Mittelschwaebische Nachrichten
Was wurde aus Deutschlands Friedensvorstoß für Libyen?
Analyse Der Verhandlungsgipfel in Berlin galt als großer Erfolg der Bundesregierung. Genau hundert Tage später sieht die Bilanz ganz anders aus
Berlin Es war einer der größten Erfolge deutscher Diplomatie in den letzten Jahren. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas brachten am 19. Januar in Berlin fast alle Staaten an einen Tisch, die den Libyen-Krieg mit Waffen und Kämpfern befeuern. Und sie brachten sie dazu zu versprechen, genau das nicht mehr zu tun. In einem Abschlussdokument verpflichteten sich Russland, die Türkei, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere, das seit neun Jahren bestehende Waffenembargo für Libyen einzuhalten und auf Einmischung in den Konflikt zu verzichten. CDU-Kanzlerin Merkel und SPD-Minister Maas wurden für den Erfolg gefeiert. Die Kanzlerin versuchte aber schon damals, die Euphorie zu bremsen.
„Ich mache mir keine Illusionen, dass das natürlich noch eine schwierige Wegstrecke sein wird“, sagte Merkel. Es gehe lediglich darum, einen „neuen Impuls“zu setzen. Nach genau hundert Tagen lautet die Bilanz: Merkels „neuer Impuls“ist verpufft. Aus der Hoffnung des Berliner Gipfels sind Frustration und Verbitterung geworden. Die Waffenlieferungen wurden ebenso wenig eingedämmt – geschweige denn beendet – wie die Kämpfe in dem nordafrikanischen Wüstenstaat. Selbst die Corona-Pandemie, nach deren Ausbruch sich UN-Generalsekretär António Guterres einen Waffenstillstand erhoffte, konnte den Krieg nicht stoppen.
„Wir dachten, dass mit der Corona-Pandemie die Konfliktparteien ein wenig den Fuß vom Gas nehmen würden“, sagt die amtierende UNSondergesandte für Libyen, Stephanie Williams. „Die Sache mit Libyen ist: Du denkst, dass du am Tiefpunkt angekommen bist, aber dann kommt ein neuer Tiefpunkt.“
So richtig ernst genommen wurde die Berliner Abschlusserklärung von Anfang an nicht – jedenfalls nicht von denen, die an dem Konflikt beteiligt sind. Nach einem BBC-Bericht legte nur fünf Tage nach dem Gipfel in der Türkei ein Frachtschiff mit Waffen an Bord ab und fuhr – begleitet von zwei türkischen Fregatten – in Richtung Tripolis. Drei Wochen später empörte sich UN-Generalsekretär Guterres einer Wutrede über die anhaltenden Verstöße gegen das Waffenembargo. „Ich bin zutiefst frustriert über das, was in Libyen passiert, und ich finde, es ist ein Skandal.“Zweieinhalb Wochen später schmiss auch der UN-Sondergesandte für Libyen, Ghassan Salamé, entnervt hin.
Ähnlich ernüchternd wie für das Waffenembargo sieht die Bilanz für die Kämpfe in Libyen aus. Die vereinbarte Waffenruhe existiert in der Praxis nicht: Die UN verzeichneten seit Januar mehr als 850 Verstöße. „Die Situation in Libyen ist heute signifikant schlimmer, als vor der Konferenz“, sagt Tarek Megerisi vom Europäischen Zentrum für Internationale Beziehungen. An manchen Tagen fielen mehr als hundert Raketen auf Tripolis.
Längst kann in Libyen nicht mehr von einem Bürgerkrieg gesprochen werden. Der Konflikt hat sich zu einem Stellvertreterkrieg wie in Syrien oder im Jemen entwickelt, in dem außenstehende Mächte die treibenden Kräfte sind. „Wir kennen die regionalen Brandstifter, primär die Türkei und die Emirate“, sagt die amtierende UN-Sondergesandte Williams. Daneben seien inzwischen zahlreiche Söldner aus Russland, Syrien, dem Sudan oder Tschad in Libyen aktiv. Türkische Frachtschiffe laufen die Häfen in Misrata und Tripolis an, dazu kommen hunderte Frachtflüge aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Türkei unterstützt die international weitgehend anerkannte Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch. Russland, Ägypten und Vereinigten Arabischen Emirate den mächtigen General Chalifa Haftar, der Sarradschs Regierung in Tripolis bekämpft.
Aber woran liegt es nun, dass die Berliner Beschlüsse nicht durchgesetzt werden konnten? Politische Beobachter sehen hier vor allem fehlenden Willen bei den europäischen Staaten und den USA. „Die Eskalation würde ich als direkte Folge des Berliner Prozesses sehen“, sagt Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP. „Berlin hat gezeigt, dass Europäer und USA nicht bereit sind, Druck auszuüben und das Resultat ist, dass diese Staaten die Konfliktparteien weiterhin massiv unterstützt haben.“EU und die USA wollen keine Spannungen in ihren Beziehungen mit den Emiraten und auch Ägypten in Kauf nehmen.
Zum 1. April startete zumindest die neue EU-Libyen-Mission „Irini“. Mit Schiffen und Flugzeugen und Satelliten soll das Waffenembargo überwacht und kontrolliert werden, die Bundeswehr beteiligt sich mit 300 Soldaten. Mit den gesammelten Informationen gibt es jetzt die Möglichkeit, ganz konkret Druck auf die Waffenlieferanten auszuüben. Eine weitere Möglichkeit wären Sanktionen.
„Den Worten müssen endlich Taten folgen“, forderte Außenminister Maas vergangene Woche im Bundestag in der Debatte über die EU-Mission. Auch er zeigt sich inzwischen genervt von den Gesprächen mit den in den Konflikt involvierten Staaten. „Wenn man regelmäßig bei solchen Treffen dabei ist und Leuten gegenübersitzt, die Verstöße gegen das Waffenembargo beklagen, aber man ganz genau weiß, dass sie diejenigen sind, die gegen das Waffenembargo verstoßen, dann hat man irgendwann die Nase voll von all diesen Lippenbekenntnissen.“