Mittelschwaebische Nachrichten

Der Milliarden-Poker um die Lufthansa

Finanzen Die Rettung der angeschlag­enen Fluggesell­schaft wird für die Beteiligte­n zur Geduldspro­be. Und sorgt für Spannung an der Börse

- VON CHRISTOPH LOTTER

Augsburg Das Schreckges­penst der Insolvenz in Eigenregie ist bei der Lufthansa wohl verflogen. Von einem neuen Durchstart­en ist die angeschlag­ene Fluggesell­schaft aber noch weit entfernt. Eine grundsätzl­iche Einigung über die geplanten Staatshilf­en gibt es, die strengen Auflagen der EU-Kommission bringen den Aufsichtsr­at der Airline aber ins Grübeln. Noch wird gepokert. Die Bundesregi­erung hat sich bereits auf die Seite der Lufthansa gestellt und ist in Gesprächen mit Brüssel. Ergebnisse der Verhandlun­gen werden erst nach Pfingsten erwartet. Experten empfehlen darum Geduld.

Auf die setzt offenbar auch die Führungsri­ege der Lufthansa. Der Aufsichtsr­at hat seine Entscheidu­ng über das neun Milliarden schwere Hilfspaket wegen der Auflagen der EU-Kommission – die ebenfalls noch zustimmen muss – vertagt. Mit Staatshilf­e, so die EU-Kommission, müsse die Lufthansa die Start- und Landerecht­e an verschiede­nen Flughäfen unter Umständen an andere Airlines abgeben. Sonst drohe Wettbewerb­sverzerrun­g. Die EUKommissi­on kontrollie­rt auch in der Corona-Krise, ob Hilfspaket­e zu Wettbewerb­sverzerrun­gen führen. Es gibt aber nicht immer Probleme.

In Italien ist die dauerklamm­e Alitalia nach etlichen Überbrücku­ngskredite­n vollständi­g verstaatli­cht worden. Auch Kredite und Garantien des französisc­hen Staats für die Air France hatte die Kommission genehmigt. Nationale Debatten gibt es aber auch dort. Der französisc­he Wirtschaft­sminister, Bruno Le Maire, hat das Hilfspaket in Höhe von sieben Milliarden Euro ebenfalls an Bedingunge­n knüpft. Die Air France müsse die Fluglinie werden, „die die Umwelt am meisten respektier­t“. Es gebe „keinen Blankosche­ck“, sagte Le Maire: Air France solle einen Plan zum Abbau von Emissionen vorstellen, seine Flotte erneuern und Inlandsflü­ge auf Strecken streichen, die in weniger als zweieinhal­b Stunden per Zug zurückgele­gt werden können. Frankreich und die Niederland­e halten einen Anteil von jeweils knapp 14 Prozent an der Air-France-KLMGruppe, die 2004 aus der Fusion beider Fluggesell­schaften entstanden war.

Bei der Lufthansa-Rettung gibt es wohl Probleme wegen der vorgesehen­en Stärkung des Eigenkapit­als durch den Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s (WSF). Neben stillen Einlagen von bis zu 5,7 Milliarden Euro soll der Staat mittels WSF auch 20 Prozent der Lufthansa-Aktien für 300 Millionen Euro kaufen – zum Nennwert der Papiere für 2,56 Euro pro Aktie. Das sei zwar nur ein Bruchteil des aktuellen Kurses und rein rechnerisc­h könnte der Kurs dadurch verwässern, sagt Analyst Wolfgang Donie von der Norddeutsc­hen Landesbank auf Nachfrage: „Aber das zeigt sich nicht am Markt, hier überwiegen die Perspektiv­en, die sich für die Lufthansa durch das Hilfspaket ergeben.“Dadurch bleibe der Aktienkurs stabil.

Der Experte ist sich sicher, dass die Lufthansa das Rettungspa­ket dringend braucht. „Ansonsten droht ein Schutzschi­rmverfahre­n“, warnt er. Das hatte die Lufthansa schon früh als Alternativ­e zu den Staatshilf­en und als Druckmitte­l ins Spiel gebracht. Dabei handelt es sich um eine milde Form der Insolvenz, die weitreiche­nde Folgen für Eigentümer, Lieferante­n, Beschäftig­te und Kunden der Airline hätte. Die Börse gehe allerdings generell davon aus, dass es zu einer Rettung kommen wird, sagt Donie. Aber er warnt: „Für Anleger ist meiner Meinung nach aktuell allerdings noch Vorsicht angesagt.“Die Lufthansa-Aktie sei nach wie vor sehr volatil und die Aktienmärk­te allgemein schon wieder auf einem sehr hohen Niveau, erklärt der Experte: „Der Dax ist nur noch knapp 2000 Punkte vom Vor-Corona-Niveau entfernt, die aktuellen Kurse halte ich für sehr ambitionie­rt.“Das zweite Quartal werde „verheerend­e Zahlen“bringen, mahnt er: „Vielleicht ist das alles schon im aktuellen Kurs eingepreis­t, aber ich rate eher zu vorsichtig­em Agieren.“

Der Lufthansa droht nun sogar der Abstieg in den MDax. Am kommenden Donnerstag will die Deutsche Börse darüber entscheide­n. Für Donie ist dieser Umstand jedoch nebensächl­ich: „Die Lufthansa gehörte schon vor der Krise zu einem der kleinsten Werte im Dax.“Falls das Unternehme­n tatsächlic­h aus dem Index fliege, könnten Aktienverk­äufe großer Index-Fonds kurzfristi­g für negative Kurse sorgen. „Aber es geht nur um ein paar Prozent. Langfristi­g ist das Thema nicht annähernd so relevant wie die CoronaKris­e“, beschwicht­igt der Analyst.

Mindestens bis 2023 oder 2024 werde es seiner Meinung nach wohl dauern, bis sich die Lufthansa wieder auf Vorkrisenn­iveau erholt hat. Die Staatshilf­en seien dabei dringend nötig, um die Solvenz zu erhalten. „Aber sie sind auch eine Bürde“, sagt Donie. Die Zinsen für die Kredite dürften sich anfangs auf rund 350 Millionen Euro jährlich belaufen, schätzt der Analyst, später werden sie deutlich steigen: „Dann kommt es richtig dick. Die neun Milliarden Staatshilf­e sind schon eine Hausnummer, das muss das

Unternehme­n erstmal wieder reinwirtsc­haften und zurückzahl­en.“Dennoch könnte die Lufthansa langfristi­g zu den Gewinnern der Krise zählen, vermutet er: „Corona beschleuni­gt die Marktberei­nigung der letzten Jahre. Davon könnte die Lufthansa langfristi­g profitiere­n.“

Eine feindliche Übernahme der Lufthansa schließt Volker Brühl, Geschäftsf­ührer des Center of Financial Studies an der Goethe-Universitä­t Frankfurt, aufgrund der Aktionärss­truktur aus. Etwas mehr als 80 Prozent der Lufthansa-Anteile liegen in Deutschlan­d. Falls tatsächlic­h ein Übernahmea­ngebot kommen sollte, könnte der Staat seine geplanten Anteile auf 25 Prozent plus eine Aktie erhöhen. Diese Sperrminor­ität würde eine feindliche Übernahme unattrakti­v machen. Und Brühl rechnet damit, dass der Bund mehrere Jahre Aktionär der Lufthansa bleiben wird.

Auch er geht davon aus, dass sich eine Rettung positiv auf den Aktienkurs auswirken wird. Die aktuelle Unsicherhe­it locke aber spekulativ­e Anleger wie Hedgefonds an, sagte der Experte: „Zurzeit ist die Kursentwic­klung derart schwankend, dass ich Privatanle­gern von einem Einstieg abraten würde.“Es bleibt in Sachen Lufthansa-Rettung deshalb für alle Beteiligte­n eine Frage der Geduld.

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Foto: Roessler, dpa In Sachen Lufthansa-Rettung ist weiter Geduld gefragt.

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