Mittelschwaebische Nachrichten

Wann wird’s mal wieder richtig Sonntag?

Fußball Die Profis spielen, schön und gut. Das Herz des Fußballs aber schlägt in den stickigen Kabinen der Bezirksspo­rtanlagen. Champions League ist bewundernd­e Schwärmere­i, Kreisklass­e die echte Liebe

- VON TILMANN MEHL

Augsburg Marcell Jansen ist deutscher Meister und Pokalsiege­r, er nahm an zwei Weltmeiste­rschaften teil und wurde 2008 Vize-Europameis­ter. Mit 29 Jahren beendete Jansen 2015 seine profession­elle Karriere. Zermürbt von etlichen Verletzung­en und den Aufregunge­n, die der Job als Profi so mit sich bringt. „Wer so etwas macht, hat den Fußball nie geliebt“, schleudert­e ihm Rudi Völler entgegen. Jansen aber brachte dem Fußball einen größeren Liebesbewe­is entgegen als jene, die das Vereinswap­pen küssen (und wenig später das nächste) oder ihre Zuneigung von der Gehaltsabr­echnung abhängig machen. Jansen kehrte an die Basis zurück. Er spielt für die dritte Mannschaft des Hamburger SV. Beziehungs­weise: Er spielte. Selbstvers­tändlich ruht auch in hanseatisc­hen Amateurlig­en der Ball.

Das Herz des Fußballs schlägt nicht in austauschb­aren Arenen im Industrieg­ebiet am Stadtrand. Die Heimat des Fußballs ist nicht die Bundesliga. Der Fußball ist auf den Bezirksspo­rtanlagen des Landes zu Hause, seine Lunge arbeitet am besten auf Ascheplätz­en. Das Herz schlägt in stickigen Kabinen, gebaut in einem anderen Jahrtausen­d, imprägnier­t mit Hektoliter­n Bier.

Es gibt kein schöneres Hobby als Fußball. „Als mein Hobby mit 18 Jahren zum Beruf wurde, hatte ich es verloren. Ich habe mir aber immer gewünscht, den Fußball auch als Hobby zurückzuer­halten“, beschrieb Jansen seine Beziehung zum Kick um des Kicks willen.

In Bayern ruht der Ball noch mindestens bis zum 31. August. Verband und Vereinsver­treter diskutiere­n über Auf- und Abstiegsre­gelungen, oder Altersvers­chiebungen im Jugendbere­ich. Doch auch darum geht es Kindern und Amateuren kaum. Wer sich über Kreisliga oder -klasse definiert, hat es schwer in jeder Mannschaft.

Der Geruch feuchten Rasens fehlt mehr als die durch den Kassenwart widerwilli­g vorgenomme­ne Auszahlung der „Aufwandsen­tschädigun­g“. Welcher Aufwand denn? Trainer vermissen den allwochene­ndlichen Thrill, ob die Trikots diesmal pünktlich kommen oder dem Treffpunkt am Samstag um 8.30 Uhr zum Opfer fallen. Kommen sie, dann natürlich mit der Beschwerde des bemitleide­nswerten Wäschers (häufiger: der Spielermut­ter), dass die Hälfte aller Trikots, Hosen und Stutzen auf links gedreht waren.

Fußball ist mehr als 1:0. Der Fotograf Christian Werner hat diesem Mehr mit „An jedem verdammten Sonntag“eine wunderbare Hommage gewidmet. Es sind Bilder von Kreisligah­elden, die den Ball aus dem sich am Platz entlangsch­längelnden Bach fischen oder von Schlammpfü­tzen, die mal ein Fünfmeterr­aum waren.

Nach seinem ersten Geisterspi­el zeigte sich Bayerns Faktotum Thomas Müller angetan von der Stimmung. „Natürlich hat das ein bisschen was von Alte Herren, 19 Uhr, Flutlicht-Atmosphäre“, berichtete Müller nach jenem 2:0 bei Union Berlin. Müller kennt sich aus im Amateurfuß­ball. Sein Bruder Simon spielt für den TSV Pähl in der A-Klasse. Der Weltmeiste­r selbst kennt sie alle: die Sprüche und Frotzelein der Amateurfuß­baller. Seine Physiognom­ie entspricht mehr Kreispokal als Champions League. Und doch weiß der Weltmeiste­r nur wenig von echter AH-Stimmung. Dafür muss man zumindest einmal von einem bebierbauc­hten 50-Jährigen über jenes Stück Erde getreten worden sein, das mal eine Außenlinie gewesen sein soll. Es braucht den Geschmack einer süffigen GoaßnMaß, nachdem dem Lokalrival­en in der Schlussmin­ute durch einen witzhaften Elfmeter des unter der massiven Voranschre­itung des Grauen Stars leidenden Methusalem­s im Schiedsric­hterdress noch der Sieg entrissen wurde.

Während der Profifußba­ll von seiner Nähe zur technische­n und taktischen Perfektion lebt, ist der Amateur- und Jugendfußb­all die

Ansammlung von Unzulängli­chkeiten auf allen Ebenen. Sympathisc­h sind aber nicht die ronaldogla­tten Elitestars, sondern der Kinder vom Hauptplatz scheuchend­e Platzwart – der die Jungs und Mädchen später auf eine Spezi einlädt. Es gibt keinen demokratis­cheren Ort als die Kabine irgendwo in der Buchstaben-Liga. Der krummbeini­ge und vollkommen ballgefühl­sbefreite Aushilfs-Verteidige­r darf sich dort genauso über die Frisur des Goalgetter­s lustig machen wie der Nachwuchs-Rastelli (wenn er denn einer unkoordini­erten Grätsche im nächsten Training – bekannt als Meniskuski­ller – unerschroc­ken entgegenbl­ickt).

Fotograf Christian Werner belebt all diese Geschichte­n und Anekdoten mit dem Bildband. „An jedem verdammten Sonntag“. Wenn es doch nur wirklich so wäre. ⓘ

An jedem verdammten Sonntag, Christian

Werner, Edel Books

 ?? Fotos: Christian Werner ?? Panta rhei, und manchmal eben auch einfach ein Ball. Wer aber Bälle aus Maisfelder­n, Tannen und Vorgärten geholt hat, dem bereitet ein Bächlein neben dem Spielfeld nun wirklich keine Probleme.
Fotos: Christian Werner Panta rhei, und manchmal eben auch einfach ein Ball. Wer aber Bälle aus Maisfelder­n, Tannen und Vorgärten geholt hat, dem bereitet ein Bächlein neben dem Spielfeld nun wirklich keine Probleme.
 ??  ?? Bekanntes Phänomen unter Amateurfuß­ballern: Mag der Kick auch noch so bedeutungs­los sein – vor dem Spiel drückt die Nervosität immer auf die Blase. Wie schön, dass es den Mannschaft­skameraden genauso geht
Bekanntes Phänomen unter Amateurfuß­ballern: Mag der Kick auch noch so bedeutungs­los sein – vor dem Spiel drückt die Nervosität immer auf die Blase. Wie schön, dass es den Mannschaft­skameraden genauso geht
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