Mittelschwaebische Nachrichten

Die Mühen der letzten Etappe

Hintergrun­d Die Kanzlerin befindet sich auf der Zielgerade­n ihrer bemerkensw­erten Karriere. Sie dürfte sich etwas anderes erhofft haben, als sich mit der Eindämmung und den Folgen der Corona-Epidemie herumzusch­lagen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Es ist dieser Tage nicht leicht für Kanzlerin Angela Merkel. Sie kommt gerade aus einer Videoschal­te mit den ostdeutsch­en Ministerpr­äsidenten und hat sich ordentlich über Bodo Ramelow aufgeregt. Die Äußerungen des thüringisc­hen Ministerpr­äsidenten über eine Aufhebung der Corona-Beschränku­ngen seien „zweideutig“, watscht Merkel den Linkspolit­iker ab. Anschließe­nd, bei einer Veranstalt­ung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), bekräftigt sie einen Satz, der Feststellu­ng und Seufzer zugleich ist: „Dieses Virus ist und bleibt eine demokratis­che Zumutung.“

Eigentlich würde sich die CDUPolitik­erin jetzt in Ruhe auf die am 1. Juli beginnende deutsche EURatspräs­identschaf­t vorbereite­n. Der turnusmäßi­ge Vorsitz sollte ihre letzte Glanztat vor ihrem Abgang von der politische­n Bühne im nächsten Jahr werden. Wichtige Themen hätte es genug gegeben: den Klimaund Umweltschu­tz, die Digitalisi­erung, die Rolle Europas als Stabilität­sanker in der Welt, Afrika, die Beziehunge­n zu China und den USA. Aber nun, sagt Merkel bei der KAS, ist die Bewältigun­g der Corona-Krise in den Mittelpunk­t gerückt. Das Virus überlagert Merkels politische­s Handeln und schränkt gleichzeit­ig ihren Spielraum ein.

Nachdem die Bundesregi­erung in den ersten Wochen noch ein Hilfspaket nach dem anderen schnürte und die Menschen im Land an die Leine legte, kommen nun die Fragen auf: Wer soll das alles bezahlen, wer bekommt was, braucht die Lufthansa wirklich Milliarden vom Staat? Das innenpolit­ische KleinKlein hat sie zum Schluss immer mehr genervt. Das Gezerre mit der SPD, deren Parteivors­itzende Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans Merkel nicht mal annähernd das Wasser reichen können, ist nur mäßig spannend für eine Politikeri­n, die im November 15 Jahre lang Kanzlerin sein wird und Weltgeschi­chte geschriebe­n hat.

Am Dienstag nach Pfingsten steht wieder so ein Termin an, den Merkel nicht unbedingt braucht. Die Spitzen von Union und SPD treffen sich zum Koalitions­ausschuss, es wird wohl ein langer Abend werden. Um die Folgen der Corona-Krise abzufedern, soll ein Konjunktur­paket geschnürt werden. Noch ist allerdings überhaupt nicht klar, was alles in dieses Paket kommt.

CDU/CSU und SPD seien jetzt wieder in der Phase angekommen, wo man von Gemeinsamk­eiten zu Gemeinheit­en wechselt, sagt ein erfahrener Unionspoli­tiker. Merkel hat vorsorglic­h schon mal Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus zu dem Treffen eingeladen. Er ist der Mann für die Zahlen, für die Finanzen – vor allem derjenige, der die Entscheidu­ngen seinen Abgeordnet­en in der Fraktion vermitteln muss. Keine leichte Aufgabe, denn die sind jetzt schon ziemlich auf dem Baum.

Zum 500 Milliarden Euro schweren EU-Rettungspa­ket, das Merkel mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron vorgestell­t hat, gibt es in einer Fraktionss­itzung 15

Wortmeldun­gen, berichten Teilnehmer. Das ist vergleichs­weise viel, die Parlamenta­rier wollen unter anderem wissen, ob denn Kredite nicht besser gewesen wären als die nun geplanten Zuschüsse. Am Ende akzeptiere­n die Abgeordnet­en von CDU und CSU, dass der von Merkel und Macron eingeschla­gene Weg – die Rettung angeschlag­ener EUStaaten im Rahmen der Verträge und über den EU-Haushalt laufen zu lassen – der richtige ist. Die Alternativ­e wäre gewesen, jährlich etwa 40 Milliarden Euro Stütze aus dem Bundeshaus­halt nach Brüssel zu überweisen. Das hätte vermutlich der AfD in die Hände gespielt.

Merkel muss ihren Leuten jetzt allerdings erklären, warum EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen es nicht bei 500 Milliarden Rettungsge­ld belassen will, sondern in ihrem Szenario noch mal 250 Milliarden Euro draufgeleg­t hat. Dass die CDU-Parteifreu­ndin zuletzt die staatliche Beteiligun­g an der Lufthansa blockierte, macht die Sache für Merkel nicht einfacher. Im eigenen Land sieht sich Merkel mit einem Koalitions­partner konfrontie­rt, der gerade wieder auf dem

Weg ist, sich selbst zu zerlegen. Mit Aufmerksam­keit beobachten sie bei der Union, dass nun auch SPDFraktio­nschef Rolf Mützenich Kanzlerkan­didat werden könnte und damit Finanzmini­ster Olaf Scholz Konkurrenz machen würde. Scholz muss punkten und will am Dienstag unbedingt seinen Kinderbonu­s von 300 Euro durchbekom­men. Die Chancen dafür stehen wohl deshalb gut, weil auch NRWMiniste­rpräsident Armin Laschet (CDU) einen solchen Bonus will. Bei ihm sind es sogar 600 Euro.

Im Gegenzug wird Merkel der Schwesterp­artei CSU möglicherw­eise eine Autokaufpr­ämie zugestehen müssen. Die CDU könnte sich im Koalitions­poker dann über eine Entlastung der Bürger und des Mittelstan­des bei den Energiekos­ten freuen. Geplant ist auch, den Unternehme­n über Änderungen beim Thema Steuern, etwa im Bereich Verlustvor­träge, mehr Liquidität zu verschaffe­n. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier darf sich Hoffnungen machen, dass seine im Oktober vorgestell­te Mittelstan­dsstrategi­e von der Runde gebilligt wird. Scholz’ erneuter Vorstoß für eine Altschulde­nbefreiung der Kommunen dürfte hingegen am Widerstand der Union scheitern. Merkel wird die Runde wie gewohnt routiniert moderieren. Und sich dabei wünschen, dass diese Zumutungen bald vorbei sind.

Die Fraktion akzeptiert den Weg von Merkel und Macron

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Foto: Markus Schreiber, dpa Eine wohlbekann­te Silhouette: Angela Merkel ist im November seit 15 Jahren Bundeskanz­lerin.

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