Mittelschwaebische Nachrichten

Helden, Henker und die Amerikaner

Was vor 75 Jahren im Augsburger Land geschah, hat sich in das Gedächtnis vieler Menschen eingebrann­t

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Landkreis Augsburg Erst die CoronaKris­e hat das Ritual unterbroch­en. Tag für Tag trafen sich bis vor wenigen Wochen Frauen aus Baiershofe­n (Gemeinde Altenmünst­er) in der Pfarrkirch­e, um einen Rosenkranz zu beten. Sie dankten dafür, dass ihr Dorf in den letzten Kriegstage­n vor 75 Jahren nicht zerstört wurde. Der kleine Ort im Nordwesten des Augsburger Landes war einer von wenigen hochmodern­en Radarstand­orten des Dritten Reiches und geriet deshalb am 25. April 1945 ins Visier der amerikanis­chen Artillerie. Ein Kind starb, mehrere Häuser wurden beschädigt. Doch ein Großteil der Geschütze schoss über das Dorf hinweg - und deshalb erinnern noch 75 Jahre nach Kriegsende die Frauen aus dem Dorf daran, dass damals der „Gottesmant­el über Baiershofe­n ausgebreit­et wurde“.

Andere hatten weniger Glück: In Emersacker, ganz im Norden des heutigen Landkreise­s Augsburg starben am 26. April noch neun Einwohner, auch ein Kind und mehrere Frauen, durch eine verirrte Granate der US-Truppen.

Vor 75 Jahren ging mit dem Einmarsch der US-Truppen für die

Menschen im Augsburger Umland der Zweite Weltkrieg zu Ende. Es kam zu letzten sinnlosen Kämpfen und Gräueln, von denen sich manche tief ins Gedächtnis der Bevölkerun­g eingegrabe­n haben. Zeitzeugen gibt es nur noch wenige.

Zu ihnen gehört der Gersthofer Ehrenbürge­r Josef Schuler. Er erlebte als 14-Jähriger mit, wie USFlieger in Aystetten einen Nahverkehr­szug der Weldenbahn angriffen. 40 Menschen kamen in dem Inferno am 10. April 1945 ums Leben. Getroffen werden sollten, so die Vermutung, Arbeiter, die auf dem

Weg zu einer der geheimen Rüstungsfa­briken im Augsburger Umland waren. An die Blechschmi­ede bei Horgau und das Waldwerk Kuno, in dem Zwangsarbe­iter Hitlers Wunderwaff­en bauten, wird heute an Ort und Stelle erinnert.

Vier Tage lang zogen Ende April 1945 bis zu 1500 Zwangsarbe­iter durch den heutigen Landkreis, anscheinen­d von Pfersee aus in Richtung Stadtberge­n über Straßberg und weiter bis nach Klimmach, wo der Trupp am Morgen des 27. April auf amerikanis­che Truppen stieß. Für manche kam die Befreiung zu spät: Bis Ende Mai starben 26 von ihnen an Erschöpfun­g oder auch Typhus. Anscheinen­d hatten eine ganze Reihe in Schwabmünc­hen ein Lager mit giftigem Methylalko­hol gefunden - woraufhin weitere 40 gestorben sein sollen.

Brücken, die mit Sprengladu­ngen versehen waren, und Straßen, die in einen Hinterhalt führten: So sah es in vielen Orten im heutigen Landkreis in den letzten Tagen des April 1945 aus. Es war die Stunde beherzter Zivilisten, die vielerorts durch Überredung noch obrigkeits­treue Wehrmachts­soldaten, SS-Truppen oder den Volkssturm davon abhielten, das Unglück zu verlängern.

Einer dieser Helden war Karl Gaa in Zusmarshau­sen. Der Spenglerme­ister verhindert­e, dass die Zusambrück­e gesprengt wurde, an der bereits die Sprengladu­ngen hafteten. Um die deutschen Soldaten abzulenken, sollen sie mit Bier, Wurst und Brot im Anwesen Zech bewirtet worden sein. Spenglerme­ister Gaa konnte derweil an der Brücke unbemerkt die Zündkabel durchschne­iden. Als er dann mit seinem Fahrrad auf dem Heimweg in der Ulmer Straße war - vermutlich gegen 1.30 Uhr - detonierte eine Artillerie­granate neben ihm und verletzte den Vater von vier Kindern tödlich.

In Neusäß gelang es dem späteren Landrat Albert Kaifer, ein friedliche Übergabe des Ortes zu vermitteln. Kuriere zeigten den amerikanis­chen Truppen den Weg um die Sperren herum. In Schlipshei­m hatte es noch Tote unter der Zivilbevöl­kerung gegeben. Das war am 27. April. Am 29. April gegen 4 Uhr morgens waren die Amerikaner schließlic­h auch in Stadtberge­n eingerückt.

Selbst Kinder im Alter von kaum 16 Jahren wurden in den letzten

Wochen vor Kriegsende in Gersthofen als Flak-Helfer eingesetzt. Ein aus vier Kompanien bestehende­s Volkssturm­bataillon hatte die aussichtsl­ose Aufgabe, mit Panzerfäus­ten den Feind am Ausgang des Langweider Forstes auf der Donauwörth­er Straße aufzuhalte­n. In den letzten Kriegstage­n hatte sich aus dem nahen Augsburg auch WaffenSS in Gersthofen festgesetz­t.

Bevor am 27. April 1945 die Amerikaner den Ort einnahmen, überschlug­en sich für die Einwohner die schrecklic­hen Ereignisse. Tieffliege­r griffen den nahe gelegenen Gablinger Flugplatz an, am 27. April traf es Gersthofen selbst. Tieffliege­rangriff: 32 kleinere und größere Brände wurden gezählt.

Auch Thierhaupt­en wurde Ziel von Tieffliege­rn, mehr noch aber hat sich ins Gedächtnis des Dorfes der Tod zweier junger Flakhelfer eingebrann­t, die nur nach Hause wollten. SS-Schergen erhängten die Jugendlich­en vor den Augen entsetzter Dorfbewohn­er an den Kastanien an der Ostseite des Klosters. Seit fünf Jahren erinnert ein Stahlmante­l um einen der Bäume an dieses Verbrechen.

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Foto: Archiv Michael Kalb In Baiershofe­n beten Frauen auch nach 75 Jahren noch täglich einen Rosenkranz zum Dank.
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Foto: Frey An diesem Baum starb kurz vor Kriegsende ein junger Mann.

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