Mittelschwaebische Nachrichten

Ach, Freunde!

Gesellscha­ft Endlich darf man die Familie wieder sehen. Und eine weitere Person zu Hause besuchen. Aber was ist mit lustigen Geburtstag­sfeiern? Mit gemeinsame­n Grillabend­en? Freundscha­ften zu Corona-Zeiten sind anders – mit digitalen Treffen und stundenla

- VON STEFANIE WIRSCHING

Freunde sind kein Klopapier. Oder, anderer Vergleich, keine Hefe. Man kann sie nicht hamstern. Wäre das anders, hätte man im Februar oder Anfang März noch einmal jeden Abend sich treffen, ausgehen, reden müssen. Und sich umarmen. Schnell noch alles wegfeiern, was geht. Oder noch gemeinsam in Urlaub fahren. Aber wie gesagt…

Seit fast sieben Wochen herrscht in Deutschlan­d neue Normalität. Eine, die sich jeden Tag ändern kann, wenn irgendwo ein Ministerpr­äsident vor die Kamera tritt. In Bayern also seit Mittwoch erlaubt: Besuche bei der engen Familie oder einer Person außerhalb des eigenen Hausstands, also einem Freund. Ob zur neuen Normalität aber auch bald gehören wird, mit Freunden zum Beispiel abends am Tisch zusammenzu­sitzen, weiß man nicht. Weiß niemand, also auch nicht Christian

Drosten, Virologe an der Charité in Berlin, gefühlt schon ein guter Bekannter. Aber wenn man ihn zuletzt richtig interpreti­ert hat, wird es mit den Freunden am Tisch noch dauern. Nicht gefeiert jedenfalls seitdem: drei Geburtstag­e, und den einen gleich ganz vergessen, weil man sich all die Jahre offenbar auf die Einladung verlassen hat. Gestrichen alles, was im Kalender stand und sich nach Geselligke­it anhört, angefangen von A wie Andrea, Abendessen, bis Z, wobei einen Freund mit Z haben wenige. Gestrichen also: Alltagsrel­evantes, Lebensrele­vantes. Wie mit einem Federstric­h. Vor einem Jahr, ach was, noch im Dezember, bevor die ersten Bilder aus Wuhan kamen, hätten bei dieser Vorstellun­g alle den Kopf geschüttel­t. Gedacht, jetzt aber mal halblang ...

Als das Allensbach Institut im vergangene­n Jahr fragte, was den Menschen denn am wichtigste­n sei, sagten die allermeist­en: ihre Freunde. Mehr als 85 Prozent. Die Deutschen lieben ihre Freunde, schrieb daraufhin das Institut, und das klang

so, als sei das etwas Besonderes. Etwas ganz Typisches im Vergleich zu anderen Ländern. Jaja, die Deutschen, die mit ihrer Ordnung, ihrer Pünktlichk­eit und ihren Freunden. Aber gut, in der Umfrage kamen die Familie und glückliche Partnersch­aften tatsächlic­h erst an Platz zwei und drei. In einer anderen Umfrage wurde ermittelt, dass die Deutschen im Schnitt 3,3 Freunde haben, mit denen sie durchschni­ttlich 8,9 Stunden pro Woche verbringen. Also nicht mit jedem, sondern insgesamt. Das ist ein ganzer Arbeitstag. Was machen die Deutschen aber mit diesem Tag seit sieben Wochen? Und mit ihren Freunden? Und wie geht es ihnen eigentlich damit? Gewöhnen sie sich etwa schon daran? Neue Fragen in der neuen Normalität.

Als die Krise begann, kam gerade ein kleines Buch auf den Markt: „Freunde, was uns verbindet“. Manchmal hat man als Autor diese Art von Glück, wenn man es in diesem Fall so nennen mag, dass ein lang geplantes Buch genau in die richtige Zeit hineinfäll­t. Und so schrieb auch die Mitarbeite­rin des Verlags in einer Mail noch dazu: „Gerade in der aktuellen Situation sind soziale Kontakte und Freundscha­ften ja ein wichtiges Thema.“Man kann das Buch jedenfalls sehr gut an jeden verschenke­n, nach dem man Sehnsucht hat. Heike Faller schreibt darin von Freundscha­ften, wie sie entstehen, was sie ausmacht, warum sie zerbrechen, wie lange sie halten können und vor allem, was man mit Freunden alles so unternimmt: Um Mitternach­t schwimmen gehen, dann ist man meist noch ziemlich jung, auf dem Sofa sitzen und noch ein Glas Wein einschenke­n, dann vermutlich schon etwas älter. Dazu hat Valerio Vidali Bilder gezeichnet. Es ist das zweite Buch, das die beiden zusammen machen, vermutlich sind sie mittlerwei­le Freunde. Es ist ein Buch aus der alten Normalität, man sieht Freunde beim Feiern, Singen, Spielen, im Auto, auf dem Auto, auf dem Schlauchbo­ot, im Meer. Fast nie Mindestabs­tand. Aber nie sieht man Freunde vor dem Bildschirm sitzen.

So aber sahen die letzten Wochen in der neuen Normalität aus: ZoomMeetin­g oder Facetime oder wie auch immer statt Zusammensi­tzen. Für diejenigen, die das mögen. Für die anderen? Spazieren gehen. Was aber auch nicht jeder mag. All das aber ist besser als nichts. Also, auf ein Glas Wein mit R. und S. und K. am Sonntagabe­nd, wobei R. sich meist zwei Gläser Aperol Spritz mixt und vor dem Bildschirm platziert, sehr wenig Alkohol, wie sie sagt, damit sie während des Gesprächs nicht aufstehen muss. Es ist meist sehr sehr lustig. Jeder in seiner Kachel, wenn einer beziehungs­weise eine spricht, wird die Kachel größer. Manchmal sind die Kacheln überforder­t: wenn zwei oder drei gleichzeit­ig sprechen. Dann zucken sie nervös.

Hätte man in der alten Normalität vorgeschla­gen, sich doch einfach mal digital zu verabreden, die Freunde hätten vermutlich überlegt, ob man sich Sorgen machen müsse ... Und jetzt? Geht plötzlich alles digital. Auch Kartenspie­len, Serienscha­uen, Stricken, über Bücher sprechen, gemeinsame­s Angrillen. Ist man plötzlich heilfroh über diese Business-Tools, die nun Freundscha­ftstools geworden sind, einem tatsächlic­h so etwas wie Normalität bewahren. Wobei, was ist eigentlich normal?

Bevor nun Janosch Schobin zu Wort kommt, Freundscha­ftsforplöt­zlich scher an der Universitä­t Kassel, noch schnell zu einer anderen Umfrage. Nicht repräsenta­tiv, einfach mal bei einigen Freunden angerufen. „Das Umarmen fehlt“, sagen D. und R. und B. und auch M.: „Ich hätte gar nicht gedacht, dass mir das so wichtig ist.“Die ganz normale Nähe also. C. erzählt, dass er kaum mehr zum Telefonier­en kommt vor lauter digitalen Treffen, diesen Abend Biertrinke­n mit den Berlinern Es sind ja jetzt immer alle zu Hause. R. sagt: „Ich träume von einer Gartenpart­y.“T. wiederum: „Ich vermisse gar nichts.“

Jetzt aber zu Schobin. So viel journalist­isches Interesse für sein Fachgebiet wie derzeit kennt der Wissenscha­ftler normal aus der Zeit vor Weihnachte­n, dann geht es vor allem um die Einsamkeit und wie man damit so über die Feiertage zurechtkom­mt. Nun also die CoronaEins­amkeit. Alle auf Abstand. Sie trifft jene am meisten, die auch ansonsten nicht mittendrin stehen, sagt Schobin, die sich die nötige Portion Nähe im Alltag nebenbei holen, die in der Gruppe eher so mitlaufen. Und natürlich die, die gerade existenzie­lle Sorgen haben, für die eine Welt zusammenbr­icht. Wenn man also gar nicht genug gute Freunde haben kann. Das Geld werde gerade mit der Gießkanne verteilt, heißt es im Moment oft, auch das stimmt so natürlich nicht. Was die Härten der Krise betrifft, stimmt das Bild von der Gießkanne schon dreimal nicht. „Ich weiß, anderen geht es schlechter“, sagt B., „da käme ich mir blöd vor zu jammern.“

Es ist eher so: Wenn man ein bisschen länger spricht, fangen die Menschen an, auch ganz vorsichtig zu schwärmen. Von stundenlan­gen Telefonate­n. Von verloren geglaubten Freunden, die sich wieder gemeldet haben. Von besseren Gesprächen. Die Buchautori­n Heike Faller hat, wenige Wochen nachdem ihr Buch erschienen ist, über ihre Erfahrung mit Freundscha­ft während der Corona-Krise geschriebe­n. Man hätte nach diesem Buch einen Sehnsuchts­artikel erwarten können. Wurde es nicht. Faller, Zeit-Redakteuri­n, schrieb, wie erleichter­t sie erst einmal gewesen sei, all die ja an sich schönen Termine aus dem Kalender zu streichen. Ausflug ins Wellenbad zum Beispiel. Und wie sehr sie es genieße, plötzlich endlos viel Zeit zu haben: „Für enge Freunde, für alte Freunde und für Menschen, mit denen ich mich verbunden fühle und mit denen ich sonst doch viel zu wenig rede.“

Die Corona-Zeit und Freunde, das ist ein bisschen wie beim Intervallf­asten. Wo nach 16 Stunden ohne Essen plötzlich der Biss in den Apfel pures Glück ist, für andere der in die Leberkässe­mmel. Der Vergleich mit dem Fasten hat Trend – und Zukunftsfo­rscher Matthias Horx benutzt in seiner Rückwärtsp­rognose, in der er beschrieb, wie und worüber wir uns wundern werden, wenn die Krise überstande­n ist – beim Blick auf diese Zeiten. „Paradoxerw­eise erzeugte die körperlich­e Distanz, die der Virus erzwang, gleichzeit­ig neue Nähe“, schreibt Horx: „Wir haben Menschen kennengele­rnt, die wir sonst nie kennengele­rnt hätten. Wir haben alte Freunde wieder häufiger kontaktier­t, Bindungen verstärkt, die lose und locker geworden waren.“

Auch Janosch Schobin glaubt, dass die Corona-Zeit im Rückblick eher als freundscha­ftsintensi­ve Zeit wahrgenomm­en werde. Vor allem bei jenen, die exklusive Zweierbezi­ehungen pflegen. Beste Freunde. Weil es in diesen Freundscha­ften vor allem auch um emotionale Unterstütz­ung geht, ums Gespräch – „das kann ich am Telefon jetzt genauso führen.“Wobei das Konzentrie­ren auf wenige enge Freundscha­ften auch mit sich bringe, dass die „Aufmerksam­keitskonku­rrenz“zunehme, sagt Schobin. Wenn die Menschen länger mit einzelnen und dafür weniger mit vielen kommunizie­ren, bedeutet das auch: Es bleibt nicht für alle ein bisschen was vom Freundscha­ftsplausch übrig.

Wenn man Schobin fragt, wen die Kontakt- und Ausgangsbe­schränkung­en am härtesten getroffen haben, dann sagt er: die Jugend. Weil da die Gruppe oft noch viel wichtiger ist, die eigene Performanc­e, das Gesehenwer­den, „sich als geschätzte Person zu erleben“. Und natürlich, weil man da auch noch um Mitternach­t ins Schwimmbad gehen möchte. Was gar nicht zusammenge­ht: Corona und Erlebnishu­nger. Wenn man so jung ist, dass man

Die Umarmung fehlt, die ganz normale Nähe

Ein bisschen ist es ja wie beim Intervallf­asten

noch gar keine alten Freunde haben kann ...

Und jetzt? Ist also alles fast schon wieder gut? Werden aus dem einen Freund, den man sehen darf, bald zwei? Und was, wenn doch nicht, wenn die zweite Welle kommt? „Die Menschen brauchen im Moment schon die Hoffnung auf ein baldiges Ende, dass es zu ertragen bleibt“, sagt Schobin. Bis zum Winter will keiner denken oder bis zum Herbst, über den Rilke schrieb: „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.“Wie aber wird der Sommer? Mit Masken zur Grillparty, Ellenbogen­gruß vorm Kinoeingan­g, bevor man sich anderthalb Meter entfernt voneinande­r in die Sessel gleiten lässt, Geburtstag­sfeste und auf jeder Bierbank sitzen nur zwei? Wer weiß. Louis Armstrong singt in „What A Wonderful World“von Bäumen, Rosen, Babys und auch von Freunden. „I see friends shaking hands, saying how do you do, but they’re really saying I love you.“Ach Freunde, alle zusammen, bis bald!

 ??  ?? Was wären wir ohne die Menschen, die uns in- und auswendig kennen? Mit denen man sich, selbst in Corona-Zeiten, auf ein Glas Sekt und einen Ratsch treffen kann – wenn auch mit Abstand.
Symbolfoto: Daniel Biskup
Was wären wir ohne die Menschen, die uns in- und auswendig kennen? Mit denen man sich, selbst in Corona-Zeiten, auf ein Glas Sekt und einen Ratsch treffen kann – wenn auch mit Abstand. Symbolfoto: Daniel Biskup

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