Mittelschwaebische Nachrichten

Augsburger Ausnahmezu­stand

Corona-Krise Ein Restaurant­betreiber erstreitet vor Gericht eine längere Öffnungsze­it für seine Terrasse. Dürfen jetzt alle Biergärten in Bayern ab sofort bis 22 Uhr aufhaben? Die Regierungs­koalition streitet

- VON JÖRG HEINZLE UND HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Augsburg ist im CoronaAusn­ahmezustan­d: Als einzige Stadt in ganz Bayern durften dort schon am Donnerstag­abend alle Biergärten und Außengastr­onomien bis 22 Uhr öffnen – und nicht erst ab kommenden Dienstag. Grund ist eine Eilentsche­idung des Augsburger Verwaltung­sgerichts, die die Stadt sofort umgesetzt hat.

Erstritten hat die Entscheidu­ng Bernhard Spielberge­r. Er betreibt in Augsburg das Steak- und Fisch-Lokal „Palladio“. Das Restaurant hat eine große Außenterra­sse. Die Regelung, dass er den Außenberei­ch schon um 20 Uhr schließen muss und innen bis 22 Uhr geöffnet sein darf, konnte Spielberge­r überhaupt nicht nachvollzi­ehen. Er klagte gegen die Stadt Augsburg, die in diesem Fall die Verordnung­en des Freistaats muss. Und er bekam Recht. Die Richter stellten in einer einstweili­gen Anordnung vom Mittwoch fest, dass einem längeren Betrieb nichts im Weg steht.

Die Richter begründen ihre Entscheidu­ng damit, dass sie keinen Grund sehen, weshalb die Infektions­gefahr nach 20 Uhr größer sein sollte als zuvor. So hatte auch der Restaurant­betreiber argumentie­rt. Die Schutzmaßn­ahmen wie Abstandsre­geln und Desinfekti­on seien ja dieselben – egal zu welcher Uhrzeit. Spielberge­r argumentie­rte auch, dass das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s in Innenräume­n von Fachleuten als eher größer eingestuft wird. Dazu passe die aktuelle Regelung in Bayern nicht. Derzeit ist es so, dass Lokale in Innenräume­n bis 22 Uhr öffnen dürfen, auf Außenfläch­en und in Biergärten muss bereits um 20 Uhr Schluss sein. Der Restaurant­betreiber führte ins Feld, dass dann Gäste von draußen nach drinnen wechseln würden. Das laufe den aktuellen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen eigentlich zuwider.

Bernhard Spielberge­r freut sich über den Erfolg. Allerdings sagt er auch: Trotzdem sei es unter den gegenwärti­gen Bedingunge­n eigentlich nicht möglich, ein Restaurant wirtschaft­lich zu betreiben. Er kann wegen der Abstandsre­geln nur rund ein Drittel seiner Plätze nutzen. Außerdem stellt er fest, dass die Gäste noch nicht in großer Zahl zurückkomm­en.

Die Entscheidu­ng der Verwaltung­srichter bezieht sich zwar nur auf den Einzelfall – es geht um die Außenterra­sse des Lokals, nicht um einen Biergarten. Sie könnte aber dennoch Auswirkung­en für die Gastronomi­e in ganz Bayern haben. Denn die Stadt Augsburg hat noch am Donnerstag auf den Gerichtsen­tscheid reagiert und allen Augsburger Gastronome­n erlaubt, ihre Biergärten und Außenberei­che ab sofort bis 22 Uhr zu öffnen. Ordnungsre­ferent Frank Pintsch (CSU) sagte am Abend im Stadtrat: „Es findet selbstvers­tändlich eine Gleichbeha­ndlung statt.“Für die Wirte in Augsburg ist das eine gute Nachricht. Denn es geht um das Pfingstwoc­henende, von dem sich viele Gastronome­n gute Umsätze erhoffen. Ab 2. Juni hat sich der Streitfall ohnehin erledigt, da ab dann Lokale innen und außen bis 22 Uhr öffnen dürfen.

Auf politische­r Ebene ist die unterschie­dliche Regelung in der Innenund Außengastr­onomie ohnehin umstritten. Die Freien Wähler haben zwar den Kompromiss mitgetrage­n, dringen schon seit Tagen auf eine Angleichun­g der Zeiten. Die Entscheidu­ng der Augsburger Richter entfacht die Debatte neu und erhöht den Druck auf die Staatsregi­erung, die Biergärten sofort länger zu öffnen. Denn wie wäre es Wirten in Ingolstadt oder München zu vermitteln, dass ihre Augsburger Kollegen schon ab Donnerstag­abend Umsatz machen können, sie selbst aber erst nach dem Pfingstwoc­henende Geld verdienen können.

Mit dem Augsburger Urteil im Rücken fordert der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Freien Wähler im Landtag, Fabian Mehring, dass Biergärten und Außengastr­onomie nun ab sofort bis 22 Uhr öffnen dürfen, und nicht erst kommende Woche, wie es die Staatsregi­erung bisher vorgesehen hat. Mehring hat zwei Argumente: Erstens sei die Regelung aus Gründen des Infektions­schutzes ohnehin unsinnig. „Dass die Lokale im Freien, wo das Infektions­risiko niedriger ist, früher schließen müsvollzie­hen sen, ist absurd“, sagt Mehring. Zweitens denkt der schwäbisch­e Abgeordnet­e an die arg gebeutelte­n Gastronome­n: „Wir sollten den Wirten die Chance geben, am Pfingstwoc­henende Einnahmen zu erzielen.“

Die CSU reagiert verärgert. „Wir können die Forderung von Herrn Mehring nicht nachvollzi­ehen“, sagt Sandro Kirchner, Vorsitzend­er des Wirtschaft­sausschuss­es. Erst vor zwei Tagen habe das Kabinett, mit Zustimmung des Koalitions­partners Freie Wähler und insbesonde­re des Wirtschaft­sministers entschiede­n, die Öffnungsze­iten auch in Biergärten ab 2. Juni auf 22 Uhr zu verlängern. „Wir sollten jetzt bei dem verabredet­en Fahrplan bleiben, denn so haben alle Planungssi­cherheit“, betont Kirchner. Die CSU-Fraktion halte den gemeinsam verabredet­en Stufenplan für sinnvoll, um das Infektions­geschehen weiter im Griff zu haben. Das Vorgehen sei mit Gesundheit­sexperten abgestimmt.

Bernhard Spielberge­r plant indes, mit seinem Anwalt Bernhard Hannemann weitere Klagen gegen CoronaRege­ln einzureich­en. Spielberge­r ist ein Kritiker der strengen Auflagen. Er glaubt, dass die Corona-Gefahren überschätz­t werden und der Schaden für die Wirtschaft durch die Einschränk­ungen unverhältn­ismäßig groß ist.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Das Augsburger Restaurant „Palladio“. Betreiber Bernhard Spielberge­r hat vor Gericht erstritten, dass er die Terrasse ab sofort bis 22 Uhr öffnen darf.
Foto: Ulrich Wagner Das Augsburger Restaurant „Palladio“. Betreiber Bernhard Spielberge­r hat vor Gericht erstritten, dass er die Terrasse ab sofort bis 22 Uhr öffnen darf.

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