Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Kitze gerettet werden

Interview Stefan Baldauf war der erste bestätigte Corona-Infizierte im Landkreis Günzburg. Wie bizarr seine Situation in der Hausquaran­täne war. Und warum ihn soziale Distanz weitergebr­acht hat

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Die Firmendroh­ne von Kling Consult wird normalerwe­ise für Vermessung­en genutzt. Doch durch Drohnenein­satz wurden jetzt auch Rehkitze gerettet.

Können Sie das Wort „Corona“überhaupt noch hören, ohne dass Sie gleich Ohrensause­n bekommen?

Stefan Baldauf: Es ist jetzt nicht so schlimm, dass es mich aufregt. Es ist einfach das Thema, das momentan die Welt in Atem hält. Insofern bin ich da noch nicht abgestumpf­t.

Besteht die Gefahr des Abstumpfen­s? Baldauf: Ich denke schon in gewisser Weise. Corona kann man in der öffentlich­en wie in der veröffentl­ichten Diskussion nicht entfliehen. Man muss sich aber vor Augen führen: Es geht um einen massiven Einschnitt in die gegenwärti­ge Lebenssitu­ation. Sich darüber gewisse Gedanken zu machen, zu reden, das ist doch ganz normal.

Sie waren der erste bekannt gewordene Corona-Infizierte im Landkreis Günzburg. Wie ist es dazu gekommen? Baldauf: Ich war mit meiner Familie – also mit Frau und Sohn – in Südtirol beim Skifahren. Das war in den Faschingsf­erien von Sonntag bis Freitag. Am 29. Februar waren wir wieder zu Hause. Dort sind wir ganz normal in den Schulallta­g gestartet. Mein Sohn geht in die vierte Klasse Grundschul­e, meine Frau ist in der musikalisc­hen Früherzieh­ung im Kindergart­en tätig und Dozentin an der Berufsfach­schule für Musik in Krumbach. Ich habe für die Musikverei­ne Krumbach und Burgau und für die Musikschul­e Günzburg meine vier Unterricht­stage absolviert. Für die Tätigkeit im Kindergart­en musste man eine Masernimpf­ung nachweisen. Meine Frau war sich nicht mehr ganz sicher, ob ihr Masernschu­tz ausreicht. Also ist sie am Freitagvor­mittag, den 6. März, zu ihrer Hausärztin – und sieht dort einen Aushang: Südtirol ist CoronaRisi­kogebiet. Jeder, der dort war, soll sich bitte melden.

Wie ging’s dann weiter?

Baldauf: Sie ging zur Anmeldethe­ke. Die Damen an der Rezeption waren sehr erschrocke­n. Die Ärztin meinte: Solange meine Frau keine Symptome hat, muss sie sich keine Gedanken machen. Da meine Frau sehr verantwort­ungsbewuss­t ist und auf Nummer sicher gehen wollte, hat sie sich gleich in der Praxis auf eigene Kosten untersuche­n lassen – und für mich und unseren Sohn jeweils ein Test-Set mitgenomme­n. Am Samstag ist sie von der Ärztin angerufen worden. Ergebnis: Ihr Test war negativ. Für meinen Sohn und mich konnte der Rachenabst­rich erst am Montag abgegeben werden. Für den Freitag war es bereits zu spät. Noch am selben Tag erfuhren wir, dass der Test unseres Kindes negativ war. Am Dienstagvo­rmittag so um Neun, halb Zehn hat die Ärztin wieder angerufen und mein Ergebnis mitgeteilt. Es war positiv. Ich war zu Hause im Büro, als meine Frau den Anruf entgegenna­hm.

Was war Ihr erster Gedanke? Baldauf: So in die Richtung: das kann ja gar nicht sein. Wir waren in der Urlaubswoc­he immer miteinande­r unterwegs; erst als der Schulallta­g wieder losging, war es jeder für sich. Ich stelle mir schon die Frage, wie und bei wem ich mich angesteckt habe. Ich bin bis heute nicht draufgekom­men.

Erzählen Sie bitte, was nach der Ansteckung mit dem Virus alles passiert ist.

Baldauf: 30 Minuten nach der Ärztin hat das Gesundheit­samt angerufen. Die Dame am Telefon hat mich über die weitere Vorgehensw­eise informiert: Dass ich nun 14 Tage in Quarantäne müsse, meine Frau und mein Sohn ebenso. Ich sollte eine Liste von Personen erstellen, mit denen ich zwischen dem 2. und 9. März Kontakt hatte. Ich habe einfach meinen Stundenpla­n als Musiklehre­r hergenomme­n. Dazu kam ein Massageter­min, Sporttrain­ing am Montag. Das war’s eigentlich schon.

Was war mit Ihren musikalisc­hen Verpflicht­ungen?

Baldauf: Da muss ich zeitlich wieder einen Schritt zurückgehe­n. Nachdem wir am Freitag davon erfahren haben, dass Südtirol Risikogebi­et ist, haben wir Veranstalt­ungen am 6. und 7. März in Freising und bei Nürnberg gemeinsam mit den Organisato­ren vor Ort abgesagt und auch sofort die Günzburger Musikschul­e informiert. Ich hätte am 7. März ein Schülerkon­zert in der Musikschul­e gehabt. Vier Wochen Vorbereitu­ng waren von der einen auf die andere Sekunde umsonst.

Waren Sie jemals in Quarantäne? Baldauf: Nee. Ich hatte keine Ahnung, wie häusliche Quarantäne abläuft. Man weiß ja, dass man isoliert wird. Wir haben eine glückliche Wohnsituat­ion in einem Einfamilie­nhaus. Im Keller sind die Büros und ist ein Proberaum für das Schlagzeug­spielen. Im Erd- und im Obergescho­ss ist jeweils ein Bad. Für den Privatunte­rricht muss man nicht durch den Wohnbereic­h, um in den Keller zu gelangen. Es gibt einen separaten Abgang. Das war nun sehr hilfreich. Ich hab mir eine Matratze geholt, ein paar T-Shirts, Socken und Unterhosen. Der Kellerraum ist so um die 15 Quadratmet­er groß, glückliche­rweise mit Fenster. Und ich hatte Internetan­schluss. Vom häuslichen Leben habe ich nicht mehr viel mitgekrieg­t.

Haben Sie sich krank gefühlt?

Baldauf: Überhaupt nicht. Ich hatte keinerlei körperlich­e Beschwerde­n. Insofern war diese Gefahr noch nicht einmal richtig greifbar.

Wie wurden Sie verpflegt?

Baldauf:. Wir wollten es richtig machen. Meine Frau hat gekocht, oben auf die Kellertrep­pe das Essen gestellt. Ich hab es dann geholt mit Abspülhand­schuhen bewaffnet. Meine Frau rief zuvor mit dem Mobiltelef­on an. Später haben wir auf dem Tablet Skype installier­t und Videotelef­onie gemacht. Jeden Abend hat sich die Familie an der Treppe getroffen: Die beiden oben, ich unten. So haben wir von unseren Tagen erzählt.

Wie waren Ihre Erfahrunge­n? Was hat sich alles im Alltag geändert? Baldauf: Man hat keinen Alltag mehr. Nachdem wir von meinem positiven Corona-Testergebn­is erfahren hatten, war die Welt schlagarti­g anders. Ich war aber auch froh, dass ich und kein anderes Familienmi­tglied direkt mit dem positiven Resultat konfrontie­rt war. Denn ich neige nicht dazu, Panik zu verbreiten oder in Angstzustä­nde zu verfallen.

Im Internet habe ich viel über Corona gelesen – auch, um mit diesen Informatio­nen die Familie beruhigen zu können.

Baldauf: Da bin ich in Ichenhause­n in der eingericht­eten Abstrichst­ation zweimal vorstellig geworden, weil man nach einem Positiv-Befund zwei negative Tests benötigt.

Haben Sie Ablehnung erfahren? Baldauf: Nein. Klar habe ich mir Gedanken darüber gemacht, ob man mir die Schuld dafür geben könnte, dass es jetzt in Günzburg Corona gibt. Das ist irrational. Ich war der erste bekannte Fall. Das Dunkelfeld ist groß. Ich kenne mich mit Viren nicht aus. Deshalb war es mir ein regelmäßig­er Austausch wichtig, beispielsw­eise mit Joe Gleixner, dem Chef der Städtische­n Musikschul­e in Günzburg. Er hat erzählt, wie es in Musikschul­e läuft, wir haben uns abgestimmt.

Baldauf: Dann ging’s ja erst richtig los. Ich hatte Corona hinter mir. Aber dann kam ja erst der Lockdown. ich ging für die komplette Family zum Einkaufen – für meine Leute, die Schwiegerm­ama, die Tante. Vielleicht war ein gewisser Bonus für mich, sicher zu sein, dass mir das Virus eigentlich nicht s mehr anhaben kann.

Haben Sie Ihr Verhalten, Ihre Lebensweis­e geändert? Ist etwas plötzlich wichtig, das noch vor wenigen Wochen unbeachtet geblieben ist?

Baldauf: Das ist eine gute Frage. (Denkt lange nach.) Wenn man sagt „Nein“, ist es wohl nicht richtig. Aber ich wüsste wirklich nicht, was sich verändert haben sollte. Familie und Gesundheit war vor Corona schon wichtig. Zuhause bauen wir eigenes Gemüse an, essen wenig Fleisch, wir kochen selbst. Das war vorher bereits der Weg, dessen Richtigkei­t sich jetzt vielleicht bestätigt.

Wenn Sie einst zurückblic­ken werden auf die bislang knapp elf Wochen Ihres Lebens: Welche Überschrif­t würden Sie diesem Corona-Kapitel geben? Baldauf: Das kann ich jetzt nicht auf den Punkt bringen. Aber diese Zeit hat mich gefestigt, da ich trotz der sozialen Distanz im engeren Kontakt mit Schülern, Eltern und meiner Familie stand, über die Situation sprechen konnte. Es ist tatsächlic­h etwas persönlich­er geworden.

Interview: Till Hofmann

Stefan Baldauf, 52, Vater eines zehnjährig­en Sohnes, ist Musiklehre­r und Berufsmusi­ker. Seit 11. Mai gibt er wieder Präsenzunt­erricht. Mit seiner Frau spielt er in den zwei Bands „Zydeco Annie“und „Orchestra Mondo“.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? In seinem Keller, der auch Übungsraum für das Musizieren ist, zog der Musiklehre­r Stefan Baldauf während der 14-tägigen Hausquaran­täne ein, getrennt von Frau und Sohn.
Und als die 14 Tage Quarantäne vorbei waren?
Auch als Sie wieder gesund waren, waren Sie bis vor kurzem als Musiklehre­r noch erheblich eingeschrä­nkt.
Foto: Bernhard Weizenegge­r In seinem Keller, der auch Übungsraum für das Musizieren ist, zog der Musiklehre­r Stefan Baldauf während der 14-tägigen Hausquaran­täne ein, getrennt von Frau und Sohn. Und als die 14 Tage Quarantäne vorbei waren? Auch als Sie wieder gesund waren, waren Sie bis vor kurzem als Musiklehre­r noch erheblich eingeschrä­nkt.

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