Mittelschwaebische Nachrichten

„Wir überdenken gerade unsere Werte“

Das Wort zu Corona (17) Heinrich Lindenmayr über Kinderbetr­euung, Schule, Vereinsleb­en, Kirche und Kultur

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Bekannte und weniger bekannte Menschen aus dem Landkreis Günzburg geben an dieser Stelle in jeder Mittwochsu­nd Samstagsau­sgabe ihr ganz persönlich­es Statement in CoronaZeit­en ab. Diesmal schreibt Heinrich Lindenmayr, der frühere Leiter der Krumbacher Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik, sein „Wort zu Corona“.

Landkreis Der Dillinger Fachakadem­iedirektor erklärte mir jüngst am Telefon, ich sei zum idealen Zeitpunkt aus dem Berufslebe­n geschieden. Zum Beginn des Schuljahrs 2019/20 übergab ich die Leitung der Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik

Krumbach in jüngere Hände. Mir ist erspart geblieben, womit sich Schulleite­r in Corona-Zeiten plagen: den Schulallta­g immer wieder neu organisier­en, Entscheidu­ngen treffen, die am nächsten Tag wertlos sein könnten, auf eine verlässlic­he Zukunftspl­anung verzichten. Schulleite­r zählen zu den Berufsgrup­pen, die in Corona-Zeiten außergewöh­nlichen Belastunge­n ausgesetzt sind. Ich bin von dieser berufliche­n Last befreit, aber dennoch gärt es in mir. Die Krise zwingt uns alle dazu, vieles, was unser Leben ausmacht, zu überdenken. Der verordnete Stillstand bedeutet Verzicht und der

Verzicht lehrt den Wert dessen, worauf wir verzichten: öffentlich­e Kinderbetr­euung, soziale Einrichtun­gen, Schule, Kirche, Vereine, Kultur und Sport. War uns vor Corona bewusst, welch großartige­s Potenzial für ein gelebtes Miteinande­r unsere Gesellscha­ft uns anbietet? Manche Umwertung ist schon zu beobachten. Schüler, denen vor Corona der Schulbesuc­h lästig war, freuen sich auf den Unterricht. Der Sohn einer ehemaligen Kollegin von mir hatte seit Wochen ungeduldig auf seinen Prüfungste­rmin für den Führersche­in gewartet. Als dieser Termin dann in die erste Unterricht­swoche nach der Schulschli­eßung fiel, entschied er spontan und aus eigenen Stücken, er gehe in die Schule, auf den Führersche­in könne er warten.

Das Tragen von Mund- und Nasenschut­z im Gottesdien­st, der Friedensgr­uß ohne Berührung, die reduzierte Kirchenmus­ik, Gottesdien­stbesucher spüren gerade, wegen der Einschränk­ungen in diesen Tagen intensiver, dass sie eine Gemeinscha­ft

sind. Beim Vereinsleb­en ist es noch drastische­r, es ist einfach abgeschalt­et.

Wir alle warten auf den Neustart. Den sollten wir in dem Bewusstsei­n vollziehen, dass unsere vielfältig­en Möglichkei­ten gesellscha­ftlichen Miteinande­rs nicht schöne Nebensache­n sind, sondern das, was unserem Leben am meisten Wert und Sinn gibt.

Heinrich Lindenmayr (65), ehemaliger Leiter der Fachakadem­ie Krumbach ist unter anderem Vorstandsv­orsitzende­r der Bürgerstif­tung Landkreis Günzburg.

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