unterkunft in Tripolis. Die Zivilbevöl­kerung Libyens leidet unter einem Stellvertr­eterkrieg.
Foto: Amru Salahuddie­n, dpa Vertrieben­e Kinder in einer Unterkunft in Tripolis. Die Zivilbevöl­kerung Libyens leidet unter einem Stellvertr­eterkrieg.

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