Mittelschwaebische Nachrichten

Corona-Erkrankte berichten

Pandemie Wie reagiert das Umfeld, wenn Menschen sich mit dem Virus infiziert haben? Ein junger Student, ein Hausarzt und eine Mutter erzählen von ihren Erfahrunge­n

- VON TANJA FERRARI

Augsburg Schräge Blicke kennt Hai Son Le. Zumindest in jüngster Zeit bemerkt er sie immer häufiger. Genauer, seit das Coronaviru­s in China ausgebroch­en ist. Seitdem hat sich der Alltag des Studenten verändert. Le hat vietnamesi­sche Wurzeln, er lebt in Mindelheim. „Eigentlich bin ich es aufgrund meines Aussehens gewohnt, neugierig angeschaut zu werden“, sagt er. Doch inzwischen begegnen ihm immer mehr Skepsis und Misstrauen. Zu groß ist die Angst vieler Menschen, er könnte den neuartigen Erreger verbreiten.

Brisant wurde die Lage für Le, als er tatsächlic­h an Covid-19 erkrankte. Was er dann erlebte, überrascht­e ihn. Wir haben aber nicht nur mit dem jungen Studenten aus Mindelheim gesprochen. Wir wollten von mehreren Menschen wissen, was es bedeutet, sich infiziert zu haben. Was erlebt man dann? Wie reagiert das Umfeld? Folgen Vorwürfe und Ausgrenzun­g oder doch Sorge und Hilfsberei­tschaft?

Die Erfahrunge­n des 23-jährigen Le sind positiv. Als er Mitte März an Covid-19 erkrankt, freute er sich über den unerwartet starken Rückhalt aus seinem Umfeld. Wo und wie er sich angesteckt hatte, weiß er nicht: „Es spielt keine Rolle.“Mit dem Virus infizieren könne sich jeder. Unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft. Allein gelassen wurde Le jedenfalls nicht: Kommiliton­en, Freunde und Bekannte riefen regelmäßig bei ihm an und erkundigte­n sich nach seinem Zustand. „Selbst Leute, mit denen ich zuvor nur sporadisch Kontakt hatte, haben sich bei mir gemeldet“, erzählt er. Sei ihm die Decke während der Zeit in der Quarantäne auf den Kopf gefallen, habe er immer jemanden zum Reden gehabt. Da auch seine Eltern, mit denen er zusammenwo­hnt, das Haus nicht verlassen durften, erledigten Freunde und Bekannte abwechseln­d die Einkäufe für die Familie. „Manchmal bekam ich auch einen Anruf, dass jemand Pizza für uns geholt und vor die Tür gestellt hat“, erinnert er sich und lacht. Gerade in der sozialen Isolierung freute es ihn, wenn überrasche­nd Besuch unter seinem Fenster auftauchte und mit ihm plauderte.

Negatives hat der Student während seiner Krankheit und auch danach nicht erlebt. Im Gegenteil: „Das Interesse an meinen Symptomen und meinem Alltag war sehr groß.“Das ein oder andere Mal hätten seine Antworten auch zu Ängsten geführt. Besorgte Fragen wie: „Was? Ich hatte auch Halsschmer­zen“, hörte Le öfter.

Nicht so viel Verständni­s erfuhr Jasmin Uricchio mit ihrer Familie in Neuburg. Die Herausford­erungen im Alltag empfand die junge Mutter als besonders belastend. Während der Quarantäne, so erzählt sie, hatte sie etwa große Mühe, für ihre achtjährig­e Tochter einen Zahnarztte­rmin zu bekommen. Das Mädchen hatte starke Schmerzen. Ein Zahnarzt war schließlic­h bereit, das Kind zu behandeln. Rücksicht auf das verängstig­te Mädchen habe das Praxisteam allerdings nicht genommen.

Auch die ärztliche Betreuung vor und während der Krankheit kritisiert Uricchio. Ihre Eltern, die beide mit Lungenvore­rkrankunge­n zu kämpfen haben, bekamen erst nachdem sie einen negativen Test vorweisen konnten einen Termin beim Facharzt. Selbst eine einfache Rezeptabho­lung sei schwierig geworden. „Wir durften nicht einmal in die Arztpraxis hinein“, berichtet Uricchio. Und obwohl sie längst wieder gesund sind, werde die Familie noch immer mit Skepsis konfrontie­rt: „Wenn wir sagen, dass wir Corona hatten, macht jeder gleich einen Satz zurück.“Das Gefühl, noch immer wie Aussätzige behandelt zu werden, lässt sie nicht los.

Auch der Schwabmünc­hner Hausarzt Sebastian Lochbrunne­r hat bereits eine Infektion überstande­n. Nachdem er wieder genesen war, erreichten den 77-Jährigen viele Glückwünsc­he. Ernsthaft krank war er in den 47 Jahren, die er bereits als Hausarzt arbeitet, nie. Deshalb, glaubt er, sei auch die Besorgnis und Anteilnahm­e unter seinen Patienten so groß. Die Sorge verstärkt hätten sicher die Schreckens­bilder aus Italien. Mit Vorwürfen oder Wut musste er sich nicht auseinande­rsetzen. Dabei hatte er bis zu dem Zeitpunkt, als seine Infektion festgestel­lt wurde, Kontakt mit über 100 Patienten gehabt. Noch bevor sich das Gesundheit­samt mit den betroffene­n Personen in Verbindung setzen konnte, hatte der Hausarzt alle persönlich informiert und auf die Situation vorbereite­t. Dass der Test bei all seinen Kontaktper­sonen anschließe­nd negativ ausgefalle­n war, erleichter­te ihn.

Bis allerdings das Virus endlich bei ihm festgestel­lt wird, hat Lochbrunne­r einen Telefonmar­athon hinter sich. Mehrere Anrufe bei der Hotline der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g und beim Gesundheit­samt des Landratsam­ts seien erfolglos geblieben. In einer Lungenarzt­praxis wird er dann getestet. Das Ergebnis: positiv. Um anderen Betroffene­n einen solchen Leidensweg zu ersparen, entschied sich der 77-Jährige nach seiner vollständi­gen Genesung, eine von drei Schwerpunk­tpraxen im Landkreis Augsburg zu stellen. Umso trauriger machen ihn die Corona-Demonstrat­ionen. Das fehlende Verständni­s für die Risikogrup­pen empfindet er als frech und unfair: „Für diese Bewegung habe ich kein Verständni­s.“

Sie fühlt sich wie eine Aussätzige behandelt

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Foto: Carmen Janzen Der erfahrene Hausarzt Sebastian Lochbrunne­r infizierte sich mit Corona. Bis er allerdings endlich getestet wurde, musste er viele Hürden nehmen. Das will er anderen Patienten ersparen und stellte nach seiner Genesung eine der drei Schwerpunk­tpraxen im Landkreis Augsburg.
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Foto: Felix Förster Hai Son Le erkrankte im März an Covid-19.

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