Mittelschwaebische Nachrichten
„Wir rutschen tiefer in die Krise“
Interview Rainer Dulger ist Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Er ist überzeugt, dass Firmen der Metall- und Elektroindustrie solange wie möglich an Mitarbeitern festhalten. Was nun Konsumgutscheine bewirken können
Herr Dulger, wie tief steckt die Metallund Elektroindustrie, also damit auch die Autobranche samt dem Maschinenbau, in der Rezession?
Rainer Dulger: Die Folgen der Corona-Pandemie treffen alle Unternehmen unserer Branche. Und die Corona-Krise trifft uns immer härter. Das zeigt eine aktuelle Blitzumfrage von Gesamtmetall unter 1400 Mitgliedsfirmen. Demnach sehen sich 40 Prozent der Betriebe stark oder sehr stark in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit eingeschränkt. Bei einer ähnlichen Umfrage vor einem Monat war noch ein Drittel der Firmen derart von der Corona-Krise gebeutelt. Es ist also ganz klar: Wir rutschen immer tiefer in eine Krise, die sich dramatischer entwickelt als die Finanzmarktkrise in den Jahren 2008 und 2009.
Wie lange können besonders von der Krise betroffene Betriebe noch an den Beschäftigten festhalten? Folgt auf die Kurzarbeit eine Entlassungswelle? Dulger: Die deutsche Metall- und Elektroindustrie hat sich schon 2019 in einer Rezession befunden. So ist die Zahl der Beschäftigten seit Mai 2019 in unserem Wirtschaftszweig zurückgegangen, wenn auch nur in einem geringen Ausmaß. Nun sind viele unserer Betriebe massiv unterausgelastet. Bis jetzt mussten nur vier Prozent unserer mehr als 25 000 Unternehmen, die rund 3,9 Millionen Menschen beschäftigen, zum Mittel der Entlassung greifen.
Das sind wenige Entlassungen angesichts der Wucht der Krise.
Dulger: Ja, das zeigt, dass die meisten Betriebe mit aller Macht an ihren Beschäftigten festhalten, solange es irgendwie geht. Allerdings schließen jetzt schon fast 35 Prozent der von uns befragten Unternehmen nicht aus, dass sie doch zum Instrument der Kündigung greifen müssen, wenn die Krise noch länger anhält. Aber dennoch sind rund 65 Prozent der Firmenverantwortlichen optimistisch, dass sie nach heutigem Stand ohne Kündigungen auskommen. Mitarbeiter sind in der Metallund Elektroindustrie ein hohes Gut. Wir achten sehr auf sie.
Wie lange währt der Treueschwur? Dulger: Die Treue währt nicht dauerhaft, wenn die Lage so schlecht bleibt. Irgendwann muss man die Kapazitäten anpassen, weil sonst das Unternehmen kaputt geht. Deshalb ist es unseriös zu glauben, dass wir so einfach durch die Krise durchschippern und keine Arbeitsplätze verloren gehen. Wir werden Beschädigungen hinnehmen müssen und wir werden Entlassungen erleben. Dennoch bleiben wir grundsätzlich optimistisch und versuchen mit aller Macht, also bis zum Eintreten massiver Schäden, unsere Mitarbeiter zu halten.
Ist die Kurzarbeit ein gutes Instrument, um an Mitarbeitern in dieser schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg festzuhalten?
Dulger: Im Moment nutzen knapp 60 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen Kurzarbeit. Damit befinden sich rund 1,5 Millionen unserer Mitarbeiter in Kurzarbeit. Wenn es noch schlechter kommt, könnte diese Zahl auf bis zu zwei Millionen ansteigen. Damit wäre in etwa jeder zweite Beschäftigte unserer Industrie von Kurzarbeit betroffen. Zum Vergleich: Während der Finanzmarktkrise in den Jahren 2008 und 2009 waren von rund 3,6 Millionen Beschäftigten knapp eine Million in Kurzarbeit. Ich will jetzt aber noch nicht an die Zeit nach der Kurzarbeit denken und spekulieren, was dann greifen muss. Ich will weiter ein Optimist bleiben.
Viele Unternehmer verhalten sich anders als nach der Rezession im Jahr 1993 vorausschauend und scheuen wie bereits 2008 und 2009 Entlassungen. Dulger: Das ist typisch für eine überwiegend mittelständisch geprägte Industrie wie unsere.
Dennoch: Droht 2021 nach dem Auslaufen der Kurzarbeit in vielen Betrieben nicht doch eine Entlassungswelle? Dulger: Ich bleibe Optimist und fange nicht an schwarzzumalen. Denn Schwarzmalerei liegt mir nicht. Aber Fakt ist: Ohne Einnahmen kann kein Unternehmen auf der Welt durchhalten. Wenn Kunden nicht mehr unsere Güter nachfra
sind Pleiten unvermeidbar. Eine echte Normalität kehrt erst wieder ein, wenn es einen Impfstoff oder deutlich verbesserte Therapiemaßnahmen gibt. Danach werden wir uns als deutsche Industrie weltweit wieder behaupten können. Dafür brauchen wir aber ein konsequentes Belastungsmoratorium.
Das klingt ja sehr medizinisch. Was verstehen Sie darunter?
Dulger: Selbst wenn die Wirtschaft wieder anläuft, es einen Impfstoff gibt und die Menschen kräftiger konsumieren, also etwa Autos kaufen oder Kreuzfahrten buchen, brauchen wir ein solches Moratorium, um das Tal der Tränen verlassen zu können. Hier ist der Staat gefordert: Wir brauchen eine Obergrenze für Sozialabgaben, keine Steuererhöhungen und keine zusätzliche Bürokratie. Auch wenn die Kassen nach der Krise leer sind, müssen wir solche zusätzlichen Belastungen ausschließen. Wir sollten auf den Standort Deutschland achten.
Achten Merkel und Co. derzeit ausreichend auf den Standort Deutschland? Dulger: Ja, das tun sie. Alle Maßnahmen der Regierung zur Stabilisierung der Wirtschaft sind sinnvoll, auch wenn sie viel Geld kosten. In einer solchen Sondersituation ist es gerechtfertigt, Schulden zu machen.
So zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung waren Sie 2019 nicht.
Dulger: Ja, Altmaier hat an Statur gewonnen. Er hat wie die Regierung Profil gezeigt. Es wurde seitens des Staates schnell und angemessen gehandelt. Wir können auch stolz auf unsere Kanzlerin sein. Ich fühlte mich in den letzten Wochen gut und vernünftig regiert. Das gilt auch für die Landesregierungen, die noch Zusatzpakete aufgelegt haben. In großen Runden haben sich Politiker die Sorgen und Nöte der Unternehmer und Beschäftigten angehört und haben entsprechend darauf reagiert. Und wir können auf unser Gesundheitssystem stolz sein. Meine vielen internationalen Geschäftspartner beneiden mich um unsere Regierung und unser Gesundheitssystem. Jetzt müssen wir zusehen, wie wir wieder vernünftig aus der Krise herauskommen.
Dulger: Ich bin nicht oft einer Meinung mit IG-Metall-Chef Hofmann, aber in diesem Fall schon. Wir brauchen ein solches breites Konjunkturprogramm, gerade auch, um die Kaufzurückhaltung vieler Verbraucher zu überwinden. Zu so einem Konjunkturprogramm gehört auch eine Autoprämie. Eine solche Autoprämie wirkt am breitesten in die Wirtschaft hinein. Ansonsten bin ich ein großer Fan von positiven Signalen an Verbraucher und Unternehmer, also Steuervorteilen für Menschen, die konsumieren, oder verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmer, die investieren. Hier befinden wir uns in einem guten Dialog mit der Regierung.
Wie sollen diese Vorteile für konsumwillige Bürger konkret aussehen? Dulger: Wer konsumiert, soll belohnt werden. Ich stelle mir hier etwa Konsumgutscheine über einen bestimmten Betrag vor, bei denen man weniger Steuern zahlen muss, wenn man einkauft. Diesen Betrag sollen Bürger erhalten, egal, ob sie sich Einrichtungsgegenstände, Kleidung oder ein neues Auto kaufen, ja ins Restaurant gehen oder ein Wohlfühlwochenende im Hotel verbringen. Hauptsache, das Geld kommt wieder unter die Leute. Wir brauchen so ein breites und solidarisches Deutschland-Paket. Dabei dürfen wir nicht Busunternehmer und Schausteller vergessen, die massiv unter der Krise leiden. Wir wollen also keine reine Auto-Ego-Nummer.
Bei allen Notwendigkeiten und allem Patriotismus: Retten wir uns in Deutschland zu Tode? Die Steuerlöcher werden ja zu Steuerkratern. Dulger: Alle Unterstützungsmaßgen, nahmen kosten viel Geld. Wir müssen jedoch einer Pandemie so viel Geld entgegensetzen. Wir können deshalb froh sein, dass wir in den vergangenen Jahren auf der Schuldenbremse standen. Nun haben wir den Freiraum, solch hohe Schulden aufzunehmen. Wenn unsere Unternehmen auch dank staatlicher Unterstützungsleistungen wettbewerbsfähig bleiben, können wir die Schulden wieder zurückzahlen.
Schaffen wir das wirklich?
Dulger: Wir schaffen das. Da mache ich mir keine Sorgen. Wir verfügen über eine leistungsfähige Industrie. Wir werden nach der Krise aus den Schulden wieder rauswachsen, wenn die Wirtschaft nicht zusätzlich mit Steuern und Kosten belastet wird.
Wenn wir in fünf Jahren auf das Horror-Jahr 2020 zurückblicken, wie fällt dann die Analyse aus?
Dulger: Wir werden festhalten, dass wir die Krise im Vergleich zu anderen Nationen wieder einmal gut bewältigt haben. Das liegt an unserem starken Mittelstand und dem hohen Industrieanteil. Und natürlich ist das auch das Resultat eines sehr guten Gesundheitssystems, das zwar teuer, aber leistungsfähig ist. Wir werden diese Krise überwinden und auf einiges stolz sein können. Doch eines lehrt uns die Krise vor allem: Demut. Interview: Stefan Stahl ⓘ
Rainer Dulger, 56, ist seit 2012 Präsident des mächtigen Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Das von Dulgers Vater gegründete Heidelberger Unternehmen ProMinent ist Weltmarktführer auf seinem Gebiet. Die Firma mit gut 2500 Mitarbeitern hat ihren Aufstieg Dosierpumpen zu verdanken.