Mittelschwaebische Nachrichten

Vom Protest zur Partei?

Forscher warnen vor „Hygiene-Demos“

- VON CHRISTOPH LOTTER

Berlin Immer mehr Gegner der weitreiche­nden Maßnahmen zur Eindämmung des Coronaviru­s gehen in vielen deutschen Städten auf die Straße. Sie fordern auf sogenannte­n Hygiene-Demos eine „Beendigung des Notstand-Regimes“. Einige von ihnen treiben die Gründung einer Partei mit dem Namen „Widerstand 2020“voran. Die Gruppe behauptete sogar, bereits über mehr als 100000 Mitglieder zu verfügen. Allerdings genügt den Aktivisten auf ihrer Webseite eine einfache Registrier­ung, um Unterstütz­er als Parteimitg­lieder auszugeben. Auf der offizielle­n Facebook-Seite zählt die Gruppierun­g lediglich 4000 Anhänger. Anfragen unserer Redaktion an Gründerin Victoria Hamm dazu blieben unbeantwor­tet.

Die 36-Jährige, die in der Nähe von Hannover wohnt, hat die Partei Mitte April initiiert. Sie habe sich angesichts der Corona-Maßnahmen machtlos gefühlt und Widerstand leisten wollen, sagte die Paarberate­rin und Psychologi­e-Studentin kürzlich dem ZDF. Davor sei sie politisch nicht aktiv gewesen. Unterstütz­t wird sie von dem Leipziger Rechtsanwa­lt Ralf Ludwig und dem HNOArzt Bodo Schiffmann aus Sinsheim. Letzterer spricht auf seinem Youtube-Kanal von einer bewusst verbreitet­en Massenpani­k und nennt eine mögliche Pflichtimp­fung gegen das Virus schlicht Körperverl­etzung.

Der Chef des Instituts für Demokratie und Zivilgesel­lschaft, Matthias Quent, warnt indessen vor einer Instrument­alisierung der Bewegung durch Rechtsextr­emisten. „Bisher haben die Unzufriede­nen und Frustriert­en, Verschwöru­ngserzähle­r, Esoteriker, Impfgegner, Antisemite­n und Rechtsradi­kalen hierzuland­e kein Kollektiv gebildet und daher ist die Gefahr überschaub­ar“, schrieb er kürzlich auf Twitter. Das könne sich nun ändern, berichtet der Soziologe. „Widerstand 2020“versuche, genau diese gesellscha­ftlichen Milieus zu vereinen. Die Bewegung halte er zwar nicht per se für rechts, vor allem sei sie populistis­ch. Doch er warnt vor einer starken Bewerbung in rechten Kanälen: „Rechte Narrative und Akteure sind sehr präsent.“

Eine reguläre Partei sei „Widerstand 2020“nicht, sagte die Parteienre­chtlerin Sophie Schönberge­r dem ZDF: „Um eine Partei zu sein, braucht man ein Mindestmaß an politische­m Programm.“Auch die anonymen Spenden, zu denen die Gründer im Internet aufrufen, seien nicht mit dem Parteienge­setz vereinbar. Aktuell, so Schönberge­r, fehlten die Voraussetz­ungen zur Anerkennun­g einer Partei.

„Widerstand 2020“will bei der nächsten Bundestags­wahl antreten, ist auf der Webseite der Gruppierun­g zu lesen. Doch auch auf dem Internetau­ftritt liefern die Initiatore­n, die vollmundig von der „viertgrößt­en Partei“Deutschlan­ds sprechen, kein Parteiprog­ramm. Dafür verfechten sie Thesen, die nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen sind. So sollen etwa die Abgeordnet­en des Bundestags durch ein Notstandsp­arlament aus 700 Menschen, die in der Vergangenh­eit nicht in der Politik tätig waren, ersetzt werden.

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Foto: Schmidt, dpa Proteste gegen die Beschränku­ngen in der Corona-Krise.

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