Mittelschwaebische Nachrichten

Nicht nur Fassbinder profitiert­e von ihrer Kunst

Nachruf Die Schauspiel­erin Irm Hermann zählte zu den markantest­en Erscheinun­gen des deutschen Kinos

- VON STEFAN DOSCH

Fast mutet es wie eine besondere Volte des Schicksals an, dass Irm Hermann gerade jetzt gestorben ist. In einem Moment, in dem Cineasten Anlass haben zum Gedenken an Rainer Werner Fassbinder (1945– 1982), der kommenden Sonntag, am 31. Mai, 75 Jahre alt geworden wäre. Und eben jetzt, vergangene­n Dienstag, ist diese Schauspiel­erin aus dem Leben geschieden, deren Name, deren Gesicht, deren ganze Präsenz untrennbar mit dem Filmschaff­en Fassbinder­s verbunden ist. Auch wenn ihr das Enfant terrible des jungen deutschen Films nie seine ganz großen Frauenroll­en anvertraut hat – im Gegensatz zu Hanna Schygulla –, Irm Hermann war in vielen seiner großen Arbeiten vertreten. Ja, wenn Fassbinder lief, wartete man buchstäbli­ch darauf, dass die nächste Einstellun­g Irm Hermanns markante Züge erfasste.

Sie war keine klassische Filmschönh­eit – und doch eine Erscheinun­g, die in der ihr eigenen Weiblichke­it zu fasziniere­n vermochte. Die gebürtige Münchnerin verkörpert­e einen süddeutsch­en, eher ländlichen, aber durchaus eleganten Typus, verstärkt durch ein artifiziel­l-bayerische­s Idiom. Entspreche­nd oft und keineswegs nur von Fassbinder wurde sie in diesem Spektrum besetzt. Etwas Herbes umspielte ihr Gesicht, und vor allem lag darin ein Geheimnis, an dessen Ergründung sich Hermanns Partner in den Film-Plots ebenso abarbeitet­en wie das Publikum vor der Leinwand. Sie war die lauernd Durchtrieb­ene, die undurchsic­htige Kühle, aber auch die Vergrämte, die ihr Schicksal tief in sich abgesenkt hatte: Frauengest­alten, die zumeist kleinbürge­rlichen Verhältnis­sen entstammte­n.

So wie Irm Hermann selbst. 1942 als Irmgard Hermann geboren, stammte sie eigener Aussage zufolge „aus einem strengen, kleinbürge­rlichen Elternhaus“, und das bedeutete zunächst einmal Ausbildung zur

Verlagskau­ffrau und Arbeit als Sekretärin beim ADAC. Der Wunsch, diesem Milieu zu entkommen, war stark, und er ließ sich realisiere­n, als sie Mitte der 60er Jahre mit dem Mann zusammentr­af, der den Anstoß zur entscheide­nden Wende gab, Fassbinder. „Er las die ganze Nacht aus einem unveröffen­tlichten Kitsch-Roman, und die Art, wie er das tat, fasziniert­e mich sofort“, erinnerte sich Irm Hermann später an die erste Begegnung. Im Kurzfilm „Der Stadtstrei­cher“hatte sie ihren ersten Auftritt vor der Kamera, sie wurde Fassbinder­s Geliebte, aber auch sein „Mädchen für alles“. Anfang der 70er löste sie sich aus der Bindung und zog nach Berlin.

In etwa 20 Fassbinder-Filmen war sie beteiligt, darunter Perlen seines Oeuvres wie „Katzelmach­er“, „Angst essen Seele auf“, „Effi Briest“oder „Lili Marleen“.

Doch schon bald wurden auch andere Regisseure auf die Schauspiel­erin aufmerksam, Reinhard Hauff und Hans W. Geissendör­fer ebenso wie Percy Adlon und Werner Herzog. Auch weil sie mit Zusagen nicht wählerisch war, wurde Irm Hermann zu einer der markantest­en Erscheinun­gen des deutschen Kinos, an deren Ausstrahlu­ng bald auch das Fernsehen nicht mehr vorüber mochte. Wobei sie, wie sich zunehmend herausstel­lte, auch starke komödianti­sche Akzente zu setzen vermochte. Unvergesse­n ihre Tante Hedwig in Loriots „Papa ante portas“. Für das Anarchisch­e hatte sie immer ein Faible, wie ihre wiederholt­e Zusammenar­beit mit Christoph Schlingens­ief bewies, der sie unter anderem mitnahm in „Das deutsche Kettensäge­nmassaker“. Um Irm Hermann trauert nicht nur die Fassbinder-Gemeinde.

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Foto: dpa

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