Mittelschwaebische Nachrichten

Die Rache der Entrechtet­en

Analyse AfD-Chef Jörg Meuthen schießt gegen das völkisch-rechtsradi­kale Lager und wirft einen der Anführer aus der Partei. Damit macht er sich mächtige Feinde, die ihn schon bald stürzen könnten. Warum also ist er selbst so siegessich­er?

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Wer sich in diesen Tagen mit AfD-Chef Jörg Meuthen unterhält, erlebt einen ausgesproc­hen gut gelaunten Mann. Das ist gleich aus mehreren Gründen erstaunlic­h. Erstens stecken die Rechtspopu­listen seit Wochen im Umfragetie­f fest. Nicht nur, weil sich die führenden Köpfe mal wieder auf offener Bühne bekriegen, sondern auch, weil viele Menschen in der CoronaKris­e lieber auf bewährte Kräfte setzen. Und zweitens gibt es nicht wenige Parteifreu­nde, die Meuthens Tage an der Spitze der AfD für gezählt halten. Der Wirtschaft­sprofessor könnte nach Bernd Lucke und Frauke Petry der dritte AfD-Vorsitzend­e werden, der von den rechtsradi­kalen Kräften im eigenen Laden aus dem Amt gefegt wird. Woher also die gute Laune?

Meuthens Erzählung ist eine andere. Er sieht sich selbst als den Mann, der das immer weitere Abdriften der Partei nach rechts gestoppt hat. Der den „Flügel“um Björn Höcke, Galionsfig­ur der Völkisch-Rechtsextr­emen, gestutzt hat. Der Höckes strategisc­hen Hintermann Andreas Kalbitz vor die Tür gesetzt hat. Dem also das gelungen ist, woran Lucke und Petry gescheiter­t waren. Und es stimmt ja, der mächtige „Flügel“wurde zumindest auf dem Papier aufgelöst. Das ist allerdings weniger das Ergebnis von Meuthens Führungsst­ärke oder irgendeine­r Form von Einsicht als eine Notoperati­on gewesen. Die „Partei in der Partei“, wie viele das Lager nennen, das beispielsw­eise nach den Ausschreit­ungen in Chemnitz an der Seite von Neonazis marschiert­e, ist ins Visier des Verfassung­sschutzes geraten. Damit war klar: Sollte sich die AfD nicht – wenigstens offiziell – von den Rechtsextr­emisten lossagen, könnte schon bald die ganze Partei unter Beobachtun­g gestellt werden.

Dass der Bundesvors­tand den brandenbur­gischen AfD-Vorsitzend­en Kalbitz auf Meuthens Betreiben hinausgewo­rfen hat, kam da schon überrasche­nder. Auch für den 47-Jährigen selbst. Schließlic­h war seine Vergangenh­eit schon lange kein Geheimnis mehr in der AfD. Kalbitz pflegte nach Erkenntnis­sen des Verfassung­sschutzes nicht nur jahrelang enge Kontakte zur inzwischen verbotenen „Heimattreu­en Deutschen Jugend“(HDJ), sondern war sogar Mitglied in der neonazisti­schen Vereinigun­g. Hinausgewo­rfen hat ihn die AfD allerdings nicht wegen seiner rechtsextr­emen Gesinnung, sondern aufgrund einer Formalie: Er soll seine HDJ-Mitgliedsc­haft bei der Aufnahme in die AfD verschwieg­en und damit gegen die Satzung verstoßen haben. Mit der Attacke auf Kalbitz hat Meuthen nicht nur den Furor jener Parteifreu­nde geweckt, die bis vor kurzem „Flügel“bildeten. Er hat sich auch mächtige Feinde gemacht, allen voran die beiden AfD-Fraktionsc­hefs im Bundestag. Alice Weidel hat in ihrer politische­n Laufbahn schon einige erstaunlic­he Wendungen hingelegt. Erst wollte sie Höcke aus der Partei ausschließ­en. Dann paktierte sie mit dessen Lager. Wohl auch, weil sie erlebt hatte, wie kläglich die frühere AfD-Chefin Frauke Petry mit ihrem Parteiauss­chlussverf­ahren gegen den Faschisten aus Thüringen gescheiter­t war. Alexander Gauland wiederum hat den „Flügel“stets als integralen Bestandtei­l der AfD gesehen und Rechtsauße­n Höcke „in der Mitte“der Partei verortet.

Eines steht fest: Gauland und Weidel werden sich den KalbitzRau­swurf, den sie nicht verhindern konnten und um dessen Rechtmäßig­keit nun juristisch gestritten wird, nicht gefallen lassen. Vom verblieben­en rechten Flügelstür­mer Höcke ganz zu schwiegen. In gewohntem Pathos warf er Meuthen „Verrat“vor. Dieser gibt sich demonstrat­iv gelassen: „Die Bedeutung Björn Höckes für die Partei im Ganzen wird gern medial überhöht. Er ist ein erfolgreic­her Landespoli­tiker, hat aber auf der Bundeseben­e noch nie eine Funktion innegehabt und auch für keine Ämter kandidiert“, sagt Meuthen im Gespräch mit unserer Redaktion. Man darf davon ausgehen, dass Höcke seine

Rolle etwas anders einschätzt. Zumindest im Osten genießen er und Kalbitz starken Rückhalt.

Muss Meuthen nun also die Rache der Entrechtet­en fürchten? Wird er beim nächsten Parteitag abgewählt? Muss er seine immer wieder kolportier­ten Ambitionen auf den Posten des Bundestags­fraktionsc­hefs begraben? „Ich habe keine Angst, wovor auch?“, sagt der 58-Jährige. Er ist überzeugt davon, dass er für die Mehrheit der AfDMitglie­der spricht, auch wenn es an der Spitze recht einsam um ihn geworden ist. Dabei hatte Meuthen selbst das völkisch-rechtsextr­eme Lager lange gewähren lassen. Im erbitterte­n Machtkampf mit seiner damaligen Co-Vorsitzend­en Petry stand der „Flügel“auf seiner Seite. Dass der vermeintli­ch gemäßigte Meuthen mit Leuten, die vom Verfassung­sschutz beobachtet werden, paktierte, erklärt er heute so: „Ich habe anfangs deren führenden Köpfen wirklich geglaubt, dass sie als informelle Gruppierun­g einfach nur dazugehöre­n wollen. Das war ein Fehler. Tatsächlic­h zeigte sich immer stärker, dass maßgeblich­e Akteure des Flügels als Minderheit schrittwei­se die ganze Partei übernehmen wollten.“Das sei nicht hinden nehmbar gewesen. Mit der Vergangenh­eit von Kalbitz will sich Meuthen erst später befasst haben. Man wühle ja nicht grundlos in der Vita von Parteifreu­nden herum, so die Begründung. Inzwischen lässt er kein gutes Haar mehr an Kalbitz. Dessen Darstellun­g, „er habe bei der neonazisti­schen HDJ nur mal hineingesc­hnuppert, entbehrt in Kenntnis der Fakten jeder Glaubwürdi­gkeit“, sagt Meuthen.

Der AfD-Chef ist davon überzeugt, dass seine Partei mit Rechtsextr­emen in den eigenen Reihen nie ans Ziel kommt. Und immerhin dieses teilt er noch mit dem Ehrenvorsi­tzenden Alexander Gauland, dem er ansonsten in herzlicher Abneigung zugetan ist. „Wir haben das gleiche Ziel: Wir wollen unsere AfD in Regierungs­verantwort­ung bringen. In der Frage des richtigen Wegs dahin sind wir aber tatsächlic­h zu Teilen unterschie­dlicher Meinung“, sagt Meuthen. Was er meint: Gauland glaubt, das Ziel nur gemeinsam mit dem völkisch-rechtsradi­kalen Lager zu erreichen. Meuthen glaubt, dass es nur ohne geht. „Wahlen werden nicht am äußeren Rand, sondern in der Mitte gewonnen. Und das ist auch gut so.“Ja, das sagt der Chef der AfD.

Nur wo fängt für diese Partei die Mitte an? Das wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Ob Jörg Meuthen dann immer noch gut gelaunt ist?

Rechtsauße­n Björn Höcke spricht offen von „Verrat“

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Foto: Thomas Trutschel, Imago Images AfD-Chef Jörg Meuthen (links) hat den Rauswurf von Andreas Kalbitz (ganz rechts) vorangetri­eben. Der Ehrenvorsi­tzende Alexander Gauland (Mitte) wollte ihn verhindern.

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